Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.
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p2c_757.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0281" n="757"/><lb n="p2c_757.001"/> tens</hi> die sogenannte <hi rendition="#g">Moral,</hi> oder daraus gezogene Lehre. <lb n="p2c_757.002"/> Es ist also falsch, wenn einige, z. B. Sulzer, die Fabel zu <lb n="p2c_757.003"/> den <hi rendition="#g">Lehrgedichten</hi> zählen. Hier ist eine ganz andre <lb n="p2c_757.004"/> Gattung. Die Lehrgedichte interessiren den <hi rendition="#g">Verstand,</hi> <lb n="p2c_757.005"/> als <hi rendition="#g">begreifendes</hi> Vermögen. Die <hi rendition="#g">Fabel</hi> interessirt <lb n="p2c_757.006"/> die <hi rendition="#g">Vernunft,</hi> als das Vermögen vom <hi rendition="#g">Sinnbild</hi> auf <lb n="p2c_757.007"/> die Wahrheit zu schließen. Die <hi rendition="#g">Fabel</hi> gehört zu den <lb n="p2c_757.008"/> <hi rendition="#g">allegorischen</hi> Gedichten. Das Vergnügen, welches <lb n="p2c_757.009"/> sie gewährt, liegt darinnen, daß sie anschaulich zeigt, wie <lb n="p2c_757.010"/> in der nicht moralischen physischen Welt nach <hi rendition="#g">ähnlichen</hi> <lb n="p2c_757.011"/> Prinzipien verfahren wird, als in der Welt der Freyheit, <lb n="p2c_757.012"/> so daß man die instinctmäßige Natur, als Sinnbild der moralischen <lb n="p2c_757.013"/> brauchen kann. Jedes auch leblose Ding in der <lb n="p2c_757.014"/> Welt ist das Sinnbild eines Begriffs, hat einen Charakter, <lb n="p2c_757.015"/> der den Menschen an irgend etwas analoges in seinem Geiste <lb n="p2c_757.016"/> erinnert. Die Eiche trotzt dem Sturm, aber wird entwurzelt, <lb n="p2c_757.017"/> das Rohr biegt sich, aber bleibt auf seiner Stelle. <lb n="p2c_757.018"/> Ruft die Natur dem Menschen nicht dadurch anschaulich die <lb n="p2c_757.019"/> Lehre zu: trotze nicht! es giebt etwas höheres als dein individuelles <lb n="p2c_757.020"/> du, so tief dessen Wurzeln auch gehn mögen? <lb n="p2c_757.021"/> Der Topf von Thon geht mit dem Topf von Eisen auf die <lb n="p2c_757.022"/> Reise und bricht, und dies zwar nach nothwendigen materiellen <lb n="p2c_757.023"/> Gesetzen. Geht dies nicht in der Menschenwelt eben so nach <lb n="p2c_757.024"/> Gesetzen geistiger Organisation? Jn den Thieren zeigen <lb n="p2c_757.025"/> sich Charaktere, Leidenschaften, welche die menschlichen im <lb n="p2c_757.026"/> Kleinen oft sehr glücklich satyrisch kopiren. Jst es nicht dem <lb n="p2c_757.027"/> Menschen natürlich, ihnen Sprache zu geben, sie handeln <lb n="p2c_757.028"/> zu lassen, und in der Thierwelt einen ähnlichen <hi rendition="#g">nothwen= </hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [757/0281]
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tens die sogenannte Moral, oder daraus gezogene Lehre. p2c_757.002
Es ist also falsch, wenn einige, z. B. Sulzer, die Fabel zu p2c_757.003
den Lehrgedichten zählen. Hier ist eine ganz andre p2c_757.004
Gattung. Die Lehrgedichte interessiren den Verstand, p2c_757.005
als begreifendes Vermögen. Die Fabel interessirt p2c_757.006
die Vernunft, als das Vermögen vom Sinnbild auf p2c_757.007
die Wahrheit zu schließen. Die Fabel gehört zu den p2c_757.008
allegorischen Gedichten. Das Vergnügen, welches p2c_757.009
sie gewährt, liegt darinnen, daß sie anschaulich zeigt, wie p2c_757.010
in der nicht moralischen physischen Welt nach ähnlichen p2c_757.011
Prinzipien verfahren wird, als in der Welt der Freyheit, p2c_757.012
so daß man die instinctmäßige Natur, als Sinnbild der moralischen p2c_757.013
brauchen kann. Jedes auch leblose Ding in der p2c_757.014
Welt ist das Sinnbild eines Begriffs, hat einen Charakter, p2c_757.015
der den Menschen an irgend etwas analoges in seinem Geiste p2c_757.016
erinnert. Die Eiche trotzt dem Sturm, aber wird entwurzelt, p2c_757.017
das Rohr biegt sich, aber bleibt auf seiner Stelle. p2c_757.018
Ruft die Natur dem Menschen nicht dadurch anschaulich die p2c_757.019
Lehre zu: trotze nicht! es giebt etwas höheres als dein individuelles p2c_757.020
du, so tief dessen Wurzeln auch gehn mögen? p2c_757.021
Der Topf von Thon geht mit dem Topf von Eisen auf die p2c_757.022
Reise und bricht, und dies zwar nach nothwendigen materiellen p2c_757.023
Gesetzen. Geht dies nicht in der Menschenwelt eben so nach p2c_757.024
Gesetzen geistiger Organisation? Jn den Thieren zeigen p2c_757.025
sich Charaktere, Leidenschaften, welche die menschlichen im p2c_757.026
Kleinen oft sehr glücklich satyrisch kopiren. Jst es nicht dem p2c_757.027
Menschen natürlich, ihnen Sprache zu geben, sie handeln p2c_757.028
zu lassen, und in der Thierwelt einen ähnlichen nothwen=
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