p1c_082.001 bis zur Anschauung des Unsichtbaren steigt, diesen Makduff, p1c_082.002 der zur Rache gegen den Tyrannen aufgemuntert wird, p1c_082.003 weil derselbe seine Kinder tödtete, und verzweifelt ausruft: p1c_082.004 He has no children, so muß man gestehen, daß kein p1c_082.005 Dichter der Welt, die hebräischen und den Dante ausgenommen, p1c_082.006 in Ansehung des Heftigschönen dem Englischen p1c_082.007 an die Seite gesetzt werden könne. Mit einer Gewalt, p1c_082.008 der selbst von dem Materialisten nicht widerstanden werden p1c_082.009 kann, reißt er die Phantasie heraus aus der gewöhnlichen p1c_082.010 Ordnung der Dinge, trennt sie von der fest gestalteten Natur p1c_082.011 und erhebt sie auf den Standpunkt des freyen Willens. p1c_082.012 Wir sehen die unsichtbare Geisterwelt mit moralisch pathologischer p1c_082.013 Evidenz vor uns, und der Stolz einer aufgeklärten p1c_082.014 ruhigen Erfahrung muß dem Gefühl von etwas wundervollem p1c_082.015 höheren weichen, das in dem Aufruhre der Leidenschaften p1c_082.016 rege wird, alle ausgebildeten Gedanken der Seele p1c_082.017 mächtig verzerrt, und die Natur in das alte Chaos zurück p1c_082.018 zu stürzen droht. Vermöchte er es eben so oft, diese furchtbar p1c_082.019 schönen Dissonanzen im Kampf der Freyheit und Natur p1c_082.020 durch eine reine Erhabenheit aufzulösen (ungefähr wie in p1c_082.021 der letzten Hexenscene durch die Erscheinung der guten Könige), p1c_082.022 so würde kein Dichter moralischer seyn. Allein nur zu sehr p1c_082.023 bleibt die Bitterkeit über das Schicksal, und Menschenhaß p1c_082.024 das Resultat des Shakespearischen Genius. Er kann uns p1c_082.025 Wunden schlagen, die nicht anders, als durch Himmelsbalsam p1c_082.026 zu heilen sind, er kann in uns die höchste Sehnsucht p1c_082.027 nach diesem Himmelsbalsam erwecken, aber selbst heilen p1c_082.028 kann er die geschlagnen Wunden nicht. Jn so fern stehen
p1c_082.001 bis zur Anschauung des Unsichtbaren steigt, diesen Makduff, p1c_082.002 der zur Rache gegen den Tyrannen aufgemuntert wird, p1c_082.003 weil derselbe seine Kinder tödtete, und verzweifelt ausruft: p1c_082.004 He has no children, so muß man gestehen, daß kein p1c_082.005 Dichter der Welt, die hebräischen und den Dante ausgenommen, p1c_082.006 in Ansehung des Heftigschönen dem Englischen p1c_082.007 an die Seite gesetzt werden könne. Mit einer Gewalt, p1c_082.008 der selbst von dem Materialisten nicht widerstanden werden p1c_082.009 kann, reißt er die Phantasie heraus aus der gewöhnlichen p1c_082.010 Ordnung der Dinge, trennt sie von der fest gestalteten Natur p1c_082.011 und erhebt sie auf den Standpunkt des freyen Willens. p1c_082.012 Wir sehen die unsichtbare Geisterwelt mit moralisch pathologischer p1c_082.013 Evidenz vor uns, und der Stolz einer aufgeklärten p1c_082.014 ruhigen Erfahrung muß dem Gefühl von etwas wundervollem p1c_082.015 höheren weichen, das in dem Aufruhre der Leidenschaften p1c_082.016 rege wird, alle ausgebildeten Gedanken der Seele p1c_082.017 mächtig verzerrt, und die Natur in das alte Chaos zurück p1c_082.018 zu stürzen droht. Vermöchte er es eben so oft, diese furchtbar p1c_082.019 schönen Dissonanzen im Kampf der Freyheit und Natur p1c_082.020 durch eine reine Erhabenheit aufzulösen (ungefähr wie in p1c_082.021 der letzten Hexenscene durch die Erscheinung der guten Könige), p1c_082.022 so würde kein Dichter moralischer seyn. Allein nur zu sehr p1c_082.023 bleibt die Bitterkeit über das Schicksal, und Menschenhaß p1c_082.024 das Resultat des Shakespearischen Genius. Er kann uns p1c_082.025 Wunden schlagen, die nicht anders, als durch Himmelsbalsam p1c_082.026 zu heilen sind, er kann in uns die höchste Sehnsucht p1c_082.027 nach diesem Himmelsbalsam erwecken, aber selbst heilen p1c_082.028 kann er die geschlagnen Wunden nicht. Jn so fern stehen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0140"n="82"/><lbn="p1c_082.001"/>
bis zur Anschauung des Unsichtbaren steigt, diesen Makduff, <lbn="p1c_082.002"/>
der zur Rache gegen den Tyrannen aufgemuntert wird, <lbn="p1c_082.003"/>
