Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_696.001
voraus, um den sich das Gedicht dreht. Es muß also, p2c_696.002
da Thorheit und Laster bey den Menschen so viele Seiten p2c_696.003
hat, eine Ansicht besonders herausgehoben werden. So ist p2c_696.004
z. B. die zehnte Satyre des Boileau gegen die Weiber p2c_696.005
gerichtet. Der Plan, die objektive Gedankenreihe, bekommt p2c_696.006
auch durch die besondre Form, welche der Dichter wählt, p2c_696.007
eine nähere Bestimmung. Oft ists eine Erzählung, oft p2c_696.008
läßt der Dichter eine fingirte Person sprechen, z. B. Boileaus p2c_696.009
erste Satyre Damon, ce grand Auteur u. s. w. p2c_696.010
Oder der Dichter unterhält sich mit noch einer Person, wie p2c_696.011
Horaz mit dem Trebatius. - Jmmer muß aber bey der p2c_696.012
Reichhaltigkeit des Gegenstandes eine gewisse besondere Gattung p2c_696.013
von Thorheiten nach ihrer lächerlichen Außenseite beschrieben p2c_696.014
werden. Die Uebergänge und Jdeenassoziationen p2c_696.015
haben eine vollkommne lyrische Freyheit wie bey der Jdylle, p2c_696.016
und überhaupt beym beschreibenden Gedicht, damit die p2c_696.017
Phantasie nicht durch eine zu peinliche Ordnung ermüdet p2c_696.018
werde.

p2c_696.019
Anmerk. 3. Der ästhetische Hauptinhalt ist p2c_696.020
das Lächerliche, darnach modifizirt sich das übrige. Sogar p2c_696.021
das höhere Schöne, das Heftige kann statt finden, p2c_696.022
wie in der juvenalischen Satyre. Man kann daher zwey p2c_696.023
Gattungen von Satyren annehmen, 1) die heftige leidenschaftliche, p2c_696.024
bittere Satyre, wie die des Juvenal und p2c_696.025
Persius; man muß sie aber nicht die ernsthafte nennen, p2c_696.026
wie einige Theoretiker thun. Denn das Lächerliche ist p2c_696.027
auch im Juvenal herrschend. Eine sogenannte ernsthafte

p2c_696.001
voraus, um den sich das Gedicht dreht. Es muß also, p2c_696.002
da Thorheit und Laster bey den Menschen so viele Seiten p2c_696.003
hat, eine Ansicht besonders herausgehoben werden. So ist p2c_696.004
z. B. die zehnte Satyre des Boileau gegen die Weiber p2c_696.005
gerichtet. Der Plan, die objektive Gedankenreihe, bekommt p2c_696.006
auch durch die besondre Form, welche der Dichter wählt, p2c_696.007
eine nähere Bestimmung. Oft ists eine Erzählung, oft p2c_696.008
läßt der Dichter eine fingirte Person sprechen, z. B. Boileaus p2c_696.009
erste Satyre Damon, ce grand Auteur u. s. w. p2c_696.010
Oder der Dichter unterhält sich mit noch einer Person, wie p2c_696.011
Horaz mit dem Trebatius. ─ Jmmer muß aber bey der p2c_696.012
Reichhaltigkeit des Gegenstandes eine gewisse besondere Gattung p2c_696.013
von Thorheiten nach ihrer lächerlichen Außenseite beschrieben p2c_696.014
werden. Die Uebergänge und Jdeenassoziationen p2c_696.015
haben eine vollkommne lyrische Freyheit wie bey der Jdylle, p2c_696.016
und überhaupt beym beschreibenden Gedicht, damit die p2c_696.017
Phantasie nicht durch eine zu peinliche Ordnung ermüdet p2c_696.018
werde.

