p1c_285.001 Erwähnung gethan. Jndessen geben sie doch auch der dichterischen p1c_285.002 Sprache besondere Gestalt. Sie geben ihr ausgezeichnete p1c_285.003 Wendungen. Deswegen werden sie als besondere p1c_285.004 lumina orationis angesehen, die zuweilen auch der Redner p1c_285.005 gebraucht. Und so werden sie auch gewöhnlich in p1c_285.006 dem Kapitel von der poetischen Sprache abgehandelt. Wir p1c_285.007 wollen sie zum Unterschied von den vorigen, die weniger p1c_285.008 ausgezeichnet sind, figuras maiores, jene minoresp1c_285.009 nennen. Hierher kann man rechnen 1) die Beschreibung,p1c_285.010 Descriptio. Sie ist von der Hypotyposis (in der p1c_285.011 vorigen Anmerkung) dadurch unterschieden, daß sie den p1c_285.012 dichterischen Gegenstand nach allen Theilen seiner Gestalt p1c_285.013 genau abmahlt, ohne sich ihn gerade, wie jene, als gegenwärtig p1c_285.014 zu denken. Sie ist also etwas minder Lebhaftes, p1c_285.015 als jene. Sie ist aber eben deswegen auch nicht so vorübergehend. p1c_285.016 Durch sie wird der Phantasie nach und nach die p1c_285.017 Anschauung als werdend gegeben. Besonders gebrauchen p1c_285.018 die erzählenden Dichter diese Figur. Sie fangen gemeiniglich p1c_285.019 mit einer Schilderung an, Est locus u. s. w. eh man p1c_285.020 noch weiß, warum geschildert wird. Dies erregt Aufmerksamkeit p1c_285.021 und giebt der Erzählung Würde. Mitten in der p1c_285.022 Handlung selbst hingegen sind die Beschreibungen sehr mit p1c_285.023 Vorsicht zu gebrauchen, damit sie nicht, wie Horaz sagt, p1c_285.024 ein purpureus pannus werden, die umsonst die Einbildungskraft p1c_285.025 in Thätigkeit setzen. Die Haupthandlung muß p1c_285.026 freylich glänzend beschrieben werden, z. B. der vorgebliche p1c_285.027 Tod Orests in der Electra des Sophocles, das Ungeheuer p1c_285.028 im Tod des Hyppolits beym Racine. Die Beschreibung
p1c_285.001 Erwähnung gethan. Jndessen geben sie doch auch der dichterischen p1c_285.002 Sprache besondere Gestalt. Sie geben ihr ausgezeichnete p1c_285.003 Wendungen. Deswegen werden sie als besondere p1c_285.004 lumina orationis angesehen, die zuweilen auch der Redner p1c_285.005 gebraucht. Und so werden sie auch gewöhnlich in p1c_285.006 dem Kapitel von der poetischen Sprache abgehandelt. Wir p1c_285.007 wollen sie zum Unterschied von den vorigen, die weniger p1c_285.008 ausgezeichnet sind, figuras maiores, jene minoresp1c_285.009 nennen. Hierher kann man rechnen 1) die Beschreibung,p1c_285.010 Descriptio. Sie ist von der Hypotyposis (in der p1c_285.011 vorigen Anmerkung) dadurch unterschieden, daß sie den p1c_285.012 dichterischen Gegenstand nach allen Theilen seiner Gestalt p1c_285.013 genau abmahlt, ohne sich ihn gerade, wie jene, als gegenwärtig p1c_285.014 zu denken. Sie ist also etwas minder Lebhaftes, p1c_285.015 als jene. Sie ist aber eben deswegen auch nicht so vorübergehend. p1c_285.016 Durch sie wird der Phantasie nach und nach die p1c_285.017 Anschauung als werdend gegeben. Besonders gebrauchen p1c_285.018 die erzählenden Dichter diese Figur. Sie fangen gemeiniglich p1c_285.019 mit einer Schilderung an, Est locus u. s. w. eh man p1c_285.020 noch weiß, warum geschildert wird. Dies erregt Aufmerksamkeit p1c_285.021 und giebt der Erzählung Würde. Mitten in der p1c_285.022 Handlung selbst hingegen sind die Beschreibungen sehr mit p1c_285.023 Vorsicht zu gebrauchen, damit sie nicht, wie Horaz sagt, p1c_285.024 ein purpureus pannus werden, die umsonst die Einbildungskraft p1c_285.025 in Thätigkeit setzen. Die Haupthandlung muß p1c_285.026 freylich glänzend beschrieben werden, z. B. der vorgebliche p1c_285.027 Tod Orests in der Electra des Sophocles, das Ungeheuer p1c_285.028 im Tod des Hyppolits beym Racine. Die Beschreibung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0343"n="285"/><lbn="p1c_285.001"/>
Erwähnung gethan. Jndessen geben sie doch auch der dichterischen <lbn="p1c_285.002"/>
Sprache besondere <hirendition="#g">Gestalt.</hi> Sie geben ihr ausgezeichnete <lbn="p1c_285.003"/>
Wendungen. Deswegen werden sie als besondere <lbn="p1c_285.004"/><hirendition="#aq">lumina orationis</hi> angesehen, die zuweilen auch der Redner <lbn="p1c_285.005"/>
