Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_728.001 p2c_728.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0252" n="728"/><lb n="p2c_728.001"/> Gedicht aufgeführt wird. Allein schon der deutsche <lb n="p2c_728.002"/> Ausdruck <hi rendition="#g">Sinngedicht</hi> zeigt an, daß es einen besonders <lb n="p2c_728.003"/> künstlichen Sinn enthalten müsse. Alles was den Verstand <lb n="p2c_728.004"/> übt und interessirt, ist <hi rendition="#g">didaktisch.</hi> Jnsofern gehört das <lb n="p2c_728.005"/> Epigramm zu den Verstandesübungen und Lehrgedichten. <lb n="p2c_728.006"/> Der <hi rendition="#g">Witz</hi> ist das im Scherz, was der <hi rendition="#g">Verstand</hi> im <lb n="p2c_728.007"/> Ernst ist, eine künstliche unerwartete Verbindung von Jdeen, <lb n="p2c_728.008"/> ein Spiel mit Begriffen. Der <hi rendition="#g">objektive Jnhalt</hi> des <lb n="p2c_728.009"/> <hi rendition="#g">eigentlichen</hi> Epigramms ist gewöhnlich <hi rendition="#g">witzig,</hi> die <lb n="p2c_728.010"/> unerwartete Richtung eines Gedankens, und weil die <hi rendition="#g">Aufschriften</hi> <lb n="p2c_728.011"/> in <hi rendition="#g">Kurzem</hi> sehr viel sagen müssen, so verlangen <lb n="p2c_728.012"/> sie auch oft eine rasche künstliche Wendung. Daher <lb n="p2c_728.013"/> kommt es, daß das ursprüngliche blos <hi rendition="#g">beschreibende</hi> <lb n="p2c_728.014"/> Epigramm als Aufschrift nach und nach Gelegenheit gegeben <lb n="p2c_728.015"/> hat, das <hi rendition="#g">eigentliche</hi> Sinngedicht, als eine Gattung <lb n="p2c_728.016"/> von Verstandesspielen zu erfinden. Man sagt gewöhnlich, <lb n="p2c_728.017"/> das <hi rendition="#g">Sinngedicht</hi> müsse aus zwey Theilen bestehn, einer <lb n="p2c_728.018"/> erregten <hi rendition="#g">Erwartung</hi> und einem <hi rendition="#g">unerwarteten Aufschluß.</hi> <lb n="p2c_728.019"/> Damit ist im Grunde nichts anders gesagt, als <lb n="p2c_728.020"/> daß es einen sinnreichen gemeiniglich <hi rendition="#g">witzigen</hi> Einfall <lb n="p2c_728.021"/> enthalten müsse. (<hi rendition="#aq">Un bon mot de deux rimes ornées. <lb n="p2c_728.022"/> Boileau</hi>) Denn der <hi rendition="#g">Witz</hi> hat allemal als Problem verborgene <lb n="p2c_728.023"/> scherzhafte Aehnlichkeit zu entdecken, Jdeen von einer <lb n="p2c_728.024"/> eignen neuen Seite zu verbinden. Dieses Problem erregt <lb n="p2c_728.025"/> <hi rendition="#g">Erwartung,</hi> und der <hi rendition="#g">Aufschluß</hi> ist eben, weil er <lb n="p2c_728.026"/> <hi rendition="#g">witzig</hi> und neu ist, auch unerwartet. Oft besteht <lb n="p2c_728.027"/> das Wesen des Epigramms auch in einer getäuschten Erwartung, <lb n="p2c_728.028"/> die denn den ganzen Gedanken mehr lächerlich, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [728/0252]
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Gedicht aufgeführt wird. Allein schon der deutsche p2c_728.002
Ausdruck Sinngedicht zeigt an, daß es einen besonders p2c_728.003
künstlichen Sinn enthalten müsse. Alles was den Verstand p2c_728.004
übt und interessirt, ist didaktisch. Jnsofern gehört das p2c_728.005
Epigramm zu den Verstandesübungen und Lehrgedichten. p2c_728.006
Der Witz ist das im Scherz, was der Verstand im p2c_728.007
Ernst ist, eine künstliche unerwartete Verbindung von Jdeen, p2c_728.008
ein Spiel mit Begriffen. Der objektive Jnhalt des p2c_728.009
eigentlichen Epigramms ist gewöhnlich witzig, die p2c_728.010
unerwartete Richtung eines Gedankens, und weil die Aufschriften p2c_728.011
in Kurzem sehr viel sagen müssen, so verlangen p2c_728.012
sie auch oft eine rasche künstliche Wendung. Daher p2c_728.013
kommt es, daß das ursprüngliche blos beschreibende p2c_728.014
Epigramm als Aufschrift nach und nach Gelegenheit gegeben p2c_728.015
hat, das eigentliche Sinngedicht, als eine Gattung p2c_728.016
von Verstandesspielen zu erfinden. Man sagt gewöhnlich, p2c_728.017
das Sinngedicht müsse aus zwey Theilen bestehn, einer p2c_728.018
erregten Erwartung und einem unerwarteten Aufschluß. p2c_728.019
Damit ist im Grunde nichts anders gesagt, als p2c_728.020
daß es einen sinnreichen gemeiniglich witzigen Einfall p2c_728.021
enthalten müsse. (Un bon mot de deux rimes ornées. p2c_728.022
Boileau) Denn der Witz hat allemal als Problem verborgene p2c_728.023
scherzhafte Aehnlichkeit zu entdecken, Jdeen von einer p2c_728.024
eignen neuen Seite zu verbinden. Dieses Problem erregt p2c_728.025
Erwartung, und der Aufschluß ist eben, weil er p2c_728.026
witzig und neu ist, auch unerwartet. Oft besteht p2c_728.027
das Wesen des Epigramms auch in einer getäuschten Erwartung, p2c_728.028
die denn den ganzen Gedanken mehr lächerlich,
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