Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_507.001 p2c_507.004 p2c_507.001 p2c_507.004 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0031" n="507"/><lb n="p2c_507.001"/> sie die moralische Natur des Menschen im Lichte der <lb n="p2c_507.002"/> reinsten Schönheit zeige, und also Andacht und Begeisterung <lb n="p2c_507.003"/> in jeder unverdorbenen Seele erregen müsse.</p> <p><lb n="p2c_507.004"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> Es ist die höchste Jnconsequenz, wenn <lb n="p2c_507.005"/> man, wie bisher geschehen ist, blos im <hi rendition="#g">alten</hi> Testament <lb n="p2c_507.006"/> Poesie findet. <hi rendition="#aq">Lowths poesis Sacra</hi> nimmt nur diese <lb n="p2c_507.007"/> Richtung. Der Fehler liegt darinnen, daß man keinen <lb n="p2c_507.008"/> Begriff von Poesie hatte, der würdig genug gewesen wäre. <lb n="p2c_507.009"/> Man fürchtete zu viel den falschen Nebenbegriff von Erdichtung, <lb n="p2c_507.010"/> um nur die geringste Anwendung davon auf das neue <lb n="p2c_507.011"/> Testament zu wagen. Man vergaß die <hi rendition="#g">Jdee</hi> der <hi rendition="#g">Jnspiration,</hi> <lb n="p2c_507.012"/> welche die Bibel begründet. Man meynte, nur <lb n="p2c_507.013"/> ein besonderer poetischer Styl, nur Liederform u. s. w. mache <lb n="p2c_507.014"/> das Wesen der Poesie aus, da selbiges doch die Darstellung <lb n="p2c_507.015"/> des <hi rendition="#g">Jdealen</hi> durch die Sprache ist. Man sah nicht ein, <lb n="p2c_507.016"/> daß das alte Testament bey allen seinen einzelnen poetischen <lb n="p2c_507.017"/> Schönheiten erst durch das Christenthum ein vollkommnes <lb n="p2c_507.018"/> poetische Ganze geworden sey, man sah nicht ein, daß die <lb n="p2c_507.019"/> religiöse Andacht die Poesie des Lebens sey, und daß man <lb n="p2c_507.020"/> dem Christenthum seinen ganzen Einfluß auf das menschliche <lb n="p2c_507.021"/> Herz raubt, wenn man seine heilige Urkunde nur kritisch, <lb n="p2c_507.022"/> philosophisch, historisch betrachtet. Die Hinneigung vieler <lb n="p2c_507.023"/> unsrer besten Köpfe zum Katholizismus wird manche Theologen <lb n="p2c_507.024"/> endlich vielleicht aus ihrem Schlummer wecken. Luthers <lb n="p2c_507.025"/> Absicht war es gewiß nicht, dem Geiste des Christenthums <lb n="p2c_507.026"/> die Richtung zu geben, die er späterhin leider genommen <lb n="p2c_507.027"/> hat. Aberglaube und Mißbräuche wollte er abschaffen, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [507/0031]
p2c_507.001
sie die moralische Natur des Menschen im Lichte der p2c_507.002
reinsten Schönheit zeige, und also Andacht und Begeisterung p2c_507.003
in jeder unverdorbenen Seele erregen müsse.
p2c_507.004
Anmerk. Es ist die höchste Jnconsequenz, wenn p2c_507.005
man, wie bisher geschehen ist, blos im alten Testament p2c_507.006
Poesie findet. Lowths poesis Sacra nimmt nur diese p2c_507.007
Richtung. Der Fehler liegt darinnen, daß man keinen p2c_507.008
Begriff von Poesie hatte, der würdig genug gewesen wäre. p2c_507.009
Man fürchtete zu viel den falschen Nebenbegriff von Erdichtung, p2c_507.010
um nur die geringste Anwendung davon auf das neue p2c_507.011
Testament zu wagen. Man vergaß die Jdee der Jnspiration, p2c_507.012
welche die Bibel begründet. Man meynte, nur p2c_507.013
ein besonderer poetischer Styl, nur Liederform u. s. w. mache p2c_507.014
das Wesen der Poesie aus, da selbiges doch die Darstellung p2c_507.015
des Jdealen durch die Sprache ist. Man sah nicht ein, p2c_507.016
daß das alte Testament bey allen seinen einzelnen poetischen p2c_507.017
Schönheiten erst durch das Christenthum ein vollkommnes p2c_507.018
poetische Ganze geworden sey, man sah nicht ein, daß die p2c_507.019
religiöse Andacht die Poesie des Lebens sey, und daß man p2c_507.020
dem Christenthum seinen ganzen Einfluß auf das menschliche p2c_507.021
Herz raubt, wenn man seine heilige Urkunde nur kritisch, p2c_507.022
philosophisch, historisch betrachtet. Die Hinneigung vieler p2c_507.023
unsrer besten Köpfe zum Katholizismus wird manche Theologen p2c_507.024
endlich vielleicht aus ihrem Schlummer wecken. Luthers p2c_507.025
Absicht war es gewiß nicht, dem Geiste des Christenthums p2c_507.026
die Richtung zu geben, die er späterhin leider genommen p2c_507.027
hat. Aberglaube und Mißbräuche wollte er abschaffen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |