Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_181.001
zu haben, als eben diese Bewegung. Bey Erwachsenen, p1c_181.002
bey zunehmender Bildung des Geistes ist das Lachen ebenfalls p1c_181.003
eine willkührliche Bewegung der Seelen- und Körperkraft. p1c_181.004
Aber diese Bewegung ist schon nicht so rein angenehm p1c_181.005
mehr. Der ans Leben gewöhnte Mensch kann nicht p1c_181.006
so leicht mehr gereizt werden. Er bedarf dazu auffallender p1c_181.007
Gegenstände, mit unter sich abstechenden Vorstellungen, p1c_181.008
die sich vom Gewöhnlichen entfernen. Daher gehört p1c_181.009
zum Lächerlichen ein gewisser Contrast in zwey doch zusammengehaltenen p1c_181.010
Vorstellungen, eine Unvollkommenheit in p1c_181.011
der Gestaltung des Begriffs. Etwas blos unpassendes ist p1c_181.012
noch nicht lächerlich. Z. B. Trophäen des Kriegs auf p1c_181.013
einem Jagdhause, das verdient wohl Winkelmanns Tadel, p1c_181.014
aber es erregt noch kein Lachen, eben so wenig das p1c_181.015
blos Häßliche und Ungestaltete. Ueber das Ungestaltete p1c_181.016
und Unpassende lachen wir erst, wenn es ganz auffallend p1c_181.017
wird, wenn der Widerspruch gerade das Entgegengesetzteste p1c_181.018
zu vereinigen droht. Thersites, der schwache, p1c_181.019
Häßliche, wird erst da lächerlich, wenn er von Gefangenen p1c_181.020
spricht, die er etwa mache, und die sich Agamemnon zueigne. p1c_181.021
Man lacht, wenn aus einer schönen Equipage mit p1c_181.022
sechs Pferden ein Tagelöhner herauskriecht, wenn eine p1c_181.023
Senfte mit vielem Pomp anlangt und ein Senftenträger p1c_181.024
heraussteigt, wenn einer einen Stutzerhut und Renomistenstiefeln p1c_181.025
trägt. Dieses ganz Auffallende setzt selbst ganz p1c_181.026
lebensmüde, gedankensatte Seelen in Bewegung. Wer p1c_181.027
sich literarisch den Magen verdorben hat, wie z. B. das p1c_181.028
deutsche Publikum, muß doch noch lachen. Daher findet

p1c_181.001
zu haben, als eben diese Bewegung. Bey Erwachsenen, p1c_181.002
bey zunehmender Bildung des Geistes ist das Lachen ebenfalls p1c_181.003
eine willkührliche Bewegung der Seelen- und Körperkraft. p1c_181.004
Aber diese Bewegung ist schon nicht so rein angenehm p1c_181.005
mehr. Der ans Leben gewöhnte Mensch kann nicht p1c_181.006
so leicht mehr gereizt werden. Er bedarf dazu auffallender p1c_181.007
Gegenstände, mit unter sich abstechenden Vorstellungen, p1c_181.008
die sich vom Gewöhnlichen entfernen. Daher gehört p1c_181.009
zum Lächerlichen ein gewisser Contrast in zwey doch zusammengehaltenen p1c_181.010
Vorstellungen, eine Unvollkommenheit in p1c_181.011
der Gestaltung des Begriffs. Etwas blos unpassendes ist p1c_181.012
noch nicht lächerlich. Z. B. Trophäen des Kriegs auf p1c_181.013
einem Jagdhause, das verdient wohl Winkelmanns Tadel, p1c_181.014
aber es erregt noch kein Lachen, eben so wenig das p1c_181.015
blos Häßliche und Ungestaltete. Ueber das Ungestaltete p1c_181.016
und Unpassende lachen wir erst, wenn es ganz auffallend p1c_181.017
wird, wenn der Widerspruch gerade das Entgegengesetzteste p1c_181.018
zu vereinigen droht. Thersites, der schwache, p1c_181.019
Häßliche, wird erst da lächerlich, wenn er von Gefangenen p1c_181.020
spricht, die er etwa mache, und die sich Agamemnon zueigne. p1c_181.021
Man lacht, wenn aus einer schönen Equipage mit p1c_181.022
sechs Pferden ein Tagelöhner herauskriecht, wenn eine p1c_181.023
Senfte mit vielem Pomp anlangt und ein Senftenträger p1c_181.024
heraussteigt, wenn einer einen Stutzerhut und Renomistenstiefeln p1c_181.025
trägt. Dieses ganz Auffallende setzt selbst ganz p1c_181.026
lebensmüde, gedankensatte Seelen in Bewegung. Wer p1c_181.027
sich literarisch den Magen verdorben hat, wie z. B. das p1c_181.028
deutsche Publikum, muß doch noch lachen. Daher findet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0239" n="181"/><lb n="p1c_181.001"/>
zu haben, als eben diese Bewegung. Bey Erwachsenen, <lb n="p1c_181.002"/>
bey zunehmender Bildung des Geistes ist das <hi rendition="#g">Lachen</hi> ebenfalls <lb n="p1c_181.003"/>
eine willkührliche Bewegung der Seelen- und Körperkraft. <lb n="p1c_181.004"/>
