Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_042.001
wollen,
sondern auch eine Materie um der Form willen, p1c_042.002
ich muß ein Objektbegehren, etwas realisiren wollen. p1c_042.003
Entweder ich habe kein höheres Leben, oder das höhere p1c_042.004
Leben muß auch ein Objekt haben, wodurch Kants vor dem p1c_042.005
Moralgesetz vorhergehende Lehrsätze widerlegt sind. p1c_042.006
Wollte man vorschützen, es werde ja doch am Ende ein p1c_042.007
Objekt postulirt, ein Zweck des Handelns, nämlich das p1c_042.008
Kantische höchste Gut, nach Würden vertheilte Glückseligkeit, p1c_042.009
so antworte ich, daß, wenn ich um der Form willen p1c_042.010
die Materie Glückseligkeit zu verachten gelernt p1c_042.011
habe, ich jener Form selbst nicht mehr achten kann, die p1c_042.012
sich als weiter nichts ankündigt, denn als Würdigkeit, p1c_042.013
glücklich zu seyn.
Die Form hebt also in dem Objekt p1c_042.014
für vernunftmäßige, endliche Wesen, die Materie p1c_042.015
und die Materie die Form auf. Es ist ein Widerspruch, p1c_042.016
dieses Objekt, und es ist schon das ein Widerspruch, daß p1c_042.017
man erst das Gesetz Handlungen ohne Objekt gebieten läßt, p1c_042.018
und am Ende doch ein Objekt für endliche Wesen postulirt. p1c_042.019
Man setzt stillschweigend voraus, jedermann werde wohl p1c_042.020
glücklich seyn und überhaupt leben wollen, welches der Erfahrung p1c_042.021
widerspricht, welches auf dem Standpunkte der p1c_042.022
Freyheit nicht angenommen werden kann. Ein praktisches p1c_042.023
Grundgesetz muß mich nicht allein nöthigen, recht zu handeln, p1c_042.024
sondern überhaupt nöthigen zu handeln. Ein p1c_042.025
vernünftig freyes Wesen wird aber nur dann genöthigt p1c_042.026
zu handeln, wenn ihm, seiner innern Natur nach, p1c_042.027
ein Objekt des Handelns und Wollens gegeben ist, das p1c_042.028
durch dies Handeln nach und nach hervorgebracht werden

p1c_042.001
wollen,
sondern auch eine Materie um der Form willen, p1c_042.002
ich muß ein Objektbegehren, etwas realisiren wollen. p1c_042.003
Entweder ich habe kein höheres Leben, oder das höhere p1c_042.004
Leben muß auch ein Objekt haben, wodurch Kants vor dem p1c_042.005
Moralgesetz vorhergehende Lehrsätze widerlegt sind. p1c_042.006
Wollte man vorschützen, es werde ja doch am Ende ein p1c_042.007
Objekt postulirt, ein Zweck des Handelns, nämlich das p1c_042.008
Kantische höchste Gut, nach Würden vertheilte Glückseligkeit, p1c_042.009
so antworte ich, daß, wenn ich um der Form willen p1c_042.010
die Materie Glückseligkeit zu verachten gelernt p1c_042.011
habe, ich jener Form selbst nicht mehr achten kann, die p1c_042.012
sich als weiter nichts ankündigt, denn als Würdigkeit, p1c_042.013
glücklich zu seyn.
Die Form hebt also in dem Objekt p1c_042.014
für vernunftmäßige, endliche Wesen, die Materie p1c_042.015
und die Materie die Form auf. Es ist ein Widerspruch, p1c_042.016
dieses Objekt, und es ist schon das ein Widerspruch, daß p1c_042.017
man erst das Gesetz Handlungen ohne Objekt gebieten läßt, p1c_042.018
und am Ende doch ein Objekt für endliche Wesen postulirt. p1c_042.019
Man setzt stillschweigend voraus, jedermann werde wohl p1c_042.020
glücklich seyn und überhaupt leben wollen, welches der Erfahrung p1c_042.021
widerspricht, welches auf dem Standpunkte der p1c_042.022
Freyheit nicht angenommen werden kann. Ein praktisches p1c_042.023
Grundgesetz muß mich nicht allein nöthigen, recht zu handeln, p1c_042.024
sondern überhaupt nöthigen zu handeln. Ein p1c_042.025
vernünftig freyes Wesen wird aber nur dann genöthigt p1c_042.026
zu handeln, wenn ihm, seiner innern Natur nach, p1c_042.027
ein Objekt des Handelns und Wollens gegeben ist, das p1c_042.028
durch dies Handeln nach und nach hervorgebracht werden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0100" n="42"/><lb n="p1c_042.001"/>
wollen,</hi> sondern auch eine <hi rendition="#g">Materie</hi> um der Form willen, <lb n="p1c_042.002"/>
ich <hi rendition="#g">muß</hi> ein <hi rendition="#g">Objektbegehren,</hi> etwas <hi rendition="#g">realisiren</hi> wollen. <lb n="p1c_042.003"/>
Entweder ich habe kein <hi rendition="#g">höheres Leben,</hi> oder das <hi rendition="#g">höhere</hi> <lb n="p1c_042.004"/>
