Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_028.001
Christus habe sich hier und da geirrt, Gott müsse ein gerechter, p1c_028.002
nach dem Buchstaben strafender, kein vergebender Gott, p1c_028.003
kein Vater seyn. Nein, auf den höchsten Standpunkt des p1c_028.004
Wissens, der nicht erklügelt werden kann, können wir nur p1c_028.005
durch Erleuchtung, durch Erhebung über das Jndividuum, p1c_028.006
durch ein Wunder Gottes, gestellt werden. Menschen, p1c_028.007
am Ende ihres Kreislaufs, ruft euch die Philosophie zu: p1c_028.008
Jch bin Wissenschaft, aber nur durch die Religion. Jch p1c_028.009
strebte hin, Metaphysik und Moral zu werden. Da vernichtete p1c_028.010
ich mich. Mein Forschen und Grübeln, und die p1c_028.011
Seuche der historischen sinnlichen Gelehrsamkeit, haben p1c_028.012
euch auf den umgekehrten ganz falschen Standpunkt gestellt, p1c_028.013
wir haben euch vorgespiegelt, das Wissen, das Erfahren, p1c_028.014
das Begreifen müsse dem Handeln vorausgehn. Nein. Die p1c_028.015
Natur hat euch nicht rückwärts, sondern vorwärts gerichtet. p1c_028.016
Diese Einheit, die letzte Ruhe eures reflectirenden Wissens, p1c_028.017
euer volles Wissen liegt in eurem Handeln. Sobald euer p1c_028.018
höheres Seyn erwacht, seyd ihr nicht Sklaven, sondern Helden p1c_028.019
der Geschichte, nicht Schüler der Menschheit vor euch, p1c_028.020
der Natur um euch, sondern Meister der Schöpfung, durch p1c_028.021
den Gott in euch. Dazu hat euch das Wunder p1c_028.022
Gottes, die Offenbarung berufen! Genießt nun, nach meiner p1c_028.023
Verirrung mit freyerem Sinne die Früchte der göttlichen p1c_028.024
Offenbarung!

p1c_028.025
Und was ist das nicht wissenschaftliche, nur zu ahnende p1c_028.026
Resultat jener göttlichen Offenbarung, welche neue philosophische p1c_028.027
Theologen unter dem herabwürdigenden Bilde einer

p1c_028.001
Christus habe sich hier und da geirrt, Gott müsse ein gerechter, p1c_028.002
nach dem Buchstaben strafender, kein vergebender Gott, p1c_028.003
kein Vater seyn. Nein, auf den höchsten Standpunkt des p1c_028.004
Wissens, der nicht erklügelt werden kann, können wir nur p1c_028.005
durch Erleuchtung, durch Erhebung über das Jndividuum, p1c_028.006
durch ein Wunder Gottes, gestellt werden. Menschen, p1c_028.007
am Ende ihres Kreislaufs, ruft euch die Philosophie zu: p1c_028.008
Jch bin Wissenschaft, aber nur durch die Religion. Jch p1c_028.009
strebte hin, Metaphysik und Moral zu werden. Da vernichtete p1c_028.010
ich mich. Mein Forschen und Grübeln, und die p1c_028.011
Seuche der historischen sinnlichen Gelehrsamkeit, haben p1c_028.012
euch auf den umgekehrten ganz falschen Standpunkt gestellt, p1c_028.013
wir haben euch vorgespiegelt, das Wissen, das Erfahren, p1c_028.014
das Begreifen müsse dem Handeln vorausgehn. Nein. Die p1c_028.015
Natur hat euch nicht rückwärts, sondern vorwärts gerichtet. p1c_028.016
Diese Einheit, die letzte Ruhe eures reflectirenden Wissens, p1c_028.017
euer volles Wissen liegt in eurem Handeln. Sobald euer p1c_028.018
höheres Seyn erwacht, seyd ihr nicht Sklaven, sondern Helden p1c_028.019
der Geschichte, nicht Schüler der Menschheit vor euch, p1c_028.020
der Natur um euch, sondern Meister der Schöpfung, durch p1c_028.021
den Gott in euch. Dazu hat euch das Wunder p1c_028.022
Gottes, die Offenbarung berufen! Genießt nun, nach meiner p1c_028.023
Verirrung mit freyerem Sinne die Früchte der göttlichen p1c_028.024
Offenbarung!

