Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_722.001 p2c_722.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0246" n="722"/><lb n="p2c_722.001"/> Ohres, der Todtenkopf, kann die Poesie zu manchen schönen <lb n="p2c_722.002"/> und zugleich schauerlichen Gedanken veranlassen. Allein <lb n="p2c_722.003"/> etwas anders ist die Veranlassung, etwas anders der Gegenstand <lb n="p2c_722.004"/> als Lehre. Uebersicht aller Wissenschaften ─ <lb n="p2c_722.005"/> (z. B. <hi rendition="#g">Dusch</hi> die Wissenschaften in neun Büchern) ─ und <lb n="p2c_722.006"/> eigentliche formale Vernunftlehre sind für die Poesie zu abstract. <lb n="p2c_722.007"/> <hi rendition="#g">Moralische</hi> Gegenstände können Stoff des <hi rendition="#g">höhern</hi> <lb n="p2c_722.008"/> Lehrgedichts werden, aber für das <hi rendition="#g">scientifische</hi> <lb n="p2c_722.009"/> niedere Lehrgedicht passen sie seltener, weil an sich schon <lb n="p2c_722.010"/> <hi rendition="#g">Moral</hi> zur kalten Wissenschaft ausgedehnt, für den gefühlvollen <lb n="p2c_722.011"/> Menschen etwas Widerliches hat. Die einzelnen <lb n="p2c_722.012"/> moralischen Lehren werden öfter und glücklicher von der <hi rendition="#g">gnomischen</hi> <lb n="p2c_722.013"/> Poesie als von der <hi rendition="#g">scientifischen</hi> dargestellt <lb n="p2c_722.014"/> ─ und von den gnomischen Dichtern sprechen wir weiter <lb n="p2c_722.015"/> unten. ─ Endlich giebt es auch scherzhafte Künste des <lb n="p2c_722.016"/> Lebens, die Gegenstände für das scherzhafte Lehrgedicht <lb n="p2c_722.017"/> sind. So kann man Ovid über die Kunst zu lieben, <lb n="p2c_722.018"/> Vidas Gedicht über das Schachspiel <hi rendition="#g">didaktische Parodien</hi> <lb n="p2c_722.019"/> nennen. Diese geben dem Genie am meisten <lb n="p2c_722.020"/> Spielraum. Die Regeln, die hier dargestellt werden, sind <lb n="p2c_722.021"/> meist epigrammatisch (davon weiter unten) und interessiren <lb n="p2c_722.022"/> mehr den spielenden, witzigen, als den forschenden Verstand. <lb n="p2c_722.023"/> ─ ─ So viel vom <hi rendition="#g">objektiven</hi> Jnhalt des <lb n="p2c_722.024"/> <hi rendition="#g">niedern</hi> Lehrgedichts. Von dem <hi rendition="#g">Plane</hi> gilt dasselbe, <lb n="p2c_722.025"/> was schon beym höhern Lehrgedicht erwähnt worden. Die <lb n="p2c_722.026"/> Empfindungen müssen die Jdeenreihe verknüpfen, nicht die <lb n="p2c_722.027"/> Schlüsse, und doch muß das Ganze System seyn. Digressionen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [722/0246]
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Ohres, der Todtenkopf, kann die Poesie zu manchen schönen p2c_722.002
und zugleich schauerlichen Gedanken veranlassen. Allein p2c_722.003
etwas anders ist die Veranlassung, etwas anders der Gegenstand p2c_722.004
als Lehre. Uebersicht aller Wissenschaften ─ p2c_722.005
(z. B. Dusch die Wissenschaften in neun Büchern) ─ und p2c_722.006
eigentliche formale Vernunftlehre sind für die Poesie zu abstract. p2c_722.007
Moralische Gegenstände können Stoff des höhern p2c_722.008
Lehrgedichts werden, aber für das scientifische p2c_722.009
niedere Lehrgedicht passen sie seltener, weil an sich schon p2c_722.010
Moral zur kalten Wissenschaft ausgedehnt, für den gefühlvollen p2c_722.011
Menschen etwas Widerliches hat. Die einzelnen p2c_722.012
moralischen Lehren werden öfter und glücklicher von der gnomischen p2c_722.013
Poesie als von der scientifischen dargestellt p2c_722.014
─ und von den gnomischen Dichtern sprechen wir weiter p2c_722.015
unten. ─ Endlich giebt es auch scherzhafte Künste des p2c_722.016
Lebens, die Gegenstände für das scherzhafte Lehrgedicht p2c_722.017
sind. So kann man Ovid über die Kunst zu lieben, p2c_722.018
Vidas Gedicht über das Schachspiel didaktische Parodien p2c_722.019
nennen. Diese geben dem Genie am meisten p2c_722.020
Spielraum. Die Regeln, die hier dargestellt werden, sind p2c_722.021
meist epigrammatisch (davon weiter unten) und interessiren p2c_722.022
mehr den spielenden, witzigen, als den forschenden Verstand. p2c_722.023
─ ─ So viel vom objektiven Jnhalt des p2c_722.024
niedern Lehrgedichts. Von dem Plane gilt dasselbe, p2c_722.025
was schon beym höhern Lehrgedicht erwähnt worden. Die p2c_722.026
Empfindungen müssen die Jdeenreihe verknüpfen, nicht die p2c_722.027
Schlüsse, und doch muß das Ganze System seyn. Digressionen
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