p1c_468.001 Anmerk. 2. Die neuere Philosophie hat auch viele p1c_468.002 Untersuchungen über die Offenbarung angestellt, aber p1c_468.003 den Begriff der Offenbarung im engern Sinne ganz p1c_468.004 verfehlt. Gewöhnlich definirte man: Offenbarung als p1c_468.005 ein besonderes Factum in der Sinnenwelt, wodurch sich p1c_468.006 Gott als ein moralischer Gesetzgeber ankündige. So wäre p1c_468.007 die Offenbarung etwas höchst Zufälliges. Jst dieser p1c_468.008 Begriffa posteriori abstrahirt, so ist er falsch. Denn p1c_468.009 das, was die Menschen Offenbarung nennen, enthält p1c_468.010 mehr, und entspricht ganz dem von uns aufgestellten. Jst p1c_468.011 der Begriffa priori gebildet, so ist er ganz unzulänglich p1c_468.012 und der Vernunft zuwider. Ein Factum in der Sinnenwelt p1c_468.013 allein ist in Beziehung auf die Moralitätp1c_468.014 nichts. Denn die Moralität ist etwas Uebersinnliches. p1c_468.015 Offenbarung muß zu gleicher Zeit eine Thatsache in der p1c_468.016 Seelenwelt seyn. Ueberdem postulirt die Vernunft mehr, p1c_468.017 als so ein einzelnes Factum, das man, nach jener Theorie, p1c_468.018 historisch annehmen, und auch nicht annehmen kann, mehr p1c_468.019 als eine Gesetzgebung, welche schon durch das innere p1c_468.020 Gefühl fest steht. Sie verlangt die Darstellung der p1c_468.021 ganzen Weltgeschichte nach idealen Ansichten, sie verlangt p1c_468.022 für den Menschen die Evidenz, daß die ganze Sinnenwelt p1c_468.023 unter der Leitung Gottes stehe und nach moralischen p1c_468.024 Zwecken regiert werde. Die Offenbarung begleitet alle p1c_468.025 Weltbegebenheiten, soll immer fort ins Leben wirken, und p1c_468.026 als Geschichte in jedem Herzen fortgesetzt werden. Uebrigens p1c_468.027 läßt sich der Glaube an Offenbarung, eben deswegen, p1c_468.028 weil sie kein bloßes Factum in der Sinnenwelt ist, niemandem
p1c_468.001 Anmerk. 2. Die neuere Philosophie hat auch viele p1c_468.002 Untersuchungen über die Offenbarung angestellt, aber p1c_468.003 den Begriff der Offenbarung im engern Sinne ganz p1c_468.004 verfehlt. Gewöhnlich definirte man: Offenbarung als p1c_468.005 ein besonderes Factum in der Sinnenwelt, wodurch sich p1c_468.006 Gott als ein moralischer Gesetzgeber ankündige. So wäre p1c_468.007 die Offenbarung etwas höchst Zufälliges. Jst dieser p1c_468.008 Begriffa posteriori abstrahirt, so ist er falsch. Denn p1c_468.009 das, was die Menschen Offenbarung nennen, enthält p1c_468.010 mehr, und entspricht ganz dem von uns aufgestellten. Jst p1c_468.011 der Begriffa priori gebildet, so ist er ganz unzulänglich p1c_468.012 und der Vernunft zuwider. Ein Factum in der Sinnenwelt p1c_468.013 allein ist in Beziehung auf die Moralitätp1c_468.014 nichts. Denn die Moralität ist etwas Uebersinnliches. p1c_468.015 Offenbarung muß zu gleicher Zeit eine Thatsache in der p1c_468.016 Seelenwelt seyn. Ueberdem postulirt die Vernunft mehr, p1c_468.017 als so ein einzelnes Factum, das man, nach jener Theorie, p1c_468.018 historisch annehmen, und auch nicht annehmen kann, mehr p1c_468.019 als eine Gesetzgebung, welche schon durch das innere p1c_468.020 Gefühl fest steht. Sie verlangt die Darstellung der p1c_468.021 ganzen Weltgeschichte nach idealen Ansichten, sie verlangt p1c_468.022 für den Menschen die Evidenz, daß die ganze Sinnenwelt p1c_468.023 unter der Leitung Gottes stehe und nach moralischen p1c_468.024 Zwecken regiert werde. Die Offenbarung begleitet alle p1c_468.025 Weltbegebenheiten, soll immer fort ins Leben wirken, und p1c_468.026 als Geschichte in jedem Herzen fortgesetzt werden. Uebrigens p1c_468.027 läßt sich der Glaube an Offenbarung, eben deswegen, p1c_468.028 weil sie kein bloßes Factum in der Sinnenwelt ist, niemandem
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Untersuchungen über die Offenbarung angestellt, aber p1c_468.003
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/526>, abgerufen am 24.11.2024.
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