keiner gehabt. Diese dunklen Locken, die zarten Braunen, unter denen die dunklen Augen so freundlich, so vielbedeutend glühten, der lieblich geformte Mund, die männliche Kräftigkeit in dem gesunden Roth der Wangen und der zarten Bläue des Bartes, das geistvolle Lächeln, und der Tan¬ nenwuchs! -- Tina drückte die Augen zu, und fuhr in dem allerliebsten Gedankenspiele fort, und senkte das zarte Näschen ihres Schelmengesicht¬ chens in den frischen Kelch der duftigen Aster. Wie er sie zum Wagen geführt, hatte er sie mit so feinem Anstande hineingehoben, und ihr die Hand gekü -- ja geküßt hatte er sie, sie wußte es noch ganz genau, und sie hatte ihm die Hand ganz leise, aber nur ganz ganz leise, wieder gedrückt. Was war auch dabei weiter? Drückt man doch jedem guten Menschen die Hand, und nun gar dem Retter ihres so sehr geliebten Vaters, der ihr Alles war, seit ihr Mütterchen im Schooß der kühlen Erde schlummerte! -- Aber sie mußte wohl wieder herauf, die Dämmerung ward immer düsterer, und das Bereiten des Thees durfte sie der Tante Letty unmöglich überlassen. Sie hatte gar nicht die freundliche, manierliche Art, wie es eigentlich geschehen mußte; und dann lag auch in dem Theestündchen selbst ein gar zu besonderer Reiz, etwas so Trauliches und zur Unterhaltung
keiner gehabt. Dieſe dunklen Locken, die zarten Braunen, unter denen die dunklen Augen ſo freundlich, ſo vielbedeutend gluͤhten, der lieblich geformte Mund, die maͤnnliche Kraͤftigkeit in dem geſunden Roth der Wangen und der zarten Blaͤue des Bartes, das geiſtvolle Laͤcheln, und der Tan¬ nenwuchs! — Tina druͤckte die Augen zu, und fuhr in dem allerliebſten Gedankenſpiele fort, und ſenkte das zarte Naͤschen ihres Schelmengeſicht¬ chens in den friſchen Kelch der duftigen Aſter. Wie er ſie zum Wagen gefuͤhrt, hatte er ſie mit ſo feinem Anſtande hineingehoben, und ihr die Hand gekuͤ — ja gekuͤßt hatte er ſie, ſie wußte es noch ganz genau, und ſie hatte ihm die Hand ganz leiſe, aber nur ganz ganz leiſe, wieder gedruͤckt. Was war auch dabei weiter? Druͤckt man doch jedem guten Menſchen die Hand, und nun gar dem Retter ihres ſo ſehr geliebten Vaters, der ihr Alles war, ſeit ihr Muͤtterchen im Schooß der kuͤhlen Erde ſchlummerte! — Aber ſie mußte wohl wieder herauf, die Daͤmmerung ward immer duͤſterer, und das Bereiten des Thees durfte ſie der Tante Letty unmoͤglich uͤberlaſſen. Sie hatte gar nicht die freundliche, manierliche Art, wie es eigentlich geſchehen mußte; und dann lag auch in dem Theeſtuͤndchen ſelbſt ein gar zu beſonderer Reiz, etwas ſo Trauliches und zur Unterhaltung
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Braunen, unter denen die dunklen Augen ſo
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geformte Mund, die maͤnnliche Kraͤftigkeit in dem
geſunden Roth der Wangen und der zarten Blaͤue
des Bartes, das geiſtvolle Laͤcheln, und der Tan¬
nenwuchs! — Tina druͤckte die Augen zu, und
fuhr in dem allerliebſten Gedankenſpiele fort, und
ſenkte das zarte Naͤschen ihres Schelmengeſicht¬
chens in den friſchen Kelch der duftigen Aſter.
Wie er ſie zum Wagen gefuͤhrt, hatte er ſie mit
ſo feinem Anſtande hineingehoben, und ihr die
Hand gekuͤ — ja gekuͤßt hatte er ſie, ſie wußte
es noch ganz genau, und ſie hatte ihm die Hand
ganz leiſe, aber nur ganz ganz leiſe, wieder
gedruͤckt. Was war auch dabei weiter? Druͤckt
man doch jedem guten Menſchen die Hand, und
nun gar dem Retter ihres ſo ſehr geliebten Vaters,
der ihr Alles war, ſeit ihr Muͤtterchen im Schooß
der kuͤhlen Erde ſchlummerte! — Aber ſie mußte
wohl wieder herauf, die Daͤmmerung ward immer
duͤſterer, und das Bereiten des Thees durfte ſie
der Tante Letty unmoͤglich uͤberlaſſen. Sie hatte
gar nicht die freundliche, manierliche Art, wie es
eigentlich geſchehen mußte; und dann lag auch
in dem Theeſtuͤndchen ſelbſt ein gar zu beſonderer
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/27>, abgerufen am 05.05.2024.
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