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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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der Phantasie angetroffen wird, als wenn sie im Einzelnen p1c_180.004
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darf sie dee einzelnen Theilvorstellungen nicht so lebendig p1c_180.006
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zu Stande bringen muß. Sie hat also eben so wenig, p1c_180.008
wie bey Verstandesarbeiten Zeit zu scherzen. Es ist hier p1c_180.009
um eine höhere Einheit zu thun, simplex duntaxat et p1c_180.010
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. Hingegen, wenn sie sich mehr mit den Theilvorstellungen p1c_180.011
unterhält, ohne durch eine Hauptempfindung zu p1c_180.012
sehr beherrscht zu werden, dann scherzt sie. Es ist ihr p1c_180.013
weniger ein ernsthafter idealer Zweck vorgeschrieben. p1c_180.014
Sie will sich blos im Leben erhalten. Weil aber dieses p1c_180.015
Leben, wenn es nicht ganz üppig werden soll, doch eine p1c_180.016
Art Gesetzlichkeit haben muß, so muß sich der Scherz der p1c_180.017
Phantasie, wie z. B. bey Ariost und Wieland, mit p1c_180.018
Grazie bewegen, und es muß zu gleicher Zeit in dem poetischen p1c_180.019
Gedanken dargethan werden, daß der Geist Muße p1c_180.020
habe, und durch nichts Ernstes seine höhere Einheit beschränkt p1c_180.021
sey. Zum Scherzhaften gehört auch das Lächerliche. p1c_180.022
Das Lachen ist eine körperliche Erschütterung, p1c_180.023
die aus einer Erweckung des Lebensreizes entsteht. An sich p1c_180.024
ist das Lachen nichts Unangenehmes. Das beweißt das p1c_180.025
reine Lachen der Kinder. Das ist ein Jubeln der Freude, p1c_180.026
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ein Scherz der menschlichen Natur, die sich selbst in eine p1c_180.028
fröhliche Bewegung setzt, ohne einen andern Zweck dabey

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also nur zum niedern Schönen, und zwar zur Grazie zu p1c_180.002
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der Phantasie angetroffen wird, als wenn sie im Einzelnen p1c_180.004
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Art Gesetzlichkeit haben muß, so muß sich der Scherz der p1c_180.017
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/238>, abgerufen am 11.05.2024.