Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_550.001
anlassung
enthalten muß, die die Singenden feyerlich p2c_550.002
stimmt. Die sogenannten homerischen Hymnen sind p2c_550.003
sehr simpel zu Anfang, wie überhaupt. Allein dies sind p2c_550.004
mehr kleine historische Stücke, und können kaum zur lyrischen p2c_550.005
Poesie gezählt werden. - Callimachus ist weit lyrischer. p2c_550.006
Wie feyerlich ist nicht der Anfang seines Hymnus an p2c_550.007
die Ceres. Man sieht den ganzen Schauplatz voll begeisterter p2c_550.008
zum Gottesdienst versammelter Menschen vor sich. - p2c_550.009
Auch beym Schluß einer Hymne darf sich die Phantasie nicht p2c_550.010
so frey verliehren, wie bey einer Ode. Denn die Veranlassung p2c_550.011
zur Hymne ist feyerlich. Sie soll eine heilige Gemüthsstimmung p2c_550.012
zurücklassen. Der Odendichter folgt seiner p2c_550.013
Laune, beginnt mit Anstrengung oder Erhabenheit, und p2c_550.014
endet leicht, oder auch umgekehrt. Die Hymne muß mit p2c_550.015
eben der großen Empfindung enden, wie sie begann. p2c_550.016
Auch in den homerischen Hymnen wird zum Schluß wenigstens p2c_550.017
ein Gruß an den Gott wiederholt. Mesomedes p2c_550.018
Hymne an die Nemesis hat den Charakter der Stärke und p2c_550.019
des Grausenden. Darum ist auch die letzte Jdee, mit p2c_550.020
welcher der Dichter schließt, der Tartarus. - Uebrigens p2c_550.021
können sich in der Hymne selbst auch lichtere Bilder und reizend p2c_550.022
schöne Empfindungen zeigen, wenn es die Jdeenreihe p2c_550.023
so mit sich bringt. Nur kann die Phantasie sich nicht so p2c_550.024
ganz denselben überlassen, wie bey der Ode.

p2c_550.025
§. 9.

p2c_550.026
2) Da die Hymne ein lyrisches Gedicht ist, p2c_550.027
folglich die subjektive Stimmung der Singenden mehr

p2c_550.001
anlassung
enthalten muß, die die Singenden feyerlich p2c_550.002
stimmt. Die sogenannten homerischen Hymnen sind p2c_550.003
sehr simpel zu Anfang, wie überhaupt. Allein dies sind p2c_550.004
mehr kleine historische Stücke, und können kaum zur lyrischen p2c_550.005
Poesie gezählt werden. ─ Callimachus ist weit lyrischer. p2c_550.006
Wie feyerlich ist nicht der Anfang seines Hymnus an p2c_550.007
die Ceres. Man sieht den ganzen Schauplatz voll begeisterter p2c_550.008
zum Gottesdienst versammelter Menschen vor sich. ─ p2c_550.009
Auch beym Schluß einer Hymne darf sich die Phantasie nicht p2c_550.010
so frey verliehren, wie bey einer Ode. Denn die Veranlassung p2c_550.011
zur Hymne ist feyerlich. Sie soll eine heilige Gemüthsstimmung p2c_550.012
zurücklassen. Der Odendichter folgt seiner p2c_550.013
Laune, beginnt mit Anstrengung oder Erhabenheit, und p2c_550.014
endet leicht, oder auch umgekehrt. Die Hymne muß mit p2c_550.015
eben der großen Empfindung enden, wie sie begann. p2c_550.016
Auch in den homerischen Hymnen wird zum Schluß wenigstens p2c_550.017
ein Gruß an den Gott wiederholt. Mesomedes p2c_550.018
Hymne an die Nemesis hat den Charakter der Stärke und p2c_550.019
des Grausenden. Darum ist auch die letzte Jdee, mit p2c_550.020
welcher der Dichter schließt, der Tartarus. ─ Uebrigens p2c_550.021
können sich in der Hymne selbst auch lichtere Bilder und reizend p2c_550.022
schöne Empfindungen zeigen, wenn es die Jdeenreihe p2c_550.023
so mit sich bringt. Nur kann die Phantasie sich nicht so p2c_550.024
ganz denselben überlassen, wie bey der Ode.

p2c_550.025
§. 9.

