ten war nun auf das auf den Staatsschatz gegründete stehende Heer gekommen.
Daß das langsame Fortschreiten zu diesem Ziel ein mannigfaches Ineinandergreifen aller drei Arten von Kriegsmacht verursachte, ist natürlich. Unter Heinrich IV. finden wir Lehnsleute, Condottieri und stehendes Heer bei- sammen. Die Condottieri haben sich bis in den 30jäh- rigen Krieg, ja mit einzelnen schwächeren Spuren bis ins achtzehnte Jahrhundert hineingezogen.
Eben so eigenthümlich wie die Kriegsmacht dieser verschiedenen Zeiten war, waren es auch die übrigen Ver- hältnisse der Staaten in Europa. Im Grunde war dieser Welttheil in eine Masse von kleinen Staaten zerfallen, die theils in sich unruhige Republiken, theils kleine in ihrer Regierungsgewalt höchst beschränkte und unsichere Monarchien waren. Ein solcher Staat war gar nicht als eine wahre Einheit zu betrachten, sondern als ein Agglo- merat von lockerverbundenen Kräften. Einen solchen Staat darf man sich also auch nicht wie eine Intelligenz denken die nach einfachen logischen Gesetzen handelt.
Von diesem Gesichtspunkt aus muß man die äußere Politik und die Kriege des Mittelalters betrachten. Man denke nur an die beständigen Züge der deutschen Kaiser nach Italien während eines halben Jahrtausends, ohne daß je eine gründliche Eroberung dieses Landes daraus folgte, oder auch nur die Absicht war. Es ist leicht, dies als einen sich immer erneuernden Fehler, als eine in der Zeit gegründete falsche Ansicht zu betrachten, aber es ist vernünftiger es als eine Folge von hundert großen Ursachen anzusehn in die wir uns allenfalls hinein denken können, die wir aber darum doch nicht mit der Lebendigkeit ergreifen wie der mit ihnen im Konflikt begriffene Handelnde. So
ten war nun auf das auf den Staatsſchatz gegruͤndete ſtehende Heer gekommen.
Daß das langſame Fortſchreiten zu dieſem Ziel ein mannigfaches Ineinandergreifen aller drei Arten von Kriegsmacht verurſachte, iſt natuͤrlich. Unter Heinrich IV. finden wir Lehnsleute, Condottieri und ſtehendes Heer bei- ſammen. Die Condottieri haben ſich bis in den 30jaͤh- rigen Krieg, ja mit einzelnen ſchwaͤcheren Spuren bis ins achtzehnte Jahrhundert hineingezogen.
Eben ſo eigenthuͤmlich wie die Kriegsmacht dieſer verſchiedenen Zeiten war, waren es auch die uͤbrigen Ver- haͤltniſſe der Staaten in Europa. Im Grunde war dieſer Welttheil in eine Maſſe von kleinen Staaten zerfallen, die theils in ſich unruhige Republiken, theils kleine in ihrer Regierungsgewalt hoͤchſt beſchraͤnkte und unſichere Monarchien waren. Ein ſolcher Staat war gar nicht als eine wahre Einheit zu betrachten, ſondern als ein Agglo- merat von lockerverbundenen Kraͤften. Einen ſolchen Staat darf man ſich alſo auch nicht wie eine Intelligenz denken die nach einfachen logiſchen Geſetzen handelt.
Von dieſem Geſichtspunkt aus muß man die aͤußere Politik und die Kriege des Mittelalters betrachten. Man denke nur an die beſtaͤndigen Zuͤge der deutſchen Kaiſer nach Italien waͤhrend eines halben Jahrtauſends, ohne daß je eine gruͤndliche Eroberung dieſes Landes daraus folgte, oder auch nur die Abſicht war. Es iſt leicht, dies als einen ſich immer erneuernden Fehler, als eine in der Zeit gegruͤndete falſche Anſicht zu betrachten, aber es iſt vernuͤnftiger es als eine Folge von hundert großen Urſachen anzuſehn in die wir uns allenfalls hinein denken koͤnnen, die wir aber darum doch nicht mit der Lebendigkeit ergreifen wie der mit ihnen im Konflikt begriffene Handelnde. So
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ten war nun auf das auf den Staatsſchatz gegruͤndete
ſtehende Heer gekommen.
Daß das langſame Fortſchreiten zu dieſem Ziel ein
mannigfaches Ineinandergreifen aller drei Arten von
Kriegsmacht verurſachte, iſt natuͤrlich. Unter Heinrich IV.
finden wir Lehnsleute, Condottieri und ſtehendes Heer bei-
ſammen. Die Condottieri haben ſich bis in den 30jaͤh-
rigen Krieg, ja mit einzelnen ſchwaͤcheren Spuren bis ins
achtzehnte Jahrhundert hineingezogen.
Eben ſo eigenthuͤmlich wie die Kriegsmacht dieſer
verſchiedenen Zeiten war, waren es auch die uͤbrigen Ver-
haͤltniſſe der Staaten in Europa. Im Grunde war dieſer
Welttheil in eine Maſſe von kleinen Staaten zerfallen,
die theils in ſich unruhige Republiken, theils kleine in
ihrer Regierungsgewalt hoͤchſt beſchraͤnkte und unſichere
Monarchien waren. Ein ſolcher Staat war gar nicht als
eine wahre Einheit zu betrachten, ſondern als ein Agglo-
merat von lockerverbundenen Kraͤften. Einen ſolchen Staat
darf man ſich alſo auch nicht wie eine Intelligenz denken
die nach einfachen logiſchen Geſetzen handelt.
Von dieſem Geſichtspunkt aus muß man die aͤußere
Politik und die Kriege des Mittelalters betrachten. Man
denke nur an die beſtaͤndigen Zuͤge der deutſchen Kaiſer
nach Italien waͤhrend eines halben Jahrtauſends, ohne
daß je eine gruͤndliche Eroberung dieſes Landes daraus
folgte, oder auch nur die Abſicht war. Es iſt leicht, dies
als einen ſich immer erneuernden Fehler, als eine in der
Zeit gegruͤndete falſche Anſicht zu betrachten, aber es iſt
vernuͤnftiger es als eine Folge von hundert großen Urſachen
anzuſehn in die wir uns allenfalls hinein denken koͤnnen, die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/122>, abgerufen am 21.11.2024.
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