Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_519.001 p2c_519.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0043" n="519"/><lb n="p2c_519.001"/> nannten, um ihn zu fürchten und sich und andre mit dem <lb n="p2c_519.002"/> Worte zu quälen, den sieht Jesus in sich von Angesicht zu <lb n="p2c_519.003"/> Angesicht in voller Reinheit, als <hi rendition="#g">Gott der Liebe.</hi> Und <lb n="p2c_519.004"/> das alte Schicksal erfüllt sich, Gott und die Menschheit, <lb n="p2c_519.005"/> die ganz von einander getrennt waren, sind in <hi rendition="#g">Einem</hi> <lb n="p2c_519.006"/> Mittler vereint. Jesus weiß, daß er von oben herab gekommen <lb n="p2c_519.007"/> ist in die Welt, aber er weiß auch, wohin er geht. <lb n="p2c_519.008"/> Er selbst hat sein Schicksal in und durch Gott zum Besten <lb n="p2c_519.009"/> der Welt bestimmt, und er folgt mit freyer Selbstbestimmung <lb n="p2c_519.010"/> diesem nothwendigen Schicksal. Die in ihren eignen <lb n="p2c_519.011"/> Augen gesunkne Menschheit bedarf eines schuldlosen Opfers, <lb n="p2c_519.012"/> eines Vorbilds, an das sie glauben könne, um an sich selbst <lb n="p2c_519.013"/> zu glauben, eines wahren Menschen, der ganz allein Gott <lb n="p2c_519.014"/> lebte und starb, der sich ganz heiligte für die menschliche <lb n="p2c_519.015"/> Natur, damit der Geist der Wahrheit zu ihr komme. Die <lb n="p2c_519.016"/> Menschheit bedarf die Hinwegnahme des erblichen moralischen <lb n="p2c_519.017"/> Uebels in dieser Welt, vermöge dessen sich jeder als ein <lb n="p2c_519.018"/> blos sinnlich kluges Wesen selbst verachten muß. Sie muß <lb n="p2c_519.019"/> ihrer Aufnahme in die göttliche Freyheit, in die höhere vollkommne <lb n="p2c_519.020"/> himmlische Natur sichtbar gewiß werden. Der erzürnte <lb n="p2c_519.021"/> Gott, der mit dem Abfall der Menschen von der Natur <lb n="p2c_519.022"/> zur Weltklugheit die Strafe der Selbstverachtung und <lb n="p2c_519.023"/> des physischen Uebels über sie verhängt hatte, mußte ganz <lb n="p2c_519.024"/> versöhnt werden. An die Stelle der schwachen Erkenntniß <lb n="p2c_519.025"/> und Weltklugheit, mit welcher jene ewig strafende Selbstverachtung, <lb n="p2c_519.026"/> die Hölle des Lebens, unauflöslich verbunden <lb n="p2c_519.027"/> war, mußte die freye göttliche Liebe und der Glaube kommen. <lb n="p2c_519.028"/> Darum forderten die alten Weissagungen das Leiden </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [519/0043]
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nannten, um ihn zu fürchten und sich und andre mit dem p2c_519.002
Worte zu quälen, den sieht Jesus in sich von Angesicht zu p2c_519.003
Angesicht in voller Reinheit, als Gott der Liebe. Und p2c_519.004
das alte Schicksal erfüllt sich, Gott und die Menschheit, p2c_519.005
die ganz von einander getrennt waren, sind in Einem p2c_519.006
Mittler vereint. Jesus weiß, daß er von oben herab gekommen p2c_519.007
ist in die Welt, aber er weiß auch, wohin er geht. p2c_519.008
Er selbst hat sein Schicksal in und durch Gott zum Besten p2c_519.009
der Welt bestimmt, und er folgt mit freyer Selbstbestimmung p2c_519.010
diesem nothwendigen Schicksal. Die in ihren eignen p2c_519.011
Augen gesunkne Menschheit bedarf eines schuldlosen Opfers, p2c_519.012
eines Vorbilds, an das sie glauben könne, um an sich selbst p2c_519.013
zu glauben, eines wahren Menschen, der ganz allein Gott p2c_519.014
lebte und starb, der sich ganz heiligte für die menschliche p2c_519.015
Natur, damit der Geist der Wahrheit zu ihr komme. Die p2c_519.016
Menschheit bedarf die Hinwegnahme des erblichen moralischen p2c_519.017
Uebels in dieser Welt, vermöge dessen sich jeder als ein p2c_519.018
blos sinnlich kluges Wesen selbst verachten muß. Sie muß p2c_519.019
ihrer Aufnahme in die göttliche Freyheit, in die höhere vollkommne p2c_519.020
himmlische Natur sichtbar gewiß werden. Der erzürnte p2c_519.021
Gott, der mit dem Abfall der Menschen von der Natur p2c_519.022
zur Weltklugheit die Strafe der Selbstverachtung und p2c_519.023
des physischen Uebels über sie verhängt hatte, mußte ganz p2c_519.024
versöhnt werden. An die Stelle der schwachen Erkenntniß p2c_519.025
und Weltklugheit, mit welcher jene ewig strafende Selbstverachtung, p2c_519.026
die Hölle des Lebens, unauflöslich verbunden p2c_519.027
war, mußte die freye göttliche Liebe und der Glaube kommen. p2c_519.028
Darum forderten die alten Weissagungen das Leiden
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