weil derselbe seine Kinder tödtete, und verzweifelt ausruft: <lbn="p1c_082.004"/><hirendition="#aq">He has no children</hi>, so muß man gestehen, daß kein <lbn="p1c_082.005"/>
Dichter der Welt, die hebräischen und den Dante ausgenommen, <lbn="p1c_082.006"/>
in Ansehung des <hirendition="#g">Heftigschönen</hi> dem Englischen <lbn="p1c_082.007"/>
an die Seite gesetzt werden könne. Mit einer Gewalt, <lbn="p1c_082.008"/>
der selbst von dem Materialisten nicht widerstanden werden <lbn="p1c_082.009"/>
kann, reißt er die Phantasie heraus aus der gewöhnlichen <lbn="p1c_082.010"/>
Ordnung der Dinge, trennt sie von der fest gestalteten Natur <lbn="p1c_082.011"/>
und erhebt sie auf den Standpunkt des <hirendition="#g">freyen</hi> Willens. <lbn="p1c_082.012"/>
Wir sehen die unsichtbare Geisterwelt mit moralisch pathologischer <lbn="p1c_082.013"/>
Evidenz vor uns, und der Stolz einer aufgeklärten <lbn="p1c_082.014"/>
ruhigen Erfahrung muß dem Gefühl von etwas wundervollem <lbn="p1c_082.015"/>
höheren weichen, das in dem Aufruhre der Leidenschaften <lbn="p1c_082.016"/>
rege wird, alle ausgebildeten Gedanken der Seele <lbn="p1c_082.017"/>
mächtig verzerrt, und die Natur in das alte Chaos zurück <lbn="p1c_082.018"/>
zu stürzen droht. Vermöchte er es eben so oft, diese furchtbar <lbn="p1c_082.019"/>
schönen Dissonanzen im Kampf der Freyheit und Natur <lbn="p1c_082.020"/>
durch eine reine Erhabenheit aufzulösen (ungefähr wie in <lbn="p1c_082.021"/>
der letzten Hexenscene durch die Erscheinung der guten Könige), <lbn="p1c_082.022"/>
so würde kein Dichter moralischer seyn. Allein nur zu sehr <lbn="p1c_082.023"/>
bleibt die Bitterkeit über das Schicksal, und Menschenhaß <lbn="p1c_082.024"/>
das Resultat des Shakespearischen Genius. Er kann uns <lbn="p1c_082.025"/>
Wunden schlagen, die nicht anders, als durch Himmelsbalsam <lbn="p1c_082.026"/>
zu heilen sind, er kann in uns die höchste Sehnsucht <lbn="p1c_082.027"/>
nach diesem Himmelsbalsam erwecken, aber selbst heilen <lbn="p1c_082.028"/>
kann er die geschlagnen Wunden nicht. Jn so fern stehen
</p></div></div></body></text></TEI>
[82/0140]
p1c_082.001
bis zur Anschauung des Unsichtbaren steigt, diesen Makduff, p1c_082.002
der zur Rache gegen den Tyrannen aufgemuntert wird, p1c_082.003
weil derselbe seine Kinder tödtete, und verzweifelt ausruft: p1c_082.004
He has no children, so muß man gestehen, daß kein p1c_082.005
Dichter der Welt, die hebräischen und den Dante ausgenommen, p1c_082.006
in Ansehung des Heftigschönen dem Englischen p1c_082.007
an die Seite gesetzt werden könne. Mit einer Gewalt, p1c_082.008
der selbst von dem Materialisten nicht widerstanden werden p1c_082.009
kann, reißt er die Phantasie heraus aus der gewöhnlichen p1c_082.010
Ordnung der Dinge, trennt sie von der fest gestalteten Natur p1c_082.011
und erhebt sie auf den Standpunkt des freyen Willens. p1c_082.012
Wir sehen die unsichtbare Geisterwelt mit moralisch pathologischer p1c_082.013
Evidenz vor uns, und der Stolz einer aufgeklärten p1c_082.014
ruhigen Erfahrung muß dem Gefühl von etwas wundervollem p1c_082.015
höheren weichen, das in dem Aufruhre der Leidenschaften p1c_082.016
rege wird, alle ausgebildeten Gedanken der Seele p1c_082.017
mächtig verzerrt, und die Natur in das alte Chaos zurück p1c_082.018
zu stürzen droht. Vermöchte er es eben so oft, diese furchtbar p1c_082.019
schönen Dissonanzen im Kampf der Freyheit und Natur p1c_082.020
durch eine reine Erhabenheit aufzulösen (ungefähr wie in p1c_082.021
der letzten Hexenscene durch die Erscheinung der guten Könige), p1c_082.022
so würde kein Dichter moralischer seyn. Allein nur zu sehr p1c_082.023
bleibt die Bitterkeit über das Schicksal, und Menschenhaß p1c_082.024
das Resultat des Shakespearischen Genius. Er kann uns p1c_082.025
Wunden schlagen, die nicht anders, als durch Himmelsbalsam p1c_082.026
zu heilen sind, er kann in uns die höchste Sehnsucht p1c_082.027
nach diesem Himmelsbalsam erwecken, aber selbst heilen p1c_082.028
kann er die geschlagnen Wunden nicht. Jn so fern stehen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/140>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.