p2c_696.019
Anmerk. 3. Der ästhetische Hauptinhalt ist p2c_696.020
das Lächerliche, darnach modifizirt sich das übrige. Sogar p2c_696.021
das höhere Schöne, das Heftige kann statt finden, p2c_696.022
wie in der juvenalischen Satyre. Man kann daher zwey p2c_696.023
Gattungen von Satyren annehmen, 1) die heftige leidenschaftliche, p2c_696.024
bittere Satyre, wie die des Juvenal und p2c_696.025
Persius; man muß sie aber nicht die ernsthafte nennen, p2c_696.026
wie einige Theoretiker thun. Denn das Lächerliche ist p2c_696.027
auch im Juvenal herrschend. Eine sogenannte ernsthafte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0220" n="696"/><lb n="p2c_696.001"/>
voraus, um den sich das Gedicht dreht. Es muß also, <lb n="p2c_696.002"/>
da Thorheit und Laster bey den Menschen so viele Seiten <lb n="p2c_696.003"/>
hat, eine Ansicht besonders herausgehoben werden. So ist <lb n="p2c_696.004"/>
z. B. die zehnte Satyre des Boileau gegen die <hi rendition="#g">Weiber</hi> <lb n="p2c_696.005"/>
gerichtet. Der Plan, die objektive Gedankenreihe, bekommt <lb n="p2c_696.006"/>
auch durch die besondre Form, welche der Dichter wählt, <lb n="p2c_696.007"/>
eine nähere Bestimmung. Oft ists eine Erzählung, oft <lb n="p2c_696.008"/>
läßt der Dichter eine fingirte Person sprechen, z. B. Boileaus <lb n="p2c_696.009"/>
erste Satyre <hi rendition="#aq">Damon, ce grand Auteur</hi> u. s. w. <lb n="p2c_696.010"/>
Oder der Dichter unterhält sich mit noch einer Person, wie <lb n="p2c_696.011"/>
Horaz mit dem Trebatius. &#x2500; Jmmer muß aber bey der <lb n="p2c_696.012"/>
Reichhaltigkeit des Gegenstandes eine gewisse besondere Gattung <lb n="p2c_696.013"/>
von Thorheiten nach ihrer lächerlichen Außenseite beschrieben <lb n="p2c_696.014"/>
werden. Die Uebergänge und Jdeenassoziationen <lb n="p2c_696.015"/>
haben eine vollkommne lyrische Freyheit wie bey der Jdylle, <lb n="p2c_696.016"/>
und überhaupt beym beschreibenden Gedicht, damit die <lb n="p2c_696.017"/>
Phantasie nicht durch eine zu peinliche Ordnung ermüdet <lb n="p2c_696.018"/>
werde.</p>
            <p><lb n="p2c_696.019"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 3. Der <hi rendition="#g">ästhetische</hi> Hauptinhalt ist <lb n="p2c_696.020"/>
das <hi rendition="#g">Lächerliche,</hi> darnach modifizirt sich das übrige. Sogar <lb n="p2c_696.021"/>
das höhere Schöne, das <hi rendition="#g">Heftige</hi> kann statt finden, <lb n="p2c_696.022"/>
wie in der juvenalischen Satyre. Man kann daher zwey <lb n="p2c_696.023"/>
Gattungen von Satyren annehmen, 1) die <hi rendition="#g">heftige</hi> leidenschaftliche, <lb n="p2c_696.024"/>
bittere Satyre, wie die des Juvenal und <lb n="p2c_696.025"/>
Persius; man muß sie aber nicht die <hi rendition="#g">ernsthafte</hi> nennen, <lb n="p2c_696.026"/>
wie einige Theoretiker thun. Denn das <hi rendition="#g">Lächerliche</hi> ist <lb n="p2c_696.027"/>
auch im Juvenal herrschend. Eine sogenannte ernsthafte
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[696/0220] p2c_696.001 voraus, um den sich das Gedicht dreht. Es muß also, p2c_696.002 da Thorheit und Laster bey den Menschen so viele Seiten p2c_696.003 hat, eine Ansicht besonders herausgehoben werden. So ist p2c_696.004 z. B. die zehnte Satyre des Boileau gegen die Weiber p2c_696.005 gerichtet. Der Plan, die objektive Gedankenreihe, bekommt p2c_696.006 auch durch die besondre Form, welche der Dichter wählt, p2c_696.007 eine nähere Bestimmung. Oft ists eine Erzählung, oft p2c_696.008 läßt der Dichter eine fingirte Person sprechen, z. B. Boileaus p2c_696.009 erste Satyre Damon, ce grand Auteur u. s. w. p2c_696.010 Oder der Dichter unterhält sich mit noch einer Person, wie p2c_696.011 Horaz mit dem Trebatius. ─ Jmmer muß aber bey der p2c_696.012 Reichhaltigkeit des Gegenstandes eine gewisse besondere Gattung p2c_696.013 von Thorheiten nach ihrer lächerlichen Außenseite beschrieben p2c_696.014 werden. Die Uebergänge und Jdeenassoziationen p2c_696.015 haben eine vollkommne lyrische Freyheit wie bey der Jdylle, p2c_696.016 und überhaupt beym beschreibenden Gedicht, damit die p2c_696.017 Phantasie nicht durch eine zu peinliche Ordnung ermüdet p2c_696.018 werde. p2c_696.019 Anmerk. 3. Der ästhetische Hauptinhalt ist p2c_696.020 das Lächerliche, darnach modifizirt sich das übrige. Sogar p2c_696.021 das höhere Schöne, das Heftige kann statt finden, p2c_696.022 wie in der juvenalischen Satyre. Man kann daher zwey p2c_696.023 Gattungen von Satyren annehmen, 1) die heftige leidenschaftliche, p2c_696.024 bittere Satyre, wie die des Juvenal und p2c_696.025 Persius; man muß sie aber nicht die ernsthafte nennen, p2c_696.026 wie einige Theoretiker thun. Denn das Lächerliche ist p2c_696.027 auch im Juvenal herrschend. Eine sogenannte ernsthafte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/220
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/220>, abgerufen am 11.12.2024.