p1c_155.001 Herzen, bloße Verstandsmenschen, kurz Plattköpfe, schachmatte p1c_155.002 Chinesen an Leib und Seele. Da hört man von p1c_155.003 nichts, als von Logogryphen, Charaden, Räthseln, Trioletten, p1c_155.004 Bouflerschen Wort=, Reim- und Antithesenspielen, p1c_155.005 anthologischen Distichen u. s. w. Jndessen ist doch das p1c_155.006 Niedliche bey den Dichtern, wenn es nicht allein herrscht, p1c_155.007 oft nicht ohne Verdienst. In tenui labor, at tenuis non p1c_155.008 gloria. Wer wird nicht den ewigen Schöpfergeist, der p1c_155.009 den Orion mit Sternen gürtete, auch im kleinen vollendeten p1c_155.010 Vergißmeinnicht bewundern? Beyspiele des Niedlichen.p1c_155.011 Ungeachtet die Poesie der Morgenländer mehr für p1c_155.012 das gigantisch Große ist, so findet sich doch bey ihnen auch p1c_155.013 nicht selten das Niedlichschöne. Dies beweisen viele Bilder p1c_155.014 und Vergleichungen im hohen Lied Salomonis (K. 4.), z. p1c_155.015 B. das in der Atala nachgeahmte: "Jhre zwo Brüste sind, p1c_155.016 wie zwey junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden." p1c_155.017 Jn Ansehung der Jndischen Poesie bezeugt es das vielleicht p1c_155.018 1900 Jahre alte Gedicht Sakontala oder the fatal p1c_155.019 ring von Kalidas, aus der Ursprache Sanscrit und Pracritp1c_155.020 übersetzt ins Englische von Will. Jones und ins Deutsche p1c_155.021 von Georg Forster. Hierher gehört z. B. der Zug, p1c_155.022 wo Duschmanta das Bild seiner Geliebten vor sich hat, mit p1c_155.023 einer gemahlten Biene, die sich ihr auf die Lippen setzen p1c_155.024 will. Er hält sie für lebendig, zürnt über ihre Verwegenheit, p1c_155.025 erinnert sich dann, daß das ganze ein Bild ist und p1c_155.026 weint. An einem andern Orte: "Diese Lippen, deren Zartheit p1c_155.027 nur noch geahnt, noch nie erprobt worden ist, scheinen p1c_155.028 mit entzückendem Zittern ihre Einwilligung zu geben, daß
p1c_155.001 Herzen, bloße Verstandsmenschen, kurz Plattköpfe, schachmatte p1c_155.002 Chinesen an Leib und Seele. Da hört man von p1c_155.003 nichts, als von Logogryphen, Charaden, Räthseln, Trioletten, p1c_155.004 Bouflerschen Wort=, Reim- und Antithesenspielen, p1c_155.005 anthologischen Distichen u. s. w. Jndessen ist doch das p1c_155.006 Niedliche bey den Dichtern, wenn es nicht allein herrscht, p1c_155.007 oft nicht ohne Verdienst. In tenui labor, at tenuis non p1c_155.008 gloria. Wer wird nicht den ewigen Schöpfergeist, der p1c_155.009 den Orion mit Sternen gürtete, auch im kleinen vollendeten p1c_155.010 Vergißmeinnicht bewundern? Beyspiele des Niedlichen.p1c_155.011 Ungeachtet die Poesie der Morgenländer mehr für p1c_155.012 das gigantisch Große ist, so findet sich doch bey ihnen auch p1c_155.013 nicht selten das Niedlichschöne. Dies beweisen viele Bilder p1c_155.014 und Vergleichungen im hohen Lied Salomonis (K. 4.), z. p1c_155.015 B. das in der Atala nachgeahmte: „Jhre zwo Brüste sind, p1c_155.016 wie zwey junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden.“ p1c_155.017 Jn Ansehung der Jndischen Poesie bezeugt es das vielleicht p1c_155.018 1900 Jahre alte Gedicht Sakontala oder the fatal p1c_155.019 ring von Kalidas, aus der Ursprache Sanscrit und Pracritp1c_155.020 übersetzt ins Englische von Will. Jones und ins Deutsche p1c_155.021 von Georg Forster. Hierher gehört z. B. der Zug, p1c_155.022 wo Duschmanta das Bild seiner Geliebten vor sich hat, mit p1c_155.023 einer gemahlten Biene, die sich ihr auf die Lippen setzen p1c_155.024 will. Er hält sie für lebendig, zürnt über ihre Verwegenheit, p1c_155.025 erinnert sich dann, daß das ganze ein Bild ist und p1c_155.026 weint. An einem andern Orte: „Diese Lippen, deren Zartheit p1c_155.027 nur noch geahnt, noch nie erprobt worden ist, scheinen p1c_155.028 mit entzückendem Zittern ihre Einwilligung zu geben, daß
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/213>, abgerufen am 25.11.2024.
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