gebraucht. Und so werden sie auch gewöhnlich in <lbn="p1c_285.006"/>
dem Kapitel von der poetischen Sprache abgehandelt. Wir <lbn="p1c_285.007"/>
wollen sie zum Unterschied von den vorigen, die weniger <lbn="p1c_285.008"/>
ausgezeichnet sind, <hirendition="#aq">figuras <hirendition="#g">maiores</hi></hi>, jene <hirendition="#aq"><hirendition="#g">minores</hi></hi><lbn="p1c_285.009"/>
nennen. Hierher kann man rechnen 1) die <hirendition="#g">Beschreibung,</hi><lbn="p1c_285.010"/><hirendition="#aq">Descriptio</hi>. Sie ist von der Hypotyposis (in der <lbn="p1c_285.011"/>
vorigen Anmerkung) dadurch unterschieden, daß sie den <lbn="p1c_285.012"/>
dichterischen Gegenstand nach allen Theilen seiner Gestalt <lbn="p1c_285.013"/>
genau abmahlt, ohne sich ihn gerade, wie jene, als gegenwärtig <lbn="p1c_285.014"/>
zu denken. Sie ist also etwas minder Lebhaftes, <lbn="p1c_285.015"/>
als jene. Sie ist aber eben deswegen auch nicht so vorübergehend. <lbn="p1c_285.016"/>
Durch sie wird der Phantasie nach und nach die <lbn="p1c_285.017"/>
Anschauung als <hirendition="#g">werdend</hi> gegeben. Besonders gebrauchen <lbn="p1c_285.018"/>
die erzählenden Dichter diese Figur. Sie fangen gemeiniglich <lbn="p1c_285.019"/>
mit einer Schilderung an, <hirendition="#aq">Est locus</hi> u. s. w. eh man <lbn="p1c_285.020"/>
noch weiß, warum geschildert wird. Dies erregt Aufmerksamkeit <lbn="p1c_285.021"/>
und giebt der Erzählung Würde. Mitten in der <lbn="p1c_285.022"/>
Handlung selbst hingegen sind die Beschreibungen sehr mit <lbn="p1c_285.023"/>
Vorsicht zu gebrauchen, damit sie nicht, wie Horaz sagt, <lbn="p1c_285.024"/>
ein <hirendition="#aq">purpureus pannus</hi> werden, die umsonst die Einbildungskraft <lbn="p1c_285.025"/>
in Thätigkeit setzen. Die Haupthandlung muß <lbn="p1c_285.026"/>
freylich glänzend beschrieben werden, z. B. der vorgebliche <lbn="p1c_285.027"/>
Tod Orests in der Electra des Sophocles, das Ungeheuer <lbn="p1c_285.028"/>
im Tod des Hyppolits beym Racine. Die Beschreibung
</p></div></div></body></text></TEI>
[285/0343]
p1c_285.001
Erwähnung gethan. Jndessen geben sie doch auch der dichterischen p1c_285.002
Sprache besondere Gestalt. Sie geben ihr ausgezeichnete p1c_285.003
Wendungen. Deswegen werden sie als besondere p1c_285.004
lumina orationis angesehen, die zuweilen auch der Redner p1c_285.005
gebraucht. Und so werden sie auch gewöhnlich in p1c_285.006
dem Kapitel von der poetischen Sprache abgehandelt. Wir p1c_285.007
wollen sie zum Unterschied von den vorigen, die weniger p1c_285.008
ausgezeichnet sind, figuras maiores, jene minores p1c_285.009
nennen. Hierher kann man rechnen 1) die Beschreibung, p1c_285.010
Descriptio. Sie ist von der Hypotyposis (in der p1c_285.011
vorigen Anmerkung) dadurch unterschieden, daß sie den p1c_285.012
dichterischen Gegenstand nach allen Theilen seiner Gestalt p1c_285.013
genau abmahlt, ohne sich ihn gerade, wie jene, als gegenwärtig p1c_285.014
zu denken. Sie ist also etwas minder Lebhaftes, p1c_285.015
als jene. Sie ist aber eben deswegen auch nicht so vorübergehend. p1c_285.016
Durch sie wird der Phantasie nach und nach die p1c_285.017
Anschauung als werdend gegeben. Besonders gebrauchen p1c_285.018
die erzählenden Dichter diese Figur. Sie fangen gemeiniglich p1c_285.019
mit einer Schilderung an, Est locus u. s. w. eh man p1c_285.020
noch weiß, warum geschildert wird. Dies erregt Aufmerksamkeit p1c_285.021
und giebt der Erzählung Würde. Mitten in der p1c_285.022
Handlung selbst hingegen sind die Beschreibungen sehr mit p1c_285.023
Vorsicht zu gebrauchen, damit sie nicht, wie Horaz sagt, p1c_285.024
ein purpureus pannus werden, die umsonst die Einbildungskraft p1c_285.025
in Thätigkeit setzen. Die Haupthandlung muß p1c_285.026
freylich glänzend beschrieben werden, z. B. der vorgebliche p1c_285.027
Tod Orests in der Electra des Sophocles, das Ungeheuer p1c_285.028
im Tod des Hyppolits beym Racine. Die Beschreibung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/343>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.