Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_521.001 p2c_521.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0045" n="521"/><lb n="p2c_521.001"/> ganze neue Lehre des Wunderthäters ist <hi rendition="#g">Glauben</hi> und <lb n="p2c_521.002"/> <hi rendition="#g">Liebe.</hi> Er verlangt mehr als den bloßen Glauben an das <lb n="p2c_521.003"/> Wort Gott, das die Juden so oft entweihten. Er verlangt <lb n="p2c_521.004"/> den Glauben an <hi rendition="#g">sich,</hi> an den Gott verbunden mit <lb n="p2c_521.005"/> der Menschennatur. Er allein ist die Wahrheit und das Leben. <lb n="p2c_521.006"/> Niemand kommt zum Vater, als durch <hi rendition="#g">ihn.</hi> So <lb n="p2c_521.007"/> erhebt und heiligt er die Menschheit wieder, die nur einen <lb n="p2c_521.008"/> furchtbaren Gott außer sich kannte, die in ihren eigenen <lb n="p2c_521.009"/> Augen gesunken, von der alles wechselseitige Vertraun auf <lb n="p2c_521.010"/> Seelenreinheit gewichen war. Liebe Gott über alles, und <lb n="p2c_521.011"/> deinen Nächsten als dich selbst, ist das ganze Gesetz, das er <lb n="p2c_521.012"/> verkündet. Aber dies Gesetz verlangt mehr, als der alte <lb n="p2c_521.013"/> Buchstabe. Denn Liebe thut mehr, wie der Gehorsam, und <lb n="p2c_521.014"/> wer sein eignes Werk thut, mehr wie der Knecht. Darum <lb n="p2c_521.015"/> legt er das Gesetz der Vorfahren aus mit furchtbarer Strenge. <lb n="p2c_521.016"/> Mit dem begeisterten Ruf der moralischen Allmacht zieht er <lb n="p2c_521.017"/> die wieder gebornen Menschenherzen vom Besitze des Zeitlichen, <lb n="p2c_521.018"/> von der Sorge fürs niedere Leben ab. „Wer den <lb n="p2c_521.019"/> Pflug ergreift und sieht hinter sich, wer mir huldigen will <lb n="p2c_521.020"/> und auch dem Mammon, wer Weib und Kind und Eltern <lb n="p2c_521.021"/> mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht werth. Wer mich <lb n="p2c_521.022"/> verläugnet vor den Menschen, den verläugne ich vor Gott. <lb n="p2c_521.023"/> Wer sein Leben behalten will, der wird es verliehren, und <lb n="p2c_521.024"/> wer es verliehren wird um meinetwillen, der wird es gewinnen.“ <lb n="p2c_521.025"/> Die erschütterten längst verhärteten Herzen der <lb n="p2c_521.026"/> Juden fühlen die Nähe des Reiches Gottes. Aber es kommt <lb n="p2c_521.027"/> nicht, wie sie es erwartet hatten, es kommt nicht mit äußern <lb n="p2c_521.028"/> Geberden. Seine Jünger hoffen auf irdischen Vorzug </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [521/0045]
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ganze neue Lehre des Wunderthäters ist Glauben und p2c_521.002
Liebe. Er verlangt mehr als den bloßen Glauben an das p2c_521.003
Wort Gott, das die Juden so oft entweihten. Er verlangt p2c_521.004
den Glauben an sich, an den Gott verbunden mit p2c_521.005
der Menschennatur. Er allein ist die Wahrheit und das Leben. p2c_521.006
Niemand kommt zum Vater, als durch ihn. So p2c_521.007
erhebt und heiligt er die Menschheit wieder, die nur einen p2c_521.008
furchtbaren Gott außer sich kannte, die in ihren eigenen p2c_521.009
Augen gesunken, von der alles wechselseitige Vertraun auf p2c_521.010
Seelenreinheit gewichen war. Liebe Gott über alles, und p2c_521.011
deinen Nächsten als dich selbst, ist das ganze Gesetz, das er p2c_521.012
verkündet. Aber dies Gesetz verlangt mehr, als der alte p2c_521.013
Buchstabe. Denn Liebe thut mehr, wie der Gehorsam, und p2c_521.014
wer sein eignes Werk thut, mehr wie der Knecht. Darum p2c_521.015
legt er das Gesetz der Vorfahren aus mit furchtbarer Strenge. p2c_521.016
Mit dem begeisterten Ruf der moralischen Allmacht zieht er p2c_521.017
die wieder gebornen Menschenherzen vom Besitze des Zeitlichen, p2c_521.018
von der Sorge fürs niedere Leben ab. „Wer den p2c_521.019
Pflug ergreift und sieht hinter sich, wer mir huldigen will p2c_521.020
und auch dem Mammon, wer Weib und Kind und Eltern p2c_521.021
mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht werth. Wer mich p2c_521.022
verläugnet vor den Menschen, den verläugne ich vor Gott. p2c_521.023
Wer sein Leben behalten will, der wird es verliehren, und p2c_521.024
wer es verliehren wird um meinetwillen, der wird es gewinnen.“ p2c_521.025
Die erschütterten längst verhärteten Herzen der p2c_521.026
Juden fühlen die Nähe des Reiches Gottes. Aber es kommt p2c_521.027
nicht, wie sie es erwartet hatten, es kommt nicht mit äußern p2c_521.028
Geberden. Seine Jünger hoffen auf irdischen Vorzug
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