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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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Widersprechendem strebe, indem das Urseyn nie völlig p1c_038.002
angeschaut werden könnte. Allein dieser Widerspruch ist die p1c_038.003
einzige Quelle alles äußern Lebens. Wenn die äußere Anschauung p1c_038.004
das innere Urseyn erreichte, so hätte dasselbe sich p1c_038.005
noch einmal dargestellt, wir hätten zwey Urkräfte im Gleichgewicht, p1c_038.006
und das Leben ständ still. Eben darum bringt p1c_038.007
der Urgeist immer neue Möglichkeiten aus seinem Wesen p1c_038.008
hervor, um immer mehr von sich selbst in einer äußern p1c_038.009
Schöpfung zu erblicken. Jn allen freyen Künsten, so wie p1c_038.010
überhaupt im äußern Leben, ist also nur Approximation p1c_038.011
möglich ins Unendliche. Der Ausdruck Urschönheit ist p1c_038.012
ein Widerspruch, den nur die geheimnißvolle Jdee der innern p1c_038.013
seligen Gottheit aufheben kann.

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§. 2.

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Die Natur des Schönen zu bestimmen, gehört p1c_038.016
eigentlich für die Aesthetik, für die allgemeine p1c_038.017
Psychologie, und setzt voraus, daß es eine rationale p1c_038.018
Psychologie gebe, welche der empirischen Psychologie p1c_038.019
Grundsätze, als Hypothesen zur Erklärung der Wirklichkeit p1c_038.020
an die Hand gebe. Der gegenwärtige Zustand p1c_038.021
der Philosophie macht es nöthig, das Schöne hier p1c_038.022
genauer zu deduciren.

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Widersprechendem strebe, indem das Urseyn nie völlig p1c_038.002
angeschaut werden könnte. Allein dieser Widerspruch ist die p1c_038.003
einzige Quelle alles äußern Lebens. Wenn die äußere Anschauung p1c_038.004
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[38/0096] p1c_038.001 Widersprechendem strebe, indem das Urseyn nie völlig p1c_038.002 angeschaut werden könnte. Allein dieser Widerspruch ist die p1c_038.003 einzige Quelle alles äußern Lebens. Wenn die äußere Anschauung p1c_038.004 das innere Urseyn erreichte, so hätte dasselbe sich p1c_038.005 noch einmal dargestellt, wir hätten zwey Urkräfte im Gleichgewicht, p1c_038.006 und das Leben ständ still. Eben darum bringt p1c_038.007 der Urgeist immer neue Möglichkeiten aus seinem Wesen p1c_038.008 hervor, um immer mehr von sich selbst in einer äußern p1c_038.009 Schöpfung zu erblicken. Jn allen freyen Künsten, so wie p1c_038.010 überhaupt im äußern Leben, ist also nur Approximation p1c_038.011 möglich ins Unendliche. Der Ausdruck Urschönheit ist p1c_038.012 ein Widerspruch, den nur die geheimnißvolle Jdee der innern p1c_038.013 seligen Gottheit aufheben kann. p1c_038.014 §. 2. p1c_038.015 Die Natur des Schönen zu bestimmen, gehört p1c_038.016 eigentlich für die Aesthetik, für die allgemeine p1c_038.017 Psychologie, und setzt voraus, daß es eine rationale p1c_038.018 Psychologie gebe, welche der empirischen Psychologie p1c_038.019 Grundsätze, als Hypothesen zur Erklärung der Wirklichkeit p1c_038.020 an die Hand gebe. Der gegenwärtige Zustand p1c_038.021 der Philosophie macht es nöthig, das Schöne hier p1c_038.022 genauer zu deduciren.

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/96>, abgerufen am 09.05.2024.