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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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wirthschaftlich geführt, so oft die Ordnung gewahrt worden
ohne Unterdrückung, die Cultur im Wachsen, das Volk ge-
deihend - in drei Fällen von vieren das Regiment in Frauen-
händen gewesen. (Die Regentschaft falle dort häufig an die
überlebenden Wittwen während der Minderjährigkeit der Thron-
folger.) Er reiht daran eine Anzahl von Beispielen aus der
Geschichte Europas. "Jst es vernünftig," fragt er, "anzunehmen,
daß Diejenigen, welche fähig sind zu den höheren Functionen
der Politik, unfähig seien zu den niederen?"

So weit Stuart Mill. Wir haben ihn als Wortführer
statt mancher Anderer reden lassen, und die seinen Worten
Beifall rufen, die sind heute weit zahlreicher, als zu der Zeit,
da sein Buch erschien. Wohl hat damals die öffentliche Mei-
nung der herrschenden Classen von England sich gegen ihn ent-
rüstet und neben anderen lautete das Verdict der "Edinburgh
Review
"*): "Wir verwerfen seine Hypothese ganz und gar,
daß das Weib ein Mann in Unterröcken sei; es ist nicht so,
es war niemals so, und wir hoffen zuversichtlich, es wird nie-
mals so sein."

Und dennoch, wenn heute Mill die Entwickelung der Dinge
in England, in andern Ländern ansähe, wenn er vergliche das,
was damals bestand, als er schrieb, und was unterdessen in
dieser Sache geschehen ist, er würde weit mehr Anlaß haben,
zufrieden zu sein, als Diejenigen, welche ihm jenes Verdammungs-
urtheil entgegensetzten.

Eine andere Frage allerdings ist es, ob der principielle
Standpunkt, den Mill vertreten hat, sich aufrecht erhalten läßt,
ob dieser unterdessen durch die Kraft seiner Gründe gewonnen
hat. Und da läßt sich nicht verkennen, daß die Stärke dieses

*) October 1869; vol.130, p. 602.

wirthschaftlich geführt, so oft die Ordnung gewahrt worden
ohne Unterdrückung, die Cultur im Wachsen, das Volk ge-
deihend – in drei Fällen von vieren das Regiment in Frauen-
händen gewesen. (Die Regentschaft falle dort häufig an die
überlebenden Wittwen während der Minderjährigkeit der Thron-
folger.) Er reiht daran eine Anzahl von Beispielen aus der
Geschichte Europas. „Jst es vernünftig,“ fragt er, „anzunehmen,
daß Diejenigen, welche fähig sind zu den höheren Functionen
der Politik, unfähig seien zu den niederen?“

So weit Stuart Mill. Wir haben ