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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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seufzt zum Himmel und spricht kein Wort. Die Sonne p1c_101.002
kommt dreymal und geht. Er bleibt ohne Schlaf, ohne p1c_101.003
Speise. Am vierten Tage tritt die volle Raserey ein. Er p1c_101.004
zieht sich die Rüstung vom Rücken, daß die Waffen zerstreut p1c_101.005
liegen an allen Ecken des Waldes. Nachher zerreißt p1c_101.006
er sich die Kleider und zeigt nackt seine rauhhaarige Brust, p1c_101.007
seinen muskelvollen Leib. (Vergleiche Sophocl. Trachin. p1c_101.008
750. seq
. Die Schilderung des sinnlichen Schmerzes p1c_101.009
gränzt dort an das Ekelhafte und bleibt hinter der des Ariosts p1c_101.010
zurück.) Mächtige Wuth umnebelt alle seine Sinnen. Er p1c_101.011
denkt nicht mehr an den gewaltigen Degen, der so wunderbare p1c_101.012
Thaten verrichten kann. Zur Probe seiner eignen p1c_101.013
Kraft packt er eine hohe Fichte und entwurzelt sie mit der p1c_101.014
ersten Erschütterung. - Jn Shakespears Othello ist das p1c_101.015
Wachsen der Leidenschaft nicht so romantisch, aber psychologisch p1c_101.016
feiner und für das Jnnere der Seele angreifender geschildert. p1c_101.017
Eine gewisse ruhige Stärke geht hier vorher, wie p1c_101.018
eine Stille vor dem Sturm. 'Tis not to make me jealous, p1c_101.019
to say - my wife is fair, feeds well, loves p1c_101.020
company, is free of speech, sings plays, and dances p1c_101.021
well, where virtue is, these are more virtuous; nor p1c_101.022
from mine own weak merits will i draw the smallest p1c_101.023
fear, or doubt of her revolt. For she had eyes, and p1c_101.024
chose me. No, Jago, i 'll see, before i doubt; p1c_101.025
when i doubt, prove, and, on the proof, there is p1c_101.026
no more, but this - away at once with love, or p1c_101.027
jealousy
. Nach und nach wächst die Unruhe des Zweifelns, p1c_101.028
der stürmische Wunsch nach einem deutlichen Beweise. Vi-

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seufzt zum Himmel und spricht kein Wort. Die Sonne p1c_101.002
kommt dreymal und geht. Er bleibt ohne Schlaf, ohne p1c_101.003
Speise. Am vierten Tage tritt die volle Raserey ein. Er p1c_101.004
zieht sich die Rüstung vom Rücken, daß die Waffen zerstreut p1c_101.005
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denkt nicht mehr an den gewaltigen Degen, der so wunderbare p1c_101.012
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Kraft packt er eine hohe Fichte und entwurzelt sie mit der p1c_101.014
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Wachsen der Leidenschaft nicht so romantisch, aber psychologisch p1c_101.016
feiner und für das Jnnere der Seele angreifender geschildert. p1c_101.017
Eine gewisse ruhige Stärke geht hier vorher, wie p1c_101.018
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/159>, abgerufen am 12.05.2024.