p1c_028.025
Und was ist das nicht wissenschaftliche, nur zu ahnende p1c_028.026
Resultat jener göttlichen Offenbarung, welche neue philosophische p1c_028.027
Theologen unter dem herabwürdigenden Bilde einer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="28"/><lb n="p1c_028.001"/>
Christus habe sich hier und da geirrt, Gott müsse ein gerechter, <lb n="p1c_028.002"/>
nach dem Buchstaben strafender, kein vergebender Gott, <lb n="p1c_028.003"/>
kein Vater seyn. Nein, auf den höchsten Standpunkt des <lb n="p1c_028.004"/>
Wissens, der nicht erklügelt werden kann, können wir nur <lb n="p1c_028.005"/>
durch Erleuchtung, durch Erhebung über das Jndividuum, <lb n="p1c_028.006"/>
durch ein Wunder Gottes, gestellt werden. Menschen, <lb n="p1c_028.007"/>
am Ende ihres Kreislaufs, ruft euch die Philosophie zu: <lb n="p1c_028.008"/>
Jch bin Wissenschaft, aber nur durch die Religion. Jch <lb n="p1c_028.009"/>
strebte hin, Metaphysik und Moral zu werden. Da vernichtete <lb n="p1c_028.010"/>
ich mich. Mein Forschen und Grübeln, und die <lb n="p1c_028.011"/>
Seuche der historischen sinnlichen Gelehrsamkeit, haben <lb n="p1c_028.012"/>
euch auf den umgekehrten ganz falschen Standpunkt gestellt, <lb n="p1c_028.013"/>
wir haben euch vorgespiegelt, das <hi rendition="#g">Wissen,</hi> das Erfahren, <lb n="p1c_028.014"/>
das Begreifen müsse dem Handeln vorausgehn. Nein. Die <lb n="p1c_028.015"/>
Natur hat euch nicht rückwärts, sondern vorwärts gerichtet. <lb n="p1c_028.016"/>
Diese Einheit, die letzte Ruhe eures reflectirenden Wissens, <lb n="p1c_028.017"/>
euer volles Wissen liegt in eurem Handeln. Sobald euer <lb n="p1c_028.018"/>
höheres Seyn erwacht, seyd ihr nicht Sklaven, sondern Helden <lb n="p1c_028.019"/>
der Geschichte, nicht Schüler der Menschheit vor euch, <lb n="p1c_028.020"/>
der Natur um euch, sondern Meister der Schöpfung, durch <lb n="p1c_028.021"/>
den Gott in euch. Dazu hat euch das Wunder <lb n="p1c_028.022"/>
Gottes, die Offenbarung berufen! Genießt nun, nach meiner <lb n="p1c_028.023"/>
Verirrung mit freyerem Sinne die Früchte der göttlichen <lb n="p1c_028.024"/>
Offenbarung!</p>
          <p><lb n="p1c_028.025"/>
Und was ist das nicht wissenschaftliche, nur zu ahnende <lb n="p1c_028.026"/>
Resultat jener göttlichen Offenbarung, welche neue philosophische <lb n="p1c_028.027"/>
Theologen unter dem herabwürdigenden Bilde einer
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0086] p1c_028.001 Christus habe sich hier und da geirrt, Gott müsse ein gerechter, p1c_028.002 nach dem Buchstaben strafender, kein vergebender Gott, p1c_028.003 kein Vater seyn. Nein, auf den höchsten Standpunkt des p1c_028.004 Wissens, der nicht erklügelt werden kann, können wir nur p1c_028.005 durch Erleuchtung, durch Erhebung über das Jndividuum, p1c_028.006 durch ein Wunder Gottes, gestellt werden. Menschen, p1c_028.007 am Ende ihres Kreislaufs, ruft euch die Philosophie zu: p1c_028.008 Jch bin Wissenschaft, aber nur durch die Religion. Jch p1c_028.009 strebte hin, Metaphysik und Moral zu werden. Da vernichtete p1c_028.010 ich mich. Mein Forschen und Grübeln, und die p1c_028.011 Seuche der historischen sinnlichen Gelehrsamkeit, haben p1c_028.012 euch auf den umgekehrten ganz falschen Standpunkt gestellt, p1c_028.013 wir haben euch vorgespiegelt, das Wissen, das Erfahren, p1c_028.014 das Begreifen müsse dem Handeln vorausgehn. Nein. Die p1c_028.015 Natur hat euch nicht rückwärts, sondern vorwärts gerichtet. p1c_028.016 Diese Einheit, die letzte Ruhe eures reflectirenden Wissens, p1c_028.017 euer volles Wissen liegt in eurem Handeln. Sobald euer p1c_028.018 höheres Seyn erwacht, seyd ihr nicht Sklaven, sondern Helden p1c_028.019 der Geschichte, nicht Schüler der Menschheit vor euch, p1c_028.020 der Natur um euch, sondern Meister der Schöpfung, durch p1c_028.021 den Gott in euch. Dazu hat euch das Wunder p1c_028.022 Gottes, die Offenbarung berufen! Genießt nun, nach meiner p1c_028.023 Verirrung mit freyerem Sinne die Früchte der göttlichen p1c_028.024 Offenbarung! p1c_028.025 Und was ist das nicht wissenschaftliche, nur zu ahnende p1c_028.026 Resultat jener göttlichen Offenbarung, welche neue philosophische p1c_028.027 Theologen unter dem herabwürdigenden Bilde einer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/86
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/86>, abgerufen am 10.05.2024.