Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

schenk, die zierlich gestickte Brieftasche, um die
sich ein Gewinde von Vergißmeinnicht und Rosen
auf grünem Grunde schlang. Grün, dachte
Blauenstein, ist die Farbe der Hoffnung, Liebe
und Treue deuten mir die andern sinnigen
Blumen, und so will ich getrost in die Zukunft
sehn. --

Am andern Morgen beschied der alte ergraute
Kammerdiener Blauenstein zum Grafen. Er schrak
unwillkührlich in einander, und begab sich voll
banger Erwartung in des letztern Gemach. Der
Graf trat ihm freundlich entgegen, aber doch
lag in seinen Zügen ein Ernst, eine halb unter¬
drückte Wehmuth, die er sich nicht zu erklä¬
ren wußte.

"Entschuldigen Sie," hob der Graf an, und
winkte dem erschrockenen jungen Manne zum
Niedersitzen, "entschuldigen Sie, mein junger
Freund, daß ich Sie zu dieser ungewohnten
Stunde zu mir rufen lasse. Ich mögte gern
wieder gut machen, was ich einst, wenn auch
unbewußt, verschuldet, und Sie sollen mir Auf¬
klärung geben."

Nach diesen Worten, deren Sinn Blauenstein

ſchenk, die zierlich geſtickte Brieftaſche, um die
ſich ein Gewinde von Vergißmeinnicht und Roſen
auf gruͤnem Grunde ſchlang. Gruͤn, dachte
Blauenſtein, iſt die Farbe der Hoffnung, Liebe
und Treue deuten mir die andern ſinnigen
Blumen, und ſo will ich getroſt in die Zukunft
ſehn. —

Am andern Morgen beſchied der alte ergraute
Kammerdiener Blauenſtein zum Grafen. Er ſchrak
unwillkuͤhrlich in einander, und begab ſich voll
banger Erwartung in des letztern Gemach. Der
Graf trat ihm freundlich entgegen, aber doch
lag in ſeinen Zuͤgen ein Ernſt, eine halb unter¬
druͤckte Wehmuth, die er ſich nicht zu erklaͤ¬
ren wußte.

„Entſchuldigen Sie,“ hob der Graf an, und
winkte dem erſchrockenen jungen Manne zum
Niederſitzen, „entſchuldigen Sie, mein junger
Freund, daß ich Sie zu dieſer ungewohnten
Stunde zu mir rufen laſſe. Ich moͤgte gern
wieder gut machen, was ich einſt, wenn auch
unbewußt, verſchuldet, und Sie ſollen mir Auf¬
klaͤrung geben.“

Nach dieſen Worten, deren Sinn Blauenſtein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0244" n="238"/>
&#x017F;chenk, die zierlich ge&#x017F;tickte Briefta&#x017F;che, um die<lb/>
&#x017F;ich ein Gewinde von Vergißmeinnicht und Ro&#x017F;en<lb/>
auf gru&#x0364;nem Grunde &#x017F;chlang. Gru&#x0364;n, dachte<lb/>
Blauen&#x017F;tein, i&#x017F;t die Farbe der Hoffnung, Liebe<lb/>
und Treue deuten mir die andern &#x017F;innigen<lb/>
Blumen, und &#x017F;o will ich getro&#x017F;t in die Zukunft<lb/>
&#x017F;ehn. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Am andern Morgen be&#x017F;chied der alte ergraute<lb/>
Kammerdiener Blauen&#x017F;tein zum Grafen. Er &#x017F;chrak<lb/>
unwillku&#x0364;hrlich in einander, und begab &#x017F;ich voll<lb/>
banger Erwartung in des letztern Gemach. Der<lb/>
Graf trat ihm freundlich entgegen, aber doch<lb/>
lag in &#x017F;einen Zu&#x0364;gen ein Ern&#x017F;t, eine halb unter¬<lb/>
dru&#x0364;ckte Wehmuth, die er &#x017F;ich nicht zu erkla&#x0364;¬<lb/>
ren wußte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ent&#x017F;chuldigen Sie,&#x201C; hob der Graf an, und<lb/>
winkte dem er&#x017F;chrockenen jungen Manne zum<lb/>
Nieder&#x017F;itzen, &#x201E;ent&#x017F;chuldigen Sie, mein junger<lb/>
Freund, daß ich Sie zu die&#x017F;er ungewohnten<lb/>
Stunde zu mir rufen la&#x017F;&#x017F;e. Ich mo&#x0364;gte gern<lb/>
wieder gut machen, was ich ein&#x017F;t, wenn auch<lb/>
unbewußt, ver&#x017F;chuldet, und Sie &#x017F;ollen mir Auf¬<lb/>
kla&#x0364;rung geben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nach die&#x017F;en Worten, deren Sinn Blauen&#x017F;tein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0244] ſchenk, die zierlich geſtickte Brieftaſche, um die ſich ein Gewinde von Vergißmeinnicht und Roſen auf gruͤnem Grunde ſchlang. Gruͤn, dachte Blauenſtein, iſt die Farbe der Hoffnung, Liebe und Treue deuten mir die andern ſinnigen Blumen, und ſo will ich getroſt in die Zukunft ſehn. — Am andern Morgen beſchied der alte ergraute Kammerdiener Blauenſtein zum Grafen. Er ſchrak unwillkuͤhrlich in einander, und begab ſich voll banger Erwartung in des letztern Gemach. Der Graf trat ihm freundlich entgegen, aber doch lag in ſeinen Zuͤgen ein Ernſt, eine halb unter¬ druͤckte Wehmuth, die er ſich nicht zu erklaͤ¬ ren wußte. „Entſchuldigen Sie,“ hob der Graf an, und winkte dem erſchrockenen jungen Manne zum Niederſitzen, „entſchuldigen Sie, mein junger Freund, daß ich Sie zu dieſer ungewohnten Stunde zu mir rufen laſſe. Ich moͤgte gern wieder gut machen, was ich einſt, wenn auch unbewußt, verſchuldet, und Sie ſollen mir Auf¬ klaͤrung geben.“ Nach dieſen Worten, deren Sinn Blauenſtein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/244
Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/244>, abgerufen am 18.05.2024.