Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_729.001 p2c_729.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0253" n="729"/><lb n="p2c_729.001"/> als witzig macht. Z. B. ─ Es ist doch wunderbar bestellt, <lb n="p2c_729.002"/> sprach Veit zu Junker Fritzen, daß stets die Reichen <lb n="p2c_729.003"/> in der Welt, ─ das meiste Geld besitzen. Oft ists eine <lb n="p2c_729.004"/> Ungereimtheit ein Widerspruch, der doch einen Anschein von <lb n="p2c_729.005"/> Richtigkeit hat. Z. B. Wenn dieser Rothkopf ehrlich ist, <lb n="p2c_729.006"/> so ist er sicher ein Betrüger. Zuweilen auch ein Wortspiel, <lb n="p2c_729.007"/> wiewohl Boileau das nicht haben will. Oft scheints nur <lb n="p2c_729.008"/> ein Wortspiel. So läßt sich das Marzialische Epigramm <lb n="p2c_729.009"/> <hi rendition="#aq">II</hi>. 3. allerdings übersetzen: Du bist nichts schuldig, <lb n="p2c_729.010"/> Marzian, Nur der ist schuldig, der bezahlen kann. ─ <lb n="p2c_729.011"/> Wenn auch das Epigramm zuweilen eine <hi rendition="#g">rührende</hi> Empfindung <lb n="p2c_729.012"/> enthält, so muß doch der Gedanke künstlich gestellt <lb n="p2c_729.013"/> seyn. Z. B. Gleims Turteltaube ─ oder das Sinngedicht <lb n="p2c_729.014"/> von Besser: Dies ist die Doris, die Geliebte, die ihren <lb n="p2c_729.015"/> Canitz eher nicht, als nur durch ihren Tod betrübte. ─ <lb n="p2c_729.016"/> Einige Kunstrichter nennen Katulls Gedicht auf den Tod <lb n="p2c_729.017"/> des Sperlings ein <hi rendition="#g">Epigramm.</hi> Allein so niedlich es ist, <lb n="p2c_729.018"/> so ist es doch mehr ein naives Gemälde, als witzig. Wollte <lb n="p2c_729.019"/> man auch die <hi rendition="#g">Länge</hi> nicht in Betracht ziehn. (Wernike <lb n="p2c_729.020"/> hat wahre Epigramme mit immer steigender Erwartung <lb n="p2c_729.021"/> und schneller Auflösung, die dennoch lang sind). ─ Doch <lb n="p2c_729.022"/> die Stellung des Gedankens ist keinesweges künstlich, und <lb n="p2c_729.023"/> letzteres ist zu einem Epigramm unumgänglich nothwendig. <lb n="p2c_729.024"/> Das Wort <hi rendition="#g">witzig</hi> ist freylich um den Jnhalt des Epigramms <lb n="p2c_729.025"/> zu bezeichnen ein wenig eng, weil der <hi rendition="#g">Witz</hi> Scherz <lb n="p2c_729.026"/> voraussetzt. Der <hi rendition="#g">Witz</hi> ist auch nur eine Modification des <lb n="p2c_729.027"/> niedern Schönen, nahmentlich des scherzhaften. Das <lb n="p2c_729.028"/> <hi rendition="#g">Epigramm</hi> soll aber einen <hi rendition="#g">objektiven</hi> Jnhalt haben, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [729/0253]
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als witzig macht. Z. B. ─ Es ist doch wunderbar bestellt, p2c_729.002
sprach Veit zu Junker Fritzen, daß stets die Reichen p2c_729.003
in der Welt, ─ das meiste Geld besitzen. Oft ists eine p2c_729.004
Ungereimtheit ein Widerspruch, der doch einen Anschein von p2c_729.005
Richtigkeit hat. Z. B. Wenn dieser Rothkopf ehrlich ist, p2c_729.006
so ist er sicher ein Betrüger. Zuweilen auch ein Wortspiel, p2c_729.007
wiewohl Boileau das nicht haben will. Oft scheints nur p2c_729.008
ein Wortspiel. So läßt sich das Marzialische Epigramm p2c_729.009
II. 3. allerdings übersetzen: Du bist nichts schuldig, p2c_729.010
Marzian, Nur der ist schuldig, der bezahlen kann. ─ p2c_729.011
Wenn auch das Epigramm zuweilen eine rührende Empfindung p2c_729.012
enthält, so muß doch der Gedanke künstlich gestellt p2c_729.013
seyn. Z. B. Gleims Turteltaube ─ oder das Sinngedicht p2c_729.014
von Besser: Dies ist die Doris, die Geliebte, die ihren p2c_729.015
Canitz eher nicht, als nur durch ihren Tod betrübte. ─ p2c_729.016
Einige Kunstrichter nennen Katulls Gedicht auf den Tod p2c_729.017
des Sperlings ein Epigramm. Allein so niedlich es ist, p2c_729.018
so ist es doch mehr ein naives Gemälde, als witzig. Wollte p2c_729.019
man auch die Länge nicht in Betracht ziehn. (Wernike p2c_729.020
hat wahre Epigramme mit immer steigender Erwartung p2c_729.021
und schneller Auflösung, die dennoch lang sind). ─ Doch p2c_729.022
die Stellung des Gedankens ist keinesweges künstlich, und p2c_729.023
letzteres ist zu einem Epigramm unumgänglich nothwendig. p2c_729.024
Das Wort witzig ist freylich um den Jnhalt des Epigramms p2c_729.025
zu bezeichnen ein wenig eng, weil der Witz Scherz p2c_729.026
voraussetzt. Der Witz ist auch nur eine Modification des p2c_729.027
niedern Schönen, nahmentlich des scherzhaften. Das p2c_729.028
Epigramm soll aber einen objektiven Jnhalt haben,
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