p2c_550.026
2) Da die Hymne ein lyrisches Gedicht ist, p2c_550.027
folglich die subjektive Stimmung der Singenden mehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0074" n="550"/><lb n="p2c_550.001"/>
anlassung</hi> enthalten muß, die die Singenden feyerlich <lb n="p2c_550.002"/>
stimmt. Die sogenannten <hi rendition="#g">homerischen</hi> Hymnen sind <lb n="p2c_550.003"/>
sehr simpel zu Anfang, wie überhaupt. Allein dies sind <lb n="p2c_550.004"/>
mehr kleine <hi rendition="#g">historische</hi> Stücke, und können kaum zur lyrischen <lb n="p2c_550.005"/>
Poesie gezählt werden. &#x2500; Callimachus ist weit lyrischer. <lb n="p2c_550.006"/>
Wie feyerlich ist nicht der Anfang seines Hymnus an <lb n="p2c_550.007"/>
die Ceres. Man sieht den ganzen Schauplatz voll begeisterter <lb n="p2c_550.008"/>
zum Gottesdienst versammelter Menschen vor sich. &#x2500; <lb n="p2c_550.009"/>
Auch beym Schluß einer Hymne darf sich die Phantasie nicht <lb n="p2c_550.010"/>
so frey verliehren, wie bey einer Ode. Denn die Veranlassung <lb n="p2c_550.011"/>
zur Hymne ist feyerlich. Sie soll eine heilige Gemüthsstimmung <lb n="p2c_550.012"/>
zurücklassen. Der Odendichter folgt seiner <lb n="p2c_550.013"/>
Laune, beginnt mit Anstrengung oder Erhabenheit, und <lb n="p2c_550.014"/>
endet <hi rendition="#g">leicht,</hi> oder auch umgekehrt. Die Hymne muß mit <lb n="p2c_550.015"/>
eben der <hi rendition="#g">großen</hi> Empfindung enden, wie sie begann. <lb n="p2c_550.016"/>
Auch in den homerischen Hymnen wird zum Schluß wenigstens <lb n="p2c_550.017"/>
ein Gruß an den Gott wiederholt. <hi rendition="#g">Mesomedes</hi> <lb n="p2c_550.018"/>
Hymne an die Nemesis hat den Charakter der <hi rendition="#g">Stärke</hi> und <lb n="p2c_550.019"/>
des <hi rendition="#g">Grausenden.</hi> Darum ist auch die letzte Jdee, mit <lb n="p2c_550.020"/>
welcher der Dichter schließt, der Tartarus. &#x2500; Uebrigens <lb n="p2c_550.021"/>
können sich in der Hymne selbst auch lichtere Bilder und reizend <lb n="p2c_550.022"/>
schöne Empfindungen zeigen, wenn es die Jdeenreihe <lb n="p2c_550.023"/>
so mit sich bringt. Nur kann die Phantasie sich nicht so <lb n="p2c_550.024"/>
ganz denselben überlassen, wie bey der Ode.</p>
            <p> <hi rendition="#c"><lb n="p2c_550.025"/>
§. 9.</hi> </p>
            <p><lb n="p2c_550.026"/>
2) Da die <hi rendition="#g">Hymne</hi> ein <hi rendition="#g">lyrisches</hi> Gedicht ist, <lb n="p2c_550.027"/>
folglich die subjektive Stimmung der Singenden mehr
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[550/0074] p2c_550.001 anlassung enthalten muß, die die Singenden feyerlich p2c_550.002 stimmt. Die sogenannten homerischen Hymnen sind p2c_550.003 sehr simpel zu Anfang, wie überhaupt. Allein dies sind p2c_550.004 mehr kleine historische Stücke, und können kaum zur lyrischen p2c_550.005 Poesie gezählt werden. ─ Callimachus ist weit lyrischer. p2c_550.006 Wie feyerlich ist nicht der Anfang seines Hymnus an p2c_550.007 die Ceres. Man sieht den ganzen Schauplatz voll begeisterter p2c_550.008 zum Gottesdienst versammelter Menschen vor sich. ─ p2c_550.009 Auch beym Schluß einer Hymne darf sich die Phantasie nicht p2c_550.010 so frey verliehren, wie bey einer Ode. Denn die Veranlassung p2c_550.011 zur Hymne ist feyerlich. Sie soll eine heilige Gemüthsstimmung p2c_550.012 zurücklassen. Der Odendichter folgt seiner p2c_550.013 Laune, beginnt mit Anstrengung oder Erhabenheit, und p2c_550.014 endet leicht, oder auch umgekehrt. Die Hymne muß mit p2c_550.015 eben der großen Empfindung enden, wie sie begann. p2c_550.016 Auch in den homerischen Hymnen wird zum Schluß wenigstens p2c_550.017 ein Gruß an den Gott wiederholt. Mesomedes p2c_550.018 Hymne an die Nemesis hat den Charakter der Stärke und p2c_550.019 des Grausenden. Darum ist auch die letzte Jdee, mit p2c_550.020 welcher der Dichter schließt, der Tartarus. ─ Uebrigens p2c_550.021 können sich in der Hymne selbst auch lichtere Bilder und reizend p2c_550.022 schöne Empfindungen zeigen, wenn es die Jdeenreihe p2c_550.023 so mit sich bringt. Nur kann die Phantasie sich nicht so p2c_550.024 ganz denselben überlassen, wie bey der Ode. p2c_550.025 §. 9. p2c_550.026 2) Da die Hymne ein lyrisches Gedicht ist, p2c_550.027 folglich die subjektive Stimmung der Singenden mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/74
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/74>, abgerufen am 17.05.2024.