Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_698.001
Anmerk. 5. Die Satyre nimmt beynahe aus p2c_698.002
allen möglichen Dichtungsarten willkührliche Formen an. p2c_698.003
Jndessen muß man auf den Hauptzweck des Dichters sehn. p2c_698.004
A potiori fit denominatio. Jst die Hauptabsicht, ein p2c_698.005
anschauliches Gemälde der verdorbenen menschlichen Sitten p2c_698.006
zu entwerfen, welches die Phantasie durch sein lächerliches p2c_698.007
Aeußeres unterhalte, so kann man das Gedicht immer eine p2c_698.008
Satyre im Engern Sinne nennen, die Einkleidung p2c_698.009
mag übrigens seyn, welche sie wolle, Erzählung, Drama, p2c_698.010
Lied u. s. w. Jst aber das Hauptinteresse nicht auf Beschreibung, p2c_698.011
sondern auf Handlung gerichtet, soll p2c_698.012
irgend eine andre Seelenkraft außer der Phantasie, unterhalten p2c_698.013
werden, so bekommt das Gedicht einen andern p2c_698.014
Hauptnahmen, und das Wort satyrische muß blos als p2c_698.015
Beywort stehn, um die Modification auszudrücken, z. B. p2c_698.016
satyrisches Lustspiel, satyrische Erzählung. - Jn p2c_698.017
der gewöhnlichsten Form hat der Ton der Satyre im Engern p2c_698.018
Sinne am meisten Aehnlichkeit mit dem Lehrton. p2c_698.019
Allein die Satyre ist beschreibend, schildert das Lächerliche, p2c_698.020
und daß sie dadurch belehrt, ist erst eine spätere p2c_698.021
Folge. - Das Sinngedicht, von dem wir bey der didaktischen p2c_698.022
Dichtart reden werden, weil es den Verstand p2c_698.023
besonders interessirt, ist oft mit der Satyre ganz verwandt. p2c_698.024
Jndessen bleibt der witzige Einfall, der dem p2c_698.025
Verstand gefällt, immer die Hauptsache. Also ist das Epigramm p2c_698.026
dieser Art zu den didaktischen Arten zu zählen, p2c_698.027
und das satyrische davon ist nur eine Modification. - p2c_698.028
Die Parodie und die Travestirung (den Unterschied

p2c_698.001
Anmerk. 5. Die Satyre nimmt beynahe aus p2c_698.002
allen möglichen Dichtungsarten willkührliche Formen an. p2c_698.003
Jndessen muß man auf den Hauptzweck des Dichters sehn. p2c_698.004
A potiori fit denominatio. Jst die Hauptabsicht, ein p2c_698.005
anschauliches Gemälde der verdorbenen menschlichen Sitten p2c_698.006
zu entwerfen, welches die Phantasie durch sein lächerliches p2c_698.007
Aeußeres unterhalte, so kann man das Gedicht immer eine p2c_698.008
Satyre im Engern Sinne nennen, die Einkleidung p2c_698.009
mag übrigens seyn, welche sie wolle, Erzählung, Drama, p2c_698.010
Lied u. s. w. Jst aber das Hauptinteresse nicht auf Beschreibung, p2c_698.011
sondern auf Handlung gerichtet, soll p2c_698.012
irgend eine andre Seelenkraft außer der Phantasie, unterhalten p2c_698.013
werden, so bekommt das Gedicht einen andern p2c_698.014
Hauptnahmen, und das Wort satyrische muß blos als p2c_698.015
Beywort stehn, um die Modification auszudrücken, z. B. p2c_698.016
satyrisches Lustspiel, satyrische Erzählung. ─ Jn p2c_698.017
der gewöhnlichsten Form hat der Ton der Satyre im Engern p2c_698.018
Sinne am meisten Aehnlichkeit mit dem Lehrton. p2c_698.019
Allein die Satyre ist beschreibend, schildert das Lächerliche, p2c_698.020
und daß sie dadurch belehrt, ist erst eine spätere p2c_698.021
Folge. ─ Das Sinngedicht, von dem wir bey der didaktischen p2c_698.022
Dichtart reden werden, weil es den Verstand p2c_698.023
besonders interessirt, ist oft mit der Satyre ganz verwandt. p2c_698.024
Jndessen bleibt der witzige Einfall, der dem p2c_698.025
Verstand gefällt, immer die Hauptsache. Also ist das Epigramm p2c_698.026
dieser Art zu den didaktischen Arten zu zählen, p2c_698.027
und das satyrische davon ist nur eine Modification. ─ p2c_698.028
Die Parodie und die Travestirung (den Unterschied