Aber diese Bewegung ist schon nicht so rein angenehm <lb n="p1c_181.005"/>
mehr. Der ans Leben gewöhnte Mensch kann nicht <lb n="p1c_181.006"/>
so leicht mehr gereizt werden. Er bedarf dazu <hi rendition="#g">auffallender</hi> <lb n="p1c_181.007"/>
Gegenstände, mit unter sich abstechenden Vorstellungen, <lb n="p1c_181.008"/>
die sich vom Gewöhnlichen entfernen. Daher gehört <lb n="p1c_181.009"/>
zum Lächerlichen ein gewisser Contrast in zwey doch zusammengehaltenen <lb n="p1c_181.010"/>
Vorstellungen, eine Unvollkommenheit in <lb n="p1c_181.011"/>
der Gestaltung des Begriffs. Etwas blos unpassendes ist <lb n="p1c_181.012"/>
noch nicht lächerlich. Z. B. Trophäen des Kriegs auf <lb n="p1c_181.013"/>
einem Jagdhause, das verdient wohl <hi rendition="#g">Winkelmanns</hi> Tadel, <lb n="p1c_181.014"/>
aber es erregt noch kein Lachen, eben so wenig das <lb n="p1c_181.015"/>
blos Häßliche und Ungestaltete. Ueber das Ungestaltete <lb n="p1c_181.016"/>
und Unpassende lachen wir erst, wenn es ganz <hi rendition="#g">auffallend</hi> <lb n="p1c_181.017"/>
wird, wenn der Widerspruch gerade das <hi rendition="#g">Entgegengesetzteste</hi> <lb n="p1c_181.018"/>
zu vereinigen droht. <hi rendition="#g">Thersites,</hi> der schwache, <lb n="p1c_181.019"/>
Häßliche, wird erst da lächerlich, wenn er von Gefangenen <lb n="p1c_181.020"/>
spricht, die er etwa mache, und die sich Agamemnon zueigne. <lb n="p1c_181.021"/>
Man lacht, wenn aus einer schönen Equipage mit <lb n="p1c_181.022"/>
sechs Pferden ein Tagelöhner herauskriecht, wenn eine <lb n="p1c_181.023"/>
Senfte mit vielem Pomp anlangt und ein Senftenträger <lb n="p1c_181.024"/>
heraussteigt, wenn einer einen Stutzerhut und Renomistenstiefeln <lb n="p1c_181.025"/>
trägt. Dieses ganz <hi rendition="#g">Auffallende</hi> setzt selbst ganz <lb n="p1c_181.026"/>
lebensmüde, gedankensatte Seelen in Bewegung. Wer <lb n="p1c_181.027"/>
sich literarisch den Magen verdorben hat, wie z. B. das <lb n="p1c_181.028"/>
deutsche Publikum, muß doch noch <hi rendition="#g">lachen.</hi> Daher findet
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0239] p1c_181.001 zu haben, als eben diese Bewegung. Bey Erwachsenen, p1c_181.002 bey zunehmender Bildung des Geistes ist das Lachen ebenfalls p1c_181.003 eine willkührliche Bewegung der Seelen- und Körperkraft. p1c_181.004 Aber diese Bewegung ist schon nicht so rein angenehm p1c_181.005 mehr. Der ans Leben gewöhnte Mensch kann nicht p1c_181.006 so leicht mehr gereizt werden. Er bedarf dazu auffallender p1c_181.007 Gegenstände, mit unter sich abstechenden Vorstellungen, p1c_181.008 die sich vom Gewöhnlichen entfernen. Daher gehört p1c_181.009 zum Lächerlichen ein gewisser Contrast in zwey doch zusammengehaltenen p1c_181.010 Vorstellungen, eine Unvollkommenheit in p1c_181.011 der Gestaltung des Begriffs. Etwas blos unpassendes ist p1c_181.012 noch nicht lächerlich. Z. B. Trophäen des Kriegs auf p1c_181.013 einem Jagdhause, das verdient wohl Winkelmanns Tadel, p1c_181.014 aber es erregt noch kein Lachen, eben so wenig das p1c_181.015 blos Häßliche und Ungestaltete. Ueber das Ungestaltete p1c_181.016 und Unpassende lachen wir erst, wenn es ganz auffallend p1c_181.017 wird, wenn der Widerspruch gerade das Entgegengesetzteste p1c_181.018 zu vereinigen droht. Thersites, der schwache, p1c_181.019 Häßliche, wird erst da lächerlich, wenn er von Gefangenen p1c_181.020 spricht, die er etwa mache, und die sich Agamemnon zueigne. p1c_181.021 Man lacht, wenn aus einer schönen Equipage mit p1c_181.022 sechs Pferden ein Tagelöhner herauskriecht, wenn eine p1c_181.023 Senfte mit vielem Pomp anlangt und ein Senftenträger p1c_181.024 heraussteigt, wenn einer einen Stutzerhut und Renomistenstiefeln p1c_181.025 trägt. Dieses ganz Auffallende setzt selbst ganz p1c_181.026 lebensmüde, gedankensatte Seelen in Bewegung. Wer p1c_181.027 sich literarisch den Magen verdorben hat, wie z. B. das p1c_181.028 deutsche Publikum, muß doch noch lachen. Daher findet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/239
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/239>, abgerufen am 11.05.2024.