Nächstdem aber ist das Studium der Kriegsgeschichte beim Mangel eigener Erfahrung allein geeignet eine an- schauliche Vorstellung von Dem zu geben was ich hier die Friktion der ganzen Maschine genannt habe.
Freilich muß man nicht bei den Hauptresultaten ste- hen bleiben, noch weniger sich an das Raisonnement der Geschichtsschreiber halten, sondern so viel als möglich ins Detail gehen. Denn die Geschichtsschreiber haben selten die höchste Wahrheit in der Darstellung zum Zweck; ge- wöhnlich wollen sie die Thaten ihrer Armee verschönern oder auch die Übereinstimmung der Ereignisse mit den ver- meintlichen Regeln beweisen. Sie machen die Geschichte anstatt sie zu schreiben. Viel Geschichte ist für diesen Zweck nicht nöthig. Die detaillirte Kenntniß von ein Paar einzelnen Gefechten ist nützlicher als die allgemeine Kennt- niß vieler Feldzüge. Es ist deshalb nützlicher, mehr einzelne Relationen und Tagebücher zu lesen, wie man sie in den Zeitschriften findet, als eigentliche Geschichtsbücher. Ein Muster einer solchen Relation das nicht übertroffen werden kann, ist die Beschreibung der Vertheidigung von Menin im Jahre 1794, in den Denkwürdigkeiten des Ge- nerals von Scharnhorst. Diese Erzählung, besonders die Erzählung des Ausfalles und Durchschlagens wird Ew. Königlichen Hoheit einen Maßstab an die Hand geben wie man Kriegsgeschichte schreiben muß.
Kein Gefecht in der Welt hat mir so wie dieses die Überzeugung gegeben daß man im Kriege bis zum letzten Augenblick nicht an dem Erfolge verzweifeln muß und daß die Wirkung guter Grundsätze, die überhaupt nie so re- gelmäßig vor sich gehen kann wie man es sich denkt, auch in den unglücklichsten Fällen, wenn man ihren Ein-
Naͤchſtdem aber iſt das Studium der Kriegsgeſchichte beim Mangel eigener Erfahrung allein geeignet eine an- ſchauliche Vorſtellung von Dem zu geben was ich hier die Friktion der ganzen Maſchine genannt habe.
Freilich muß man nicht bei den Hauptreſultaten ſte- hen bleiben, noch weniger ſich an das Raiſonnement der Geſchichtsſchreiber halten, ſondern ſo viel als moͤglich ins Detail gehen. Denn die Geſchichtsſchreiber haben ſelten die hoͤchſte Wahrheit in der Darſtellung zum Zweck; ge- woͤhnlich wollen ſie die Thaten ihrer Armee verſchoͤnern oder auch die Übereinſtimmung der Ereigniſſe mit den ver- meintlichen Regeln beweiſen. Sie machen die Geſchichte anſtatt ſie zu ſchreiben. Viel Geſchichte iſt fuͤr dieſen Zweck nicht noͤthig. Die detaillirte Kenntniß von ein Paar einzelnen Gefechten iſt nuͤtzlicher als die allgemeine Kennt- niß vieler Feldzuͤge. Es iſt deshalb nuͤtzlicher, mehr einzelne Relationen und Tagebuͤcher zu leſen, wie man ſie in den Zeitſchriften findet, als eigentliche Geſchichtsbuͤcher. Ein Muſter einer ſolchen Relation das nicht uͤbertroffen werden kann, iſt die Beſchreibung der Vertheidigung von Menin im Jahre 1794, in den Denkwuͤrdigkeiten des Ge- nerals von Scharnhorſt. Dieſe Erzaͤhlung, beſonders die Erzaͤhlung des Ausfalles und Durchſchlagens wird Ew. Koͤniglichen Hoheit einen Maßſtab an die Hand geben wie man Kriegsgeſchichte ſchreiben muß.
Kein Gefecht in der Welt hat mir ſo wie dieſes die Überzeugung gegeben daß man im Kriege bis zum letzten Augenblick nicht an dem Erfolge verzweifeln muß und daß die Wirkung guter Grundſaͤtze, die uͤberhaupt nie ſo re- gelmaͤßig vor ſich gehen kann wie man es ſich denkt, auch in den ungluͤcklichſten Faͤllen, wenn man ihren Ein-
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Naͤchſtdem aber iſt das Studium der Kriegsgeſchichte
beim Mangel eigener Erfahrung allein geeignet eine an-
ſchauliche Vorſtellung von Dem zu geben was ich hier die
Friktion der ganzen Maſchine genannt habe.
Freilich muß man nicht bei den Hauptreſultaten ſte-
hen bleiben, noch weniger ſich an das Raiſonnement der
Geſchichtsſchreiber halten, ſondern ſo viel als moͤglich ins
Detail gehen. Denn die Geſchichtsſchreiber haben ſelten
die hoͤchſte Wahrheit in der Darſtellung zum Zweck; ge-
woͤhnlich wollen ſie die Thaten ihrer Armee verſchoͤnern
oder auch die Übereinſtimmung der Ereigniſſe mit den ver-
meintlichen Regeln beweiſen. Sie machen die Geſchichte
anſtatt ſie zu ſchreiben. Viel Geſchichte iſt fuͤr dieſen
Zweck nicht noͤthig. Die detaillirte Kenntniß von ein Paar
einzelnen Gefechten iſt nuͤtzlicher als die allgemeine Kennt-
niß vieler Feldzuͤge. Es iſt deshalb nuͤtzlicher, mehr
einzelne Relationen und Tagebuͤcher zu leſen, wie man ſie
in den Zeitſchriften findet, als eigentliche Geſchichtsbuͤcher.
Ein Muſter einer ſolchen Relation das nicht uͤbertroffen
werden kann, iſt die Beſchreibung der Vertheidigung von
Menin im Jahre 1794, in den Denkwuͤrdigkeiten des Ge-
nerals von Scharnhorſt. Dieſe Erzaͤhlung, beſonders die
Erzaͤhlung des Ausfalles und Durchſchlagens wird Ew.
Koͤniglichen Hoheit einen Maßſtab an die Hand geben
wie man Kriegsgeſchichte ſchreiben muß.
Kein Gefecht in der Welt hat mir ſo wie dieſes die
Überzeugung gegeben daß man im Kriege bis zum letzten
Augenblick nicht an dem Erfolge verzweifeln muß und daß
die Wirkung guter Grundſaͤtze, die uͤberhaupt nie ſo re-
gelmaͤßig vor ſich gehen kann wie man es ſich denkt,
auch in den ungluͤcklichſten Faͤllen, wenn man ihren Ein-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/275>, abgerufen am 27.11.2024.
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