Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_638.001 p2c_638.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0162" n="638"/><lb n="p2c_638.001"/> . Jn den Eumeniden ist zwar Orest die Hauptperson, <lb n="p2c_638.002"/> aber der Chor sein beständiger Begleiter. Jn dem Prometheus <lb n="p2c_638.003"/> kommt er auf Maschienen herab. Jn den <hi rendition="#g">Persern</hi> <lb n="p2c_638.004"/> ist er Prologus und klagt mit über die Niederlage der Armee. <lb n="p2c_638.005"/> Jn den <foreign xml:lang="grc">ἑπτα ἐπι θηβαις</foreign> zeigt er sich gar so sehr lebendig, <lb n="p2c_638.006"/> daß ihm Eteokles deswegen Vorwürfe macht. Allein <lb n="p2c_638.007"/> Aeschylus war der alten ursprünglichen Tragödie näher, wo <lb n="p2c_638.008"/> oft einige aus dem Chor aufgetreten waren und agirt hatten. <lb n="p2c_638.009"/> Sophocles und Euripides hingegen unterscheiden den Chor <lb n="p2c_638.010"/> schon weit mehr von den Schauspielern, und diese Form hat <lb n="p2c_638.011"/> auch Aristoteles bey seinen Definitionen immer vor Augen. <lb n="p2c_638.012"/> Der Chor hat hier mehr das Ansehn einer <hi rendition="#g">lyrischen</hi> Person, <lb n="p2c_638.013"/> welche das Ganze zusammenhält. Er ist für die <hi rendition="#g">Tragödie</hi> <lb n="p2c_638.014"/> das, was der <hi rendition="#g">Erzähler</hi> im Heldengedichte ist. Er <lb n="p2c_638.015"/> giebt der Handlung einen herrschenden <hi rendition="#g">Ton.</hi> Dies erhellt <lb n="p2c_638.016"/> aus folgenden Gründen: 1) der <hi rendition="#g">Chor</hi> ist im Sophocles <lb n="p2c_638.017"/> und Euripides <hi rendition="#g">unpartheyisch</hi> und ohne Leidenschaft, <lb n="p2c_638.018"/> er nimmt nur einen entfernten Antheil an der Geschichte. Er <lb n="p2c_638.019"/> ist der Vertraute aller. Das sind Greise, die schon wenig <lb n="p2c_638.020"/> Jnteresse mehr am Leben nehmen, darüber mit Ruhe reflectiren, <lb n="p2c_638.021"/> oder Unterthanen und Bürger, die sich auf dem <lb n="p2c_638.022"/> Standpunkte der <hi rendition="#g">Resignation</hi> befinden, also das Ganze <lb n="p2c_638.023"/> mit mehr Freyheit beurtheilen können. Darum ermahnt <lb n="p2c_638.024"/> auch der Chor in allen Dingen zur <hi rendition="#g">Mäßigung,</hi> er sucht <lb n="p2c_638.025"/> die erhitzten Gemüther zu besänftigen. Er empfiehlt den <lb n="p2c_638.026"/> Gleichmuth, die Mittelmäßigkeit, das friedliche Leben ohne <lb n="p2c_638.027"/> Ehrgeiz nnd Leidenschaft (z. B. in <hi rendition="#aq">Iphigen. Aul. <foreign xml:lang="grc">μακαρες</foreign>, <lb n="p2c_638.028"/> <foreign xml:lang="grc">ὁι μετριας θεου μετα τε σωφροσυνας μετεχον λεκτρον</foreign> </hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [638/0162]
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. Jn den Eumeniden ist zwar Orest die Hauptperson, p2c_638.002
aber der Chor sein beständiger Begleiter. Jn dem Prometheus p2c_638.003
kommt er auf Maschienen herab. Jn den Persern p2c_638.004
ist er Prologus und klagt mit über die Niederlage der Armee. p2c_638.005
Jn den ἑπτα ἐπι θηβαις zeigt er sich gar so sehr lebendig, p2c_638.006
daß ihm Eteokles deswegen Vorwürfe macht. Allein p2c_638.007
Aeschylus war der alten ursprünglichen Tragödie näher, wo p2c_638.008
oft einige aus dem Chor aufgetreten waren und agirt hatten. p2c_638.009
Sophocles und Euripides hingegen unterscheiden den Chor p2c_638.010
schon weit mehr von den Schauspielern, und diese Form hat p2c_638.011
auch Aristoteles bey seinen Definitionen immer vor Augen. p2c_638.012
Der Chor hat hier mehr das Ansehn einer lyrischen Person, p2c_638.013
welche das Ganze zusammenhält. Er ist für die Tragödie p2c_638.014
das, was der Erzähler im Heldengedichte ist. Er p2c_638.015
giebt der Handlung einen herrschenden Ton. Dies erhellt p2c_638.016
aus folgenden Gründen: 1) der Chor ist im Sophocles p2c_638.017
und Euripides unpartheyisch und ohne Leidenschaft, p2c_638.018
er nimmt nur einen entfernten Antheil an der Geschichte. Er p2c_638.019
ist der Vertraute aller. Das sind Greise, die schon wenig p2c_638.020
Jnteresse mehr am Leben nehmen, darüber mit Ruhe reflectiren, p2c_638.021
oder Unterthanen und Bürger, die sich auf dem p2c_638.022
Standpunkte der Resignation befinden, also das Ganze p2c_638.023
mit mehr Freyheit beurtheilen können. Darum ermahnt p2c_638.024
auch der Chor in allen Dingen zur Mäßigung, er sucht p2c_638.025
die erhitzten Gemüther zu besänftigen. Er empfiehlt den p2c_638.026
Gleichmuth, die Mittelmäßigkeit, das friedliche Leben ohne p2c_638.027
Ehrgeiz nnd Leidenschaft (z. B. in Iphigen. Aul. μακαρες, p2c_638.028
ὁι μετριας θεου μετα τε σωφροσυνας μετεχον λεκτρον
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