Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht begriff, nahm der Graf aus einem Secretair
ein reicheingefaßtes Miniaturbild, zeigte es dem
jungen Manne, und dieser erkannte die Züge
seines verklärten Vaters, der hier in seiner Jugend
gemalt sein mußte.

"Ist dies das Bild Ihres seligen Herrn
Vaters?" fragte der Graf mit feuchtem Blicke.

"Ohne allen Zweifel!" entgegnete Blauenstein

"Ich dachte es wohl," fuhr der erstere fort,
"aber ich wollte Gewißheit haben. Ich darf
voraussetzen, daß Ihnen die Jugendgeschichte Ihres
Vaters nicht verborgen geblieben ist. Er liebte
Fräulein Marie von Struen, meine nachmalige
Gattin, aber ich wußte davon nichts und warb,
halb ein Spiel meiner Verwandten, halb von
Mariens zauberischer Liebenswürdigkeit hingerissen,
um ihre Hand in einer Zeit, wo das Band,
welches sie an Ihren vortrefflichen Vater knüpfte,
gewaltsam getrennt war, und ich glaubte sie
glücklich. Erst ein Jahr nach unserer Verhei¬
rathung erhielt ich Licht, und kaum begreife ich,
wie ich hatte so verblendet sein können, und ich
habe mir lange, lange die heftigsten Vorwürfe
gemacht, weshalb ich an der Seite dieses holdseligen

nicht begriff, nahm der Graf aus einem Secretair
ein reicheingefaßtes Miniaturbild, zeigte es dem
jungen Manne, und dieſer erkannte die Zuͤge
ſeines verklaͤrten Vaters, der hier in ſeiner Jugend
gemalt ſein mußte.

„Iſt dies das Bild Ihres ſeligen Herrn
Vaters?“ fragte der Graf mit feuchtem Blicke.

„Ohne allen Zweifel!“ entgegnete Blauenſtein

„Ich dachte es wohl,“ fuhr der erſtere fort,
„aber ich wollte Gewißheit haben. Ich darf
vorausſetzen, daß Ihnen die Jugendgeſchichte Ihres
Vaters nicht verborgen geblieben iſt. Er liebte
Fraͤulein Marie von Struen, meine nachmalige
Gattin, aber ich wußte davon nichts und warb,
halb ein Spiel meiner Verwandten, halb von
Mariens zauberiſcher Liebenswuͤrdigkeit hingeriſſen,
um ihre Hand in einer Zeit, wo das Band,
welches ſie an Ihren vortrefflichen Vater knuͤpfte,
gewaltſam getrennt war, und ich glaubte ſie
gluͤcklich. Erſt ein Jahr nach unſerer Verhei¬
rathung erhielt ich Licht, und kaum begreife ich,
wie ich hatte ſo verblendet ſein koͤnnen, und ich
habe mir lange, lange die heftigſten Vorwuͤrfe
gemacht, weshalb ich an der Seite dieſes holdſeligen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0245" n="239"/>
nicht begriff, nahm der Graf aus einem Secretair<lb/>
ein reicheingefaßtes Miniaturbild, zeigte es dem<lb/>
jungen Manne, und die&#x017F;er erkannte die Zu&#x0364;ge<lb/>
&#x017F;eines verkla&#x0364;rten Vaters, der hier in &#x017F;einer Jugend<lb/>
gemalt &#x017F;ein mußte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t dies das Bild Ihres &#x017F;eligen Herrn<lb/>
Vaters?&#x201C; fragte der Graf mit feuchtem Blicke.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ohne allen Zweifel!&#x201C; entgegnete Blauen&#x017F;tein</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich dachte es wohl,&#x201C; fuhr der er&#x017F;tere fort,<lb/>
&#x201E;aber ich wollte Gewißheit haben. Ich darf<lb/>
voraus&#x017F;etzen, daß Ihnen die Jugendge&#x017F;chichte Ihres<lb/>
Vaters nicht verborgen geblieben i&#x017F;t. Er liebte<lb/>
Fra&#x0364;ulein Marie von Struen, meine nachmalige<lb/>
Gattin, aber ich wußte davon nichts und warb,<lb/>
halb ein Spiel meiner Verwandten, halb von<lb/>
Mariens zauberi&#x017F;cher Liebenswu&#x0364;rdigkeit hingeri&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
um ihre Hand in einer Zeit, wo das Band,<lb/>
welches &#x017F;ie an Ihren vortrefflichen Vater knu&#x0364;pfte,<lb/>
gewalt&#x017F;am getrennt war, und ich glaubte &#x017F;ie<lb/>
glu&#x0364;cklich. Er&#x017F;t ein Jahr nach un&#x017F;erer Verhei¬<lb/>
rathung erhielt ich Licht, und kaum begreife ich,<lb/>
wie ich hatte &#x017F;o verblendet &#x017F;ein ko&#x0364;nnen, und ich<lb/>
habe mir lange, lange die heftig&#x017F;ten Vorwu&#x0364;rfe<lb/>
gemacht, weshalb ich an der Seite die&#x017F;es hold&#x017F;eligen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0245] nicht begriff, nahm der Graf aus einem Secretair ein reicheingefaßtes Miniaturbild, zeigte es dem jungen Manne, und dieſer erkannte die Zuͤge ſeines verklaͤrten Vaters, der hier in ſeiner Jugend gemalt ſein mußte. „Iſt dies das Bild Ihres ſeligen Herrn Vaters?“ fragte der Graf mit feuchtem Blicke. „Ohne allen Zweifel!“ entgegnete Blauenſtein „Ich dachte es wohl,“ fuhr der erſtere fort, „aber ich wollte Gewißheit haben. Ich darf vorausſetzen, daß Ihnen die Jugendgeſchichte Ihres Vaters nicht verborgen geblieben iſt. Er liebte Fraͤulein Marie von Struen, meine nachmalige Gattin, aber ich wußte davon nichts und warb, halb ein Spiel meiner Verwandten, halb von Mariens zauberiſcher Liebenswuͤrdigkeit hingeriſſen, um ihre Hand in einer Zeit, wo das Band, welches ſie an Ihren vortrefflichen Vater knuͤpfte, gewaltſam getrennt war, und ich glaubte ſie gluͤcklich. Erſt ein Jahr nach unſerer Verhei¬ rathung erhielt ich Licht, und kaum begreife ich, wie ich hatte ſo verblendet ſein koͤnnen, und ich habe mir lange, lange die heftigſten Vorwuͤrfe gemacht, weshalb ich an der Seite dieſes holdſeligen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/245
Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/245>, abgerufen am 18.05.2024.