Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_762.001 p2c_762.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0286" n="762"/><lb n="p2c_762.001"/> das <hi rendition="#g">satyrische</hi> Gefühl, wegen der menschlichen Schwächen, <lb n="p2c_762.002"/> die unter der thierischen Gestalt gegeisselt werden. <lb n="p2c_762.003"/> Zuweilen nähert sich auch die Fabel dem höhern Schönen. <lb n="p2c_762.004"/> Einige Fabeln Lessings sind <hi rendition="#g">rührend,</hi> z. B. vom Lamm <lb n="p2c_762.005"/> und der Juno, die des Babrias <foreign xml:lang="grc">Αηδων και χελιδων</foreign> ebenfalls. <lb n="p2c_762.006"/> Lafontaine erhebt sich nicht selten mit Einbildungskraft <lb n="p2c_762.007"/> und Gefühl, wiewol er im Ganzen genommen mehr <lb n="p2c_762.008"/> Naivität und Grazie zeigt. Durch den <hi rendition="#g">ästhetischen</hi> <lb n="p2c_762.009"/> Jnhalt wird auch der <hi rendition="#g">Styl</hi> der Fabel bestimmt. Von dem <lb n="p2c_762.010"/> Styl der Fabel kann man <hi rendition="#g">drey</hi> Gattungen annehmen, den <lb n="p2c_762.011"/> ganz <hi rendition="#g">einfachen</hi> der Griechen, den <hi rendition="#g">Lafontainischen</hi> <lb n="p2c_762.012"/> geselligen Weltton, den <hi rendition="#g">epigrammatischen</hi> Styl Lessings. <lb n="p2c_762.013"/> Das Centrum des durch diese drey Punkte bestimmten <lb n="p2c_762.014"/> Zirkels ist von wenigen Fabeldichtern getroffen. Das <lb n="p2c_762.015"/> beste Muster giebt uns <hi rendition="#g">Babrias</hi> in den paar griechischen <lb n="p2c_762.016"/> Fabeln, die wir noch haben. Sein Styl ist einfach, edel, <lb n="p2c_762.017"/> naiv. <hi rendition="#g">Einfach</hi> muß der Styl der Fabel seyn, weil der <lb n="p2c_762.018"/> Gegenstand, wegen seiner praktischen Tendenz eine gewisse <lb n="p2c_762.019"/> Würde hat, und das Ganze leicht durchschaut werden muß, <lb n="p2c_762.020"/> wie jede <hi rendition="#g">nüchterne</hi> Lebensphilosophie. Lafontaine versteigt <lb n="p2c_762.021"/> sich zuweilen, wiewol im Scherz, in die Regionen <lb n="p2c_762.022"/> der Metaphysik, z. B. der Cartesischen. Hier geht er freylich <lb n="p2c_762.023"/> über die Sphäre der eigentlichen Fabel hinaus; und <lb n="p2c_762.024"/> sein Styl wird dann minder einfach: Wenn er die Parthey <lb n="p2c_762.025"/> der Thiere nimmt, und eine gewisse geistige Natur derselben <lb n="p2c_762.026"/> behauptet, so ist seine Philosophie allerdings der Theorie der <lb n="p2c_762.027"/> Fabel gemäß. Doch ist das mehr Reflexion über die Fabel, <lb n="p2c_762.028"/> als eigentliche Fabelpoesie. Die Lafontainische Fabel ist </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [762/0286]
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das satyrische Gefühl, wegen der menschlichen Schwächen, p2c_762.002
die unter der thierischen Gestalt gegeisselt werden. p2c_762.003
Zuweilen nähert sich auch die Fabel dem höhern Schönen. p2c_762.004
Einige Fabeln Lessings sind rührend, z. B. vom Lamm p2c_762.005
und der Juno, die des Babrias Αηδων και χελιδων ebenfalls. p2c_762.006
Lafontaine erhebt sich nicht selten mit Einbildungskraft p2c_762.007
und Gefühl, wiewol er im Ganzen genommen mehr p2c_762.008
Naivität und Grazie zeigt. Durch den ästhetischen p2c_762.009
Jnhalt wird auch der Styl der Fabel bestimmt. Von dem p2c_762.010
Styl der Fabel kann man drey Gattungen annehmen, den p2c_762.011
ganz einfachen der Griechen, den Lafontainischen p2c_762.012
geselligen Weltton, den epigrammatischen Styl Lessings. p2c_762.013
Das Centrum des durch diese drey Punkte bestimmten p2c_762.014
Zirkels ist von wenigen Fabeldichtern getroffen. Das p2c_762.015
beste Muster giebt uns Babrias in den paar griechischen p2c_762.016
Fabeln, die wir noch haben. Sein Styl ist einfach, edel, p2c_762.017
naiv. Einfach muß der Styl der Fabel seyn, weil der p2c_762.018
Gegenstand, wegen seiner praktischen Tendenz eine gewisse p2c_762.019
Würde hat, und das Ganze leicht durchschaut werden muß, p2c_762.020
wie jede nüchterne Lebensphilosophie. Lafontaine versteigt p2c_762.021
sich zuweilen, wiewol im Scherz, in die Regionen p2c_762.022
der Metaphysik, z. B. der Cartesischen. Hier geht er freylich p2c_762.023
über die Sphäre der eigentlichen Fabel hinaus; und p2c_762.024
sein Styl wird dann minder einfach: Wenn er die Parthey p2c_762.025
der Thiere nimmt, und eine gewisse geistige Natur derselben p2c_762.026
behauptet, so ist seine Philosophie allerdings der Theorie der p2c_762.027
Fabel gemäß. Doch ist das mehr Reflexion über die Fabel, p2c_762.028
als eigentliche Fabelpoesie. Die Lafontainische Fabel ist
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