Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_538.001 p2c_538.006 p2c_538.001 p2c_538.006 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0062" n="538"/><lb n="p2c_538.001"/> Schwanken, Zweifeln u. s. w. eine beginnende Handlung <lb n="p2c_538.002"/> nennen, so läßt sich dawider nichts einwenden, allein dann <lb n="p2c_538.003"/> ist das Wort nicht kunstmäßig gebraucht. ─ So viel zur <lb n="p2c_538.004"/> Erläuterung des Satzes, daß die Ode keinen objektiv bestimmten <lb n="p2c_538.005"/> Jnhalt habe.</p> <p><lb n="p2c_538.006"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 2. Am wirksamsten ist der Gang der ästhetischen <lb n="p2c_538.007"/> Empfindungen in der Ode, wenn das Gedicht mit <lb n="p2c_538.008"/> dem Heftigen, Starken, Großen oder Feyerlichen beginnt, <lb n="p2c_538.009"/> und mit dem Erhabenen schließt. Denn dies ist der natürliche <lb n="p2c_538.010"/> Gang des menschlichen Geistes. Doch kann man den <lb n="p2c_538.011"/> Dichter hierin nicht beschränken. Nur müssen die Uebergänge <lb n="p2c_538.012"/> aus einer Untergattung des Schönen in die andere <lb n="p2c_538.013"/> nicht widernatürlich und zu kontrastirend seyn. Man kann <lb n="p2c_538.014"/> hier viele interessante Bemerkungen machen, wenn man die <lb n="p2c_538.015"/> schönsten Oden nach theoretischen Bestimmungen analysirt. <lb n="p2c_538.016"/> Man nehme z. B. d. Horaz. Ode <hi rendition="#aq">III</hi>. 11. Erst das Feyerliche <lb n="p2c_538.017"/> ─ dann folgt ein heiteres Bild des reizend Schönen. <lb n="p2c_538.018"/> Dann das Starke, hierauf das Schauerliche, und der Schluß <lb n="p2c_538.019"/> ist erhaben. ─ Jn der Ode <hi rendition="#aq">Augustam amice pauperiem <lb n="p2c_538.020"/> pati (III</hi>. 2.) beginnt das Starke, dazwischen ist ein Lichtstrahl <lb n="p2c_538.021"/> sanfter Liebe geworfen, dann folgt das Heftige, hierauf <lb n="p2c_538.022"/> kommt eine hohe Empfindung. Das Bild der Tugend, <lb n="p2c_538.023"/> welche die Erde verläßt, ist erhaben, und die Ode schließt <lb n="p2c_538.024"/> wieder mit dem Starken. Da die Empfindung des höhern <lb n="p2c_538.025"/> Schönen eine ungewöhnliche Gemüthsstimmung voraussetzt, <lb n="p2c_538.026"/> so wird der Odendichter seine Seelenkräfte entweder durch <lb n="p2c_538.027"/> einen feyerlichen Anruf zu seinem Gesange sammeln, oder </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [538/0062]
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Schwanken, Zweifeln u. s. w. eine beginnende Handlung p2c_538.002
nennen, so läßt sich dawider nichts einwenden, allein dann p2c_538.003
ist das Wort nicht kunstmäßig gebraucht. ─ So viel zur p2c_538.004
Erläuterung des Satzes, daß die Ode keinen objektiv bestimmten p2c_538.005
Jnhalt habe.
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Anmerk. 2. Am wirksamsten ist der Gang der ästhetischen p2c_538.007
Empfindungen in der Ode, wenn das Gedicht mit p2c_538.008
dem Heftigen, Starken, Großen oder Feyerlichen beginnt, p2c_538.009
und mit dem Erhabenen schließt. Denn dies ist der natürliche p2c_538.010
Gang des menschlichen Geistes. Doch kann man den p2c_538.011
Dichter hierin nicht beschränken. Nur müssen die Uebergänge p2c_538.012
aus einer Untergattung des Schönen in die andere p2c_538.013
nicht widernatürlich und zu kontrastirend seyn. Man kann p2c_538.014
hier viele interessante Bemerkungen machen, wenn man die p2c_538.015
schönsten Oden nach theoretischen Bestimmungen analysirt. p2c_538.016
Man nehme z. B. d. Horaz. Ode III. 11. Erst das Feyerliche p2c_538.017
─ dann folgt ein heiteres Bild des reizend Schönen. p2c_538.018
Dann das Starke, hierauf das Schauerliche, und der Schluß p2c_538.019
ist erhaben. ─ Jn der Ode Augustam amice pauperiem p2c_538.020
pati (III. 2.) beginnt das Starke, dazwischen ist ein Lichtstrahl p2c_538.021
sanfter Liebe geworfen, dann folgt das Heftige, hierauf p2c_538.022
kommt eine hohe Empfindung. Das Bild der Tugend, p2c_538.023
welche die Erde verläßt, ist erhaben, und die Ode schließt p2c_538.024
wieder mit dem Starken. Da die Empfindung des höhern p2c_538.025
Schönen eine ungewöhnliche Gemüthsstimmung voraussetzt, p2c_538.026
so wird der Odendichter seine Seelenkräfte entweder durch p2c_538.027
einen feyerlichen Anruf zu seinem Gesange sammeln, oder
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