Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_510.001 p2c_510.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0034" n="510"/><lb n="p2c_510.001"/> bey keiner Kreatur, laß was irdisch ist dahinden, Schwing <lb n="p2c_510.002"/> dich über die Natur, Wo Gott und die Menschheit in <hi rendition="#g">Einem</hi> <lb n="p2c_510.003"/> vereinet, Wo alle lebendige Fülle erscheinet.“ ─ <lb n="p2c_510.004"/> Dies war ihr Glaube, in diesem lebten und starben sie. Er <lb n="p2c_510.005"/> war ihnen Bürge für ihre <hi rendition="#g">eigene Hoheit,</hi> für ihre <hi rendition="#g">eigne</hi> <lb n="p2c_510.006"/> Unvergänglichkeit. ─ Späterhin ist durch eine <hi rendition="#g">materialistische,</hi> <lb n="p2c_510.007"/> (doch nur <hi rendition="#g">halb</hi> wissenschaftliche) <hi rendition="#g">mathematische, <lb n="p2c_510.008"/> physische</hi> Ansicht des Weltgebäudes, durch den <lb n="p2c_510.009"/> sogenannten <hi rendition="#g">theistischen</hi> Begriff einer allmächtigen Gottheit, <lb n="p2c_510.010"/> die alle die unzähligen Sternenheere regiert, und durch <lb n="p2c_510.011"/> den groben historischen Realismus die wohlthätige Jdee des <lb n="p2c_510.012"/> moralischen liebenden Gottes unsrer Väter verdrängt, alles <lb n="p2c_510.013"/> <hi rendition="#g">höhere</hi> Menschengefühl bey vielen Menschen im eigentlichsten <lb n="p2c_510.014"/> Verstande erdrückt worden. Man wagte nicht mehr <lb n="p2c_510.015"/> sich vorzustellen, daß der, welchen der Weltkreis nicht faßt, <lb n="p2c_510.016"/> wie Luther sagt, in einer Krippe geweint haben sollte, daß <lb n="p2c_510.017"/> der furchtbar große Naturgott die Menschheit so <hi rendition="#g">geliebt</hi> <lb n="p2c_510.018"/> haben sollte, um mit seiner ganzen Fülle in ihr zu wohnen. <lb n="p2c_510.019"/> Gleichwol ist und bleibt der Spruch: Also hat Gott die Welt <lb n="p2c_510.020"/> geliebt u. s. w. der Schlußstein des ganzen biblischen Systems. <lb n="p2c_510.021"/> Nur durch diese Wahrheit erhebt sich die Bibel zur <lb n="p2c_510.022"/> Würde einer vollkommen <hi rendition="#g">idealen</hi> Weltgeschichte, die in <lb n="p2c_510.023"/> das Menschenleben den entschiedensten Einfluß haben kann. <lb n="p2c_510.024"/> Es ist hier von keiner der unzähligen Menschwerdungen und <lb n="p2c_510.025"/> Vergötterungen die Rede, die bey den heydnischen Nazionen <lb n="p2c_510.026"/> geträumt worden sind. Die Heyden vergötterten aus <lb n="p2c_510.027"/> Schmeicheley Menschen nach dem Tode, dachten sich phantastische <lb n="p2c_510.028"/> Wunderwesen, welche zuweilen die <hi rendition="#g">Menschen= </hi></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [510/0034]
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bey keiner Kreatur, laß was irdisch ist dahinden, Schwing p2c_510.002
dich über die Natur, Wo Gott und die Menschheit in Einem p2c_510.003
vereinet, Wo alle lebendige Fülle erscheinet.“ ─ p2c_510.004
Dies war ihr Glaube, in diesem lebten und starben sie. Er p2c_510.005
war ihnen Bürge für ihre eigene Hoheit, für ihre eigne p2c_510.006
Unvergänglichkeit. ─ Späterhin ist durch eine materialistische, p2c_510.007
(doch nur halb wissenschaftliche) mathematische, p2c_510.008
physische Ansicht des Weltgebäudes, durch den p2c_510.009
sogenannten theistischen Begriff einer allmächtigen Gottheit, p2c_510.010
die alle die unzähligen Sternenheere regiert, und durch p2c_510.011
den groben historischen Realismus die wohlthätige Jdee des p2c_510.012
moralischen liebenden Gottes unsrer Väter verdrängt, alles p2c_510.013
höhere Menschengefühl bey vielen Menschen im eigentlichsten p2c_510.014
Verstande erdrückt worden. Man wagte nicht mehr p2c_510.015
sich vorzustellen, daß der, welchen der Weltkreis nicht faßt, p2c_510.016
wie Luther sagt, in einer Krippe geweint haben sollte, daß p2c_510.017
der furchtbar große Naturgott die Menschheit so geliebt p2c_510.018
haben sollte, um mit seiner ganzen Fülle in ihr zu wohnen. p2c_510.019
Gleichwol ist und bleibt der Spruch: Also hat Gott die Welt p2c_510.020
geliebt u. s. w. der Schlußstein des ganzen biblischen Systems. p2c_510.021
Nur durch diese Wahrheit erhebt sich die Bibel zur p2c_510.022
Würde einer vollkommen idealen Weltgeschichte, die in p2c_510.023
das Menschenleben den entschiedensten Einfluß haben kann. p2c_510.024
Es ist hier von keiner der unzähligen Menschwerdungen und p2c_510.025
Vergötterungen die Rede, die bey den heydnischen Nazionen p2c_510.026
geträumt worden sind. Die Heyden vergötterten aus p2c_510.027
Schmeicheley Menschen nach dem Tode, dachten sich phantastische p2c_510.028
Wunderwesen, welche zuweilen die Menschen=
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