Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.p1c_158.001 p1c_158.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0216" n="158"/><lb n="p1c_158.001"/><foreign xml:lang="grc">ἀνθος, ροδον ἐαρος μελημα</foreign> ─ ─ <foreign xml:lang="grc">το δε γαρ θεων</foreign> <lb n="p1c_158.002"/> <foreign xml:lang="grc">ἀημα, το δε και βροτῶν το χαρμα, χαρισιν τ' ἀγαλμ' ἐν</foreign> <lb n="p1c_158.003"/> <foreign xml:lang="grc">ὡραις, πολυανθεων ἐρωτων, αφροδισιον τ' ἀθυρμα, το</foreign> <lb n="p1c_158.004"/> <foreign xml:lang="grc">δε και μελημα μυθοις, χαριεν φυτον τε μουσων</foreign>. Welch <lb n="p1c_158.005"/> ein <hi rendition="#g">erhabener</hi> Gedanke im <hi rendition="#g">Niedlichen,</hi> daß die Rose <lb n="p1c_158.006"/> die Todten im Grabe beschützt. <foreign xml:lang="grc">Τοδε και νεκροῖς ἀμυνει</foreign>. <lb n="p1c_158.007"/> Von ähnlicher Schönheit ist die Beschreibung der Rose in <lb n="p1c_158.008"/> <hi rendition="#aq">Pervigilio Veneris: Ipsa jussit, mane ut udae virgines <lb n="p1c_158.009"/> nubant rosae, factae Cypris</hi> (oder: <hi rendition="#aq">Adonis) de <lb n="p1c_158.010"/> cruore, deque amoris osculis, deque gemmis, deque <lb n="p1c_158.011"/> flammis, deque solis purpuris</hi>. Den Deutschen ist die <lb n="p1c_158.012"/> Nachahmung des Anakreon selten gelungen; unsere Sprache <lb n="p1c_158.013"/> ist zu ernsthaft. Gar leicht fällt sie, wenn sie tändeln will, <lb n="p1c_158.014"/> in das <hi rendition="#g">Läppische</hi> und <hi rendition="#g">Gemeine,</hi> z. B. das Gedicht <lb n="p1c_158.015"/> Gleims an eine schwarze Lerche: „Lerche, mit dem schwarzen <lb n="p1c_158.016"/> Kopfe, mit dem glänzend schwarzen Schnabel. Sage! <lb n="p1c_158.017"/> bist du nicht ein Hähnchen? Deine freye <hi rendition="#g">Vogelmiene</hi> ist <lb n="p1c_158.018"/> so männlich, wie die meine. ─ ─ Sage! hast du denn <lb n="p1c_158.019"/> kein Weibchen, sind dir deine Kinder ähnlich, oder hast du <lb n="p1c_158.020"/> keine Schwestern? Wo sind deine <hi rendition="#g">Anverwandte?</hi> Gleicht <lb n="p1c_158.021"/> dein Vater dir an Farbe, oder was hat ihn <hi rendition="#g">bewogen,</hi> <lb n="p1c_158.022"/> daß er dich so schwarz <hi rendition="#g">gefärbet?</hi> ─ Vogel, schaffe mir <lb n="p1c_158.023"/> geschwinde junge Lerchen, die dir gleichen. Ja, du mußt <lb n="p1c_158.024"/> dich gleich <hi rendition="#g">verlieben.</hi> Sieh, hier ist für dich ein Weibchen. <lb n="p1c_158.025"/> Sieh, mein Mädchen soll dirs geben, nimms und <lb n="p1c_158.026"/> schaffe mir <hi rendition="#g">Brünetten.</hi> ─ Mädchen sieh, er wird sich <lb n="p1c_158.027"/> paaren, Mädchen <hi rendition="#g">sieh,</hi> er ist kein <hi rendition="#g">Hähnchen.</hi> Sieh, <lb n="p1c_158.028"/> wie <hi rendition="#g">artig</hi> kann man irren. ─ Doris, ja du kannst ja </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [158/0216]
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ἀνθος, ροδον ἐαρος μελημα ─ ─ το δε γαρ θεων p1c_158.002
ἀημα, το δε και βροτῶν το χαρμα, χαρισιν τ' ἀγαλμ' ἐν p1c_158.003
ὡραις, πολυανθεων ἐρωτων, αφροδισιον τ' ἀθυρμα, το p1c_158.004
δε και μελημα μυθοις, χαριεν φυτον τε μουσων. Welch p1c_158.005
ein erhabener Gedanke im Niedlichen, daß die Rose p1c_158.006
die Todten im Grabe beschützt. Τοδε και νεκροῖς ἀμυνει. p1c_158.007
Von ähnlicher Schönheit ist die Beschreibung der Rose in p1c_158.008
Pervigilio Veneris: Ipsa jussit, mane ut udae virgines p1c_158.009
nubant rosae, factae Cypris (oder: Adonis) de p1c_158.010
cruore, deque amoris osculis, deque gemmis, deque p1c_158.011
flammis, deque solis purpuris. Den Deutschen ist die p1c_158.012
Nachahmung des Anakreon selten gelungen; unsere Sprache p1c_158.013
ist zu ernsthaft. Gar leicht fällt sie, wenn sie tändeln will, p1c_158.014
in das Läppische und Gemeine, z. B. das Gedicht p1c_158.015
Gleims an eine schwarze Lerche: „Lerche, mit dem schwarzen p1c_158.016
Kopfe, mit dem glänzend schwarzen Schnabel. Sage! p1c_158.017
bist du nicht ein Hähnchen? Deine freye Vogelmiene ist p1c_158.018
so männlich, wie die meine. ─ ─ Sage! hast du denn p1c_158.019
kein Weibchen, sind dir deine Kinder ähnlich, oder hast du p1c_158.020
keine Schwestern? Wo sind deine Anverwandte? Gleicht p1c_158.021
dein Vater dir an Farbe, oder was hat ihn bewogen, p1c_158.022
daß er dich so schwarz gefärbet? ─ Vogel, schaffe mir p1c_158.023
geschwinde junge Lerchen, die dir gleichen. Ja, du mußt p1c_158.024
dich gleich verlieben. Sieh, hier ist für dich ein Weibchen. p1c_158.025
Sieh, mein Mädchen soll dirs geben, nimms und p1c_158.026
schaffe mir Brünetten. ─ Mädchen sieh, er wird sich p1c_158.027
paaren, Mädchen sieh, er ist kein Hähnchen. Sieh, p1c_158.028
wie artig kann man irren. ─ Doris, ja du kannst ja
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