Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite
p1c_039.001
§. 3.

p1c_039.002
An der Spitze der rationalen Psychologie steht als p1c_039.003
erster Satz der Jmperatif des instinktfreyen Lebens: p1c_039.004
Vernimm die Causalität der Freyheit, die in dir seyn, p1c_039.005
durch dich wirken, dich zum Bewußtseyn erheben will. p1c_039.006
Vernimm dich, werde dir bewußt zur Vernunft, indem p1c_039.007
du außer dir Reales hervorbringst, um die innere formelle p1c_039.008
idealisirende Geistesnatur darinnen anzuschaun. p1c_039.009
Laß wirken in dir den freyen Geist eine Annäherung des p1c_039.010
Jchs und der Welt, des unendlichen Subjekts und unendlichen p1c_039.011
Objekts. Folge dem gebietenden Geiste, um stets p1c_039.012
mehr wirklich zu machen das absolut Wahre und Gute.

p1c_039.013
Anmerk. 1. Das Kantische Grundgesetz der reinen p1c_039.014
praktischen Vernunft heißt: "Handle so, daß die Maxime p1c_039.015
deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen p1c_039.016
Gesetzgebung gelten könne." Diese Formel hat zwey p1c_039.017
logische Fehler und Widersprüche, die jeder einsehen p1c_039.018
wird, wenn er darauf aufmerksam gemacht ist. 1) Sie p1c_039.019
kündet sich als Grundgesetz der praktischen Vernunft p1c_039.020
an; das heißt, als das höchste Gesetz, wodurch die p1c_039.021
Vernunft sich selbst und durch sie das vernunftbegabte Wesen p1c_039.022
zum Handeln bestimme. Gleichwohl gebietet die Formel nicht p1c_039.023
das Handeln selbst, sondern beschränkt nur die Handlungsweise. p1c_039.024
Wenn wir Handlungsweise Sitte nennen, p1c_039.025
so ist es also höchstens Sittengesetz zu nennen. Nun p1c_039.026
setzt aber ein solches Sittengesetz, so formell und rein es

p1c_039.001
§. 3.

p1c_039.002
An der Spitze der rationalen Psychologie steht als p1c_039.003
erster Satz der Jmperatif des instinktfreyen Lebens: p1c_039.004
Vernimm die Causalität der Freyheit, die in dir seyn, p1c_039.005
durch dich wirken, dich zum Bewußtseyn erheben will. p1c_039.006
Vernimm dich, werde dir bewußt zur Vernunft, indem p1c_039.007
du außer dir Reales hervorbringst, um die innere formelle p1c_039.008
idealisirende Geistesnatur darinnen anzuschaun. p1c_039.009
Laß wirken in dir den freyen Geist eine Annäherung des p1c_039.010
Jchs und der Welt, des unendlichen Subjekts und unendlichen p1c_039.011
Objekts. Folge dem gebietenden Geiste, um stets p1c_039.012
mehr wirklich zu machen das absolut Wahre und Gute.

