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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Standpunktes in demjenigen liegt, was von ihm aus bestritten
wird. Mill hat vollkommen Recht, wenn er den positiven
Behauptungen seiner Gegner energischen Zweifel entgegensetzt,
wenn er den beliebten Einwand von der "Natur" des Weibes
auf ein aus beschränkter historischer Erfahrung entstandenes
Vorurtheil zurückführt, wenn er weitere Erfahrungen verlangt,
bevor man im Stande sei, über natürliche Begabung, Beruf,
Arbeitsgebiet, Fähigkeit zur Gleichstellung des weiblichen Ge-
schlechts mit dem männlichen ein wissenschaftlich begründetes
Urtheil abzugeben. Er hat Recht, wenn er zeigt, daß hier
- wie es so oft geschieht - dem geschichtlich Gewordenen der
täuschende Schein des natürlich Gegebenen, dem sich wandelnden
Stoffe menschlicher Freiheit und menschlichen Fortschritts das
Wesen des objectiv Gebundenen beigelegt wird, um das Be-
stehende als das ewig Nothwendige darzustellen. Eine Be-
schränktheit der historischen Ansicht, welche man bei diesem wie
bei anderen Gegenständen durch den einfachen Hinweis wider-
legen kann, daß jedes Zeitalter etwas Anderes als "natürlich"
angesehen hat, daß etwa unsere heutige höhere Töchterschule,
die der Gegenwart so ohne Maßen natürlich vorkommt, den
Zeitgenossen von Daniel Defoe als ein überspanntes Project
zur Frauenemancipation erschienen ist; daß es vor nicht vielen
Jahrhunderten als der weiblichen Natur zuwiderlaufend an-
gesehen worden, die Frauen schreiben und lesen zu lehren, und
dergleichen mehr.

Auch in einem anderen, zutreffenderen Sinne verstanden ist
der Begriff der "Natürlichkeit" des Weibes nicht so weitreichend,
wie seine Anwälte ihm zuzuschreiben geneigt sind. Jch meine
die Natürlichkeit im Sinne der Naturwissenschaft. Unzweifel-
haft weiß uns der Gynäkolog von der natürlichen Sonderart
des Weibes, wie es ist und wie es sein wird, viel zu erzählen,

Standpunktes in demjenigen liegt, was von ihm aus bestritten
wird. Mill hat vollkommen Recht, wenn er den positiven
Behauptungen seiner Gegner energischen Zweifel entgegensetzt,
wenn er den beliebten Einwand von der „Natur“ des Weibes
auf ein aus beschränkter historischer Erfahrung entstandenes
Vorurtheil zurückführt, wenn er weitere Erfahrungen verlangt,
bevor man im Stande sei, über natürliche Begabung, Beruf,
Arbeitsgebiet, Fähigkeit zur Gleichstellung des weiblichen Ge-
schlechts mit dem männlichen ein wissenschaftlich begründetes
Urtheil abzugeben. Er hat Recht, wenn er zeigt, daß hier
– wie es so oft geschieht – dem geschichtlich Gewordenen der
täuschende Schein des natürlich Gegebenen, dem sich wandelnden
Stoffe menschlicher Freiheit und menschlichen Fortschritts das
Wesen des objectiv Gebundenen beigelegt wird, um das Be-
stehende als das ewig Nothwendige darzustellen. Eine Be-
schränktheit der historischen Ansicht, welche man bei diesem wie
bei anderen Gegenständen durch den einfachen Hinweis wider-
legen kann, daß jedes Zeitalter etwas Anderes als „natürlich“
angesehen hat, daß etwa unsere heutige höhere Töchterschule,
die der Gegenwart so ohne Maßen natürlich vorkommt, den
Zeitgenossen von Daniel Defoe als ein überspanntes Project
zur Frauenemancipation erschienen ist; daß es vor nicht vielen
Jahrhunderten als der weiblichen Natur zuwiderlaufend an-
gesehen worden, die Frauen schreiben und lesen zu lehren, und
dergleichen mehr.

Auch in einem anderen, zutreffenderen Sinne verstanden ist
der Begriff der „Natürlichkeit“ des Weibes nicht so weitreichend,
wie seine Anwälte ihm zuzuschreiben geneigt sind. Jch meine
die Natürlichkeit im Sinne der Naturwissenschaft. Unzweifel-
haft weiß uns der Gynäkolog von der natürlichen Sonderart
des Weibes, wie es ist und wie es sein wird, viel zu erzählen,

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[103/0119] Standpunktes in demjenigen liegt, was von ihm aus bestritten wird. Mill hat vollkommen Recht, wenn er den positiven Behauptungen seiner Gegner energischen Zweifel entgegensetzt, wenn er den beliebten Einwand von der „Natur“ des Weibes auf ein aus beschränkter historischer Erfahrung entstandenes Vorurtheil zurückführt, wenn er weitere Erfahrungen verlangt, bevor man im Stande sei, über natürliche Begabung, Beruf, Arbeitsgebiet, Fähigkeit zur Gleichstellung des weiblichen Ge- schlechts mit dem männlichen ein wissenschaftlich begründetes Urtheil abzugeben. Er hat Recht, wenn er zeigt, daß hier – wie es so oft geschieht – dem geschichtlich Gewordenen der täuschende Schein des natürlich Gegebenen, dem sich wandelnden Stoffe menschlicher Freiheit und menschlichen Fortschritts das Wesen des objectiv Gebundenen beigelegt wird, um das Be- stehende als das ewig Nothwendige darzustellen. Eine Be- schränktheit der historischen Ansicht, welche man bei diesem wie bei anderen Gegenständen durch den einfachen Hinweis wider- legen kann, daß jedes Zeitalter etwas Anderes als „natürlich“ angesehen hat, daß etwa unsere heutige höhere Töchterschule, die der Gegenwart so ohne Maßen natürlich vorkommt, den Zeitgenossen von Daniel Defoe als ein überspanntes Project zur Frauenemancipation erschienen ist; daß es vor nicht vielen Jahrhunderten als der weiblichen Natur zuwiderlaufend an- gesehen worden, die Frauen schreiben und lesen zu lehren, und dergleichen mehr. Auch in einem anderen, zutreffenderen Sinne verstanden ist der Begriff der „Natürlichkeit“ des Weibes nicht so weitreichend, wie seine Anwälte ihm zuzuschreiben geneigt sind. Jch meine die Natürlichkeit im Sinne der Naturwissenschaft. Unzweifel- haft weiß uns der Gynäkolog von der natürlichen Sonderart des Weibes, wie es ist und wie es sein wird, viel zu erzählen,

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/119>, abgerufen am 04.12.2024.