Leben muß auch ein <hi rendition="#g">Objekt</hi> haben, wodurch Kants vor dem <lb n="p1c_042.005"/> <hi rendition="#g">Moralgesetz</hi> vorhergehende Lehrsätze widerlegt sind. <lb n="p1c_042.006"/>
Wollte man vorschützen, es werde ja doch am Ende ein <lb n="p1c_042.007"/> <hi rendition="#g">Objekt</hi> postulirt, ein Zweck des Handelns, nämlich das <lb n="p1c_042.008"/>
Kantische höchste Gut, nach Würden vertheilte Glückseligkeit, <lb n="p1c_042.009"/>
so antworte ich, daß, wenn ich um der <hi rendition="#g">Form</hi> willen <lb n="p1c_042.010"/>
die <hi rendition="#g">Materie Glückseligkeit</hi> zu verachten gelernt <lb n="p1c_042.011"/>
habe, ich jener <hi rendition="#g">Form</hi> selbst nicht mehr achten kann, die <lb n="p1c_042.012"/>
sich als weiter nichts ankündigt, denn als <hi rendition="#g">Würdigkeit, <lb n="p1c_042.013"/>
glücklich zu seyn.</hi> Die Form hebt also in dem <hi rendition="#g">Objekt</hi> <lb n="p1c_042.014"/>
für vernunftmäßige, endliche Wesen, die <hi rendition="#g">Materie</hi> <lb n="p1c_042.015"/>
und die <hi rendition="#g">Materie</hi> die <hi rendition="#g">Form</hi> auf. Es ist ein Widerspruch, <lb n="p1c_042.016"/>
dieses <hi rendition="#g">Objekt,</hi> und es ist schon das ein Widerspruch, daß <lb n="p1c_042.017"/>
man erst das Gesetz Handlungen ohne Objekt gebieten läßt, <lb n="p1c_042.018"/>
und am Ende doch ein Objekt für endliche Wesen postulirt. <lb n="p1c_042.019"/>
Man setzt stillschweigend voraus, jedermann werde wohl <lb n="p1c_042.020"/>
glücklich seyn und überhaupt leben wollen, welches der Erfahrung <lb n="p1c_042.021"/>
widerspricht, welches auf dem Standpunkte der <lb n="p1c_042.022"/>
Freyheit nicht angenommen werden kann. Ein praktisches <lb n="p1c_042.023"/>
Grundgesetz muß mich nicht allein nöthigen, recht zu handeln, <lb n="p1c_042.024"/>
sondern überhaupt <hi rendition="#g">nöthigen</hi> zu <hi rendition="#g">handeln.</hi> Ein <lb n="p1c_042.025"/> <hi rendition="#g">vernünftig freyes</hi> Wesen wird aber nur dann <hi rendition="#g">genöthigt</hi> <lb n="p1c_042.026"/>
zu handeln, wenn ihm, seiner innern Natur nach, <lb n="p1c_042.027"/>
ein <hi rendition="#g">Objekt</hi> des Handelns und Wollens gegeben ist, das <lb n="p1c_042.028"/>
durch dies <hi rendition="#g">Handeln</hi> nach und nach hervorgebracht werden
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0100] p1c_042.001 wollen, sondern auch eine Materie um der Form willen, p1c_042.002 ich muß ein Objektbegehren, etwas realisiren wollen. p1c_042.003 Entweder ich habe kein höheres Leben, oder das höhere p1c_042.004 Leben muß auch ein Objekt haben, wodurch Kants vor dem p1c_042.005 Moralgesetz vorhergehende Lehrsätze widerlegt sind. p1c_042.006 Wollte man vorschützen, es werde ja doch am Ende ein p1c_042.007 Objekt postulirt, ein Zweck des Handelns, nämlich das p1c_042.008 Kantische höchste Gut, nach Würden vertheilte Glückseligkeit, p1c_042.009 so antworte ich, daß, wenn ich um der Form willen p1c_042.010 die Materie Glückseligkeit zu verachten gelernt p1c_042.011 habe, ich jener Form selbst nicht mehr achten kann, die p1c_042.012 sich als weiter nichts ankündigt, denn als Würdigkeit, p1c_042.013 glücklich zu seyn. Die Form hebt also in dem Objekt p1c_042.014 für vernunftmäßige, endliche Wesen, die Materie p1c_042.015 und die Materie die Form auf. Es ist ein Widerspruch, p1c_042.016 dieses Objekt, und es ist schon das ein Widerspruch, daß p1c_042.017 man erst das Gesetz Handlungen ohne Objekt gebieten läßt, p1c_042.018 und am Ende doch ein Objekt für endliche Wesen postulirt. p1c_042.019 Man setzt stillschweigend voraus, jedermann werde wohl p1c_042.020 glücklich seyn und überhaupt leben wollen, welches der Erfahrung p1c_042.021 widerspricht, welches auf dem Standpunkte der p1c_042.022 Freyheit nicht angenommen werden kann. Ein praktisches p1c_042.023 Grundgesetz muß mich nicht allein nöthigen, recht zu handeln, p1c_042.024 sondern überhaupt nöthigen zu handeln. Ein p1c_042.025 vernünftig freyes Wesen wird aber nur dann genöthigt p1c_042.026 zu handeln, wenn ihm, seiner innern Natur nach, p1c_042.027 ein Objekt des Handelns und Wollens gegeben ist, das p1c_042.028 durch dies Handeln nach und nach hervorgebracht werden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/100
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/100>, abgerufen am 24.11.2024.