Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_552.001 §. 10. p2c_552.012 p2c_552.001 §. 10. p2c_552.012 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0076" n="552"/><lb n="p2c_552.001"/> haben wir Hymnen. ─ Das <hi rendition="#aq">Requiem</hi> oder die <lb n="p2c_552.002"/> Todtenmesse: <hi rendition="#aq">Dies irae, dies ille</hi>, ist ganz lyrisch. ─ <lb n="p2c_552.003"/> Alle geistliche Lieder der Neuern darf man nicht unter der <lb n="p2c_552.004"/> Kategorie von Hymnen aufführen. Die neuesten geistlichen <lb n="p2c_552.005"/> Lieder zumal sind mehr <hi rendition="#g">Lehrgedichte,</hi> gnomische Gedichte <lb n="p2c_552.006"/> in Liederform. Jn unsern ältern Gesangbüchern giebt es <lb n="p2c_552.007"/> noch eher wahre Hymnen, weil sich darinnen noch höhere <lb n="p2c_552.008"/> Poesie findet. ─ Popes allgemeines Gebet, Rousseaus <lb n="p2c_552.009"/> und Cramers Psalmen sind im wahren Hymnenton; auch <lb n="p2c_552.010"/> Klopstocks geistliche Lieder und manche seiner Oden.</p> <lb n="p2c_552.011"/> <p> <hi rendition="#c">§. 10.</hi> </p> <p><lb n="p2c_552.012"/> 3) Jndem die <hi rendition="#g">Hymne</hi> mehr die Empfindung beschäftigt, <lb n="p2c_552.013"/> als dem Geiste eine bestimmte objektive Anschauung <lb n="p2c_552.014"/> giebt, indem sie das Werk eines hohen lyrischen <lb n="p2c_552.015"/> Moments ist, der die Menschen begeistern soll, <lb n="p2c_552.016"/> verlangt sie auch eben so wie die <hi rendition="#g">Ode</hi> Kürze, Gedrängtheit. <lb n="p2c_552.017"/> Da sie aber durch die <hi rendition="#g">Liederform</hi> <lb n="p2c_552.018"/> etwas herabgestimmt wird, und für mehrere Menschen <lb n="p2c_552.019"/> berechnet ist, überdem ihr Plan etwas regelmäßiger <lb n="p2c_552.020"/> ist, als der der Ode, so leidet sie auch etwas mehr <lb n="p2c_552.021"/> Ausdehnung als letzteres Gedicht. Die Sprache der <lb n="p2c_552.022"/> Hymne muß wegen der feyerlichen Empfindung in <hi rendition="#g">hohem</hi> <lb n="p2c_552.023"/> Styl seyn, doch nicht ganz so <hi rendition="#g">ungewöhnlich,</hi> <lb n="p2c_552.024"/> wie der Odenton. Denn mehrere Menschen <lb n="p2c_552.025"/> zusammen können seltener die freyen Wendungen des <lb n="p2c_552.026"/> Ausdrucks nehmen, als der Dichter allein.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [552/0076]
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haben wir Hymnen. ─ Das Requiem oder die p2c_552.002
Todtenmesse: Dies irae, dies ille, ist ganz lyrisch. ─ p2c_552.003
Alle geistliche Lieder der Neuern darf man nicht unter der p2c_552.004
Kategorie von Hymnen aufführen. Die neuesten geistlichen p2c_552.005
Lieder zumal sind mehr Lehrgedichte, gnomische Gedichte p2c_552.006
in Liederform. Jn unsern ältern Gesangbüchern giebt es p2c_552.007
noch eher wahre Hymnen, weil sich darinnen noch höhere p2c_552.008
Poesie findet. ─ Popes allgemeines Gebet, Rousseaus p2c_552.009
und Cramers Psalmen sind im wahren Hymnenton; auch p2c_552.010
Klopstocks geistliche Lieder und manche seiner Oden.
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§. 10.
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3) Jndem die Hymne mehr die Empfindung beschäftigt, p2c_552.013
als dem Geiste eine bestimmte objektive Anschauung p2c_552.014
giebt, indem sie das Werk eines hohen lyrischen p2c_552.015
Moments ist, der die Menschen begeistern soll, p2c_552.016
verlangt sie auch eben so wie die Ode Kürze, Gedrängtheit. p2c_552.017
Da sie aber durch die Liederform p2c_552.018
etwas herabgestimmt wird, und für mehrere Menschen p2c_552.019
berechnet ist, überdem ihr Plan etwas regelmäßiger p2c_552.020
ist, als der der Ode, so leidet sie auch etwas mehr p2c_552.021
Ausdehnung als letzteres Gedicht. Die Sprache der p2c_552.022
Hymne muß wegen der feyerlichen Empfindung in hohem p2c_552.023
Styl seyn, doch nicht ganz so ungewöhnlich, p2c_552.024
wie der Odenton. Denn mehrere Menschen p2c_552.025
zusammen können seltener die freyen Wendungen des p2c_552.026
Ausdrucks nehmen, als der Dichter allein.
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