p1c_039.013
Anmerk. 1. Das Kantische Grundgesetz der reinen p1c_039.014
praktischen Vernunft heißt: „Handle so, daß die Maxime p1c_039.015
deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen p1c_039.016
Gesetzgebung gelten könne.“ Diese Formel hat zwey p1c_039.017
logische Fehler und Widersprüche, die jeder einsehen p1c_039.018
wird, wenn er darauf aufmerksam gemacht ist. 1) Sie p1c_039.019
kündet sich als Grundgesetz der praktischen Vernunft p1c_039.020
an; das heißt, als das höchste Gesetz, wodurch die p1c_039.021
Vernunft sich selbst und durch sie das vernunftbegabte Wesen p1c_039.022
zum Handeln bestimme. Gleichwohl gebietet die Formel nicht p1c_039.023
das Handeln selbst, sondern beschränkt nur die Handlungsweise. p1c_039.024
Wenn wir Handlungsweise Sitte nennen, p1c_039.025
so ist es also höchstens Sittengesetz zu nennen. Nun p1c_039.026
setzt aber ein solches Sittengesetz, so formell und rein es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0097" n="39"/>
          <head> <hi rendition="#c"><lb n="p1c_039.001"/>
§. 3. </hi> </head>
          <p><lb n="p1c_039.002"/>
An der Spitze der rationalen Psychologie steht als <lb n="p1c_039.003"/>
erster Satz der <hi rendition="#g">Jmperatif</hi> des instinktfreyen Lebens: <lb n="p1c_039.004"/>
Vernimm die Causalität der Freyheit, die in dir seyn, <lb n="p1c_039.005"/>
durch dich wirken, dich zum Bewußtseyn erheben will. <lb n="p1c_039.006"/>
Vernimm dich, werde dir bewußt zur Vernunft, indem <lb n="p1c_039.007"/>
du außer dir Reales hervorbringst, um die innere formelle <lb n="p1c_039.008"/>
idealisirende Geistesnatur darinnen anzuschaun. <lb n="p1c_039.009"/>
Laß wirken in dir den freyen Geist eine Annäherung des <lb n="p1c_039.010"/>
Jchs und der Welt, des unendlichen Subjekts und unendlichen <lb n="p1c_039.011"/>
Objekts. Folge dem gebietenden Geiste, um stets <lb n="p1c_039.012"/>
mehr wirklich zu machen das absolut Wahre und Gute.</p>
          <p><lb n="p1c_039.013"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 1. Das Kantische Grundgesetz der reinen <lb n="p1c_039.014"/>
praktischen Vernunft heißt: &#x201E;Handle so, daß die Maxime <lb n="p1c_039.015"/>
deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen <lb n="p1c_039.016"/>
Gesetzgebung gelten könne.&#x201C; Diese Formel hat zwey <lb n="p1c_039.017"/> <hi rendition="#g">logische</hi> Fehler und Widersprüche, die jeder einsehen <lb n="p1c_039.018"/>
wird, wenn er darauf aufmerksam gemacht ist. 1) Sie <lb n="p1c_039.019"/>
kündet sich als <hi rendition="#g">Grundgesetz</hi> der <hi rendition="#g">praktischen</hi> Vernunft <lb n="p1c_039.020"/>
an; das heißt, als das <hi rendition="#g">höchste</hi> Gesetz, wodurch die <lb n="p1c_039.021"/>
Vernunft sich selbst und durch sie das vernunftbegabte Wesen <lb n="p1c_039.022"/>
zum <hi rendition="#g">Handeln</hi> bestimme. Gleichwohl gebietet die Formel nicht <lb n="p1c_039.023"/>
das <hi rendition="#g">Handeln</hi> selbst, sondern beschränkt nur die <hi rendition="#g">Handlungsweise.</hi> <lb n="p1c_039.024"/>
Wenn wir Handlungsweise <hi rendition="#g">Sitte</hi> nennen, <lb n="p1c_039.025"/>
so ist es also höchstens <hi rendition="#g">Sittengesetz</hi> zu nennen. Nun <lb n="p1c_039.026"/>
setzt aber ein solches Sittengesetz, so formell und rein es
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0097] p1c_039.001 §. 3. p1c_039.002 An der Spitze der rationalen Psychologie steht als p1c_039.003 erster Satz der Jmperatif des instinktfreyen Lebens: p1c_039.004 Vernimm die Causalität der Freyheit, die in dir seyn, p1c_039.005 durch dich wirken, dich zum Bewußtseyn erheben will. p1c_039.006 Vernimm dich, werde dir bewußt zur Vernunft, indem p1c_039.007 du außer dir Reales hervorbringst, um die innere formelle p1c_039.008 idealisirende Geistesnatur darinnen anzuschaun. p1c_039.009 Laß wirken in dir den freyen Geist eine Annäherung des p1c_039.010 Jchs und der Welt, des unendlichen Subjekts und unendlichen p1c_039.011 Objekts. Folge dem gebietenden Geiste, um stets p1c_039.012 mehr wirklich zu machen das absolut Wahre und Gute. p1c_039.013 Anmerk. 1. Das Kantische Grundgesetz der reinen p1c_039.014 praktischen Vernunft heißt: „Handle so, daß die Maxime p1c_039.015 deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen p1c_039.016 Gesetzgebung gelten könne.“ Diese Formel hat zwey p1c_039.017 logische Fehler und Widersprüche, die jeder einsehen p1c_039.018 wird, wenn er darauf aufmerksam gemacht ist. 1) Sie p1c_039.019 kündet sich als Grundgesetz der praktischen Vernunft p1c_039.020 an; das heißt, als das höchste Gesetz, wodurch die p1c_039.021 Vernunft sich selbst und durch sie das vernunftbegabte Wesen p1c_039.022 zum Handeln bestimme. Gleichwohl gebietet die Formel nicht p1c_039.023 das Handeln selbst, sondern beschränkt nur die Handlungsweise. p1c_039.024 Wenn wir Handlungsweise Sitte nennen, p1c_039.025 so ist es also höchstens Sittengesetz zu nennen. Nun p1c_039.026 setzt aber ein solches Sittengesetz, so formell und rein es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/97
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/97>, abgerufen am 24.11.2024.