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0222" n="698"/>
            <p><lb n="p2c_698.001"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 5. Die <hi rendition="#g">Satyre</hi> nimmt beynahe aus <lb n="p2c_698.002"/>
allen möglichen Dichtungsarten willkührliche Formen an. <lb n="p2c_698.003"/>
Jndessen muß man auf den Hauptzweck des Dichters sehn. <lb n="p2c_698.004"/> <hi rendition="#aq">A potiori fit denominatio</hi>. Jst die Hauptabsicht, ein <lb n="p2c_698.005"/>
anschauliches Gemälde der verdorbenen menschlichen Sitten <lb n="p2c_698.006"/>
zu entwerfen, welches die Phantasie durch sein lächerliches <lb n="p2c_698.007"/>
Aeußeres unterhalte, so kann man das Gedicht immer eine <lb n="p2c_698.008"/> <hi rendition="#g">Satyre im Engern</hi> Sinne nennen, die Einkleidung <lb n="p2c_698.009"/>
mag übrigens seyn, welche sie wolle, Erzählung, Drama, <lb n="p2c_698.010"/>
Lied u. s. w. Jst aber das Hauptinteresse nicht auf <hi rendition="#g">Beschreibung,</hi> <lb n="p2c_698.011"/>
sondern auf <hi rendition="#g">Handlung</hi> gerichtet, soll <lb n="p2c_698.012"/>
irgend eine andre Seelenkraft außer der <hi rendition="#g">Phantasie,</hi> unterhalten <lb n="p2c_698.013"/>
werden, so bekommt das Gedicht einen andern <lb n="p2c_698.014"/>
Hauptnahmen, und das Wort <hi rendition="#g">satyrische</hi> muß blos als <lb n="p2c_698.015"/>
Beywort stehn, um die Modification auszudrücken, z. B. <lb n="p2c_698.016"/> <hi rendition="#g">satyrisches</hi> Lustspiel, <hi rendition="#g">satyrische</hi> Erzählung. &#x2500; Jn <lb n="p2c_698.017"/>
der gewöhnlichsten Form hat der Ton der <hi rendition="#g">Satyre</hi> im Engern <lb n="p2c_698.018"/>
Sinne am meisten Aehnlichkeit mit dem <hi rendition="#g">Lehrton.</hi> <lb n="p2c_698.019"/>
Allein die <hi rendition="#g">Satyre</hi> ist <hi rendition="#g">beschreibend,</hi> schildert das Lächerliche, <lb n="p2c_698.020"/>
und daß sie dadurch belehrt, ist erst eine spätere <lb n="p2c_698.021"/>
Folge. &#x2500; Das <hi rendition="#g">Sinngedicht,</hi> von dem wir bey der didaktischen <lb n="p2c_698.022"/>
Dichtart reden werden, weil es den <hi rendition="#g">Verstand</hi> <lb n="p2c_698.023"/>
besonders interessirt, ist oft mit der <hi rendition="#g">Satyre</hi> ganz verwandt. <lb n="p2c_698.024"/>
Jndessen bleibt der <hi rendition="#g">witzige</hi> Einfall, der dem <lb n="p2c_698.025"/>
Verstand gefällt, immer die Hauptsache. Also ist das Epigramm <lb n="p2c_698.026"/>
dieser Art zu den <hi rendition="#g">didaktischen</hi> Arten zu zählen, <lb n="p2c_698.027"/>
und das <hi rendition="#g">satyrische</hi> davon ist nur eine Modification. &#x2500; <lb n="p2c_698.028"/>
Die <hi rendition="#g">Parodie</hi> und die <hi rendition="#g">Travestirung</hi> (den Unterschied
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[698/0222] p2c_698.001 Anmerk. 5. Die Satyre nimmt beynahe aus p2c_698.002 allen möglichen Dichtungsarten willkührliche Formen an. p2c_698.003 Jndessen muß man auf den Hauptzweck des Dichters sehn. p2c_698.004 A potiori fit denominatio. Jst die Hauptabsicht, ein p2c_698.005 anschauliches Gemälde der verdorbenen menschlichen Sitten p2c_698.006 zu entwerfen, welches die Phantasie durch sein lächerliches p2c_698.007 Aeußeres unterhalte, so kann man das Gedicht immer eine p2c_698.008 Satyre im Engern Sinne nennen, die Einkleidung p2c_698.009 mag übrigens seyn, welche sie wolle, Erzählung, Drama, p2c_698.010 Lied u. s. w. Jst aber das Hauptinteresse nicht auf Beschreibung, p2c_698.011 sondern auf Handlung gerichtet, soll p2c_698.012 irgend eine andre Seelenkraft außer der Phantasie, unterhalten p2c_698.013 werden, so bekommt das Gedicht einen andern p2c_698.014 Hauptnahmen, und das Wort satyrische muß blos als p2c_698.015 Beywort stehn, um die Modification auszudrücken, z. B. p2c_698.016 satyrisches Lustspiel, satyrische Erzählung. ─ Jn p2c_698.017 der gewöhnlichsten Form hat der Ton der Satyre im Engern p2c_698.018 Sinne am meisten Aehnlichkeit mit dem Lehrton. p2c_698.019 Allein die Satyre ist beschreibend, schildert das Lächerliche, p2c_698.020 und daß sie dadurch belehrt, ist erst eine spätere p2c_698.021 Folge. ─ Das Sinngedicht, von dem wir bey der didaktischen p2c_698.022 Dichtart reden werden, weil es den Verstand p2c_698.023 besonders interessirt, ist oft mit der Satyre ganz verwandt. p2c_698.024 Jndessen bleibt der witzige Einfall, der dem p2c_698.025 Verstand gefällt, immer die Hauptsache. Also ist das Epigramm p2c_698.026 dieser Art zu den didaktischen Arten zu zählen, p2c_698.027 und das satyrische davon ist nur eine Modification. ─ p2c_698.028 Die Parodie und die Travestirung (den Unterschied

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/222
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/222>, abgerufen am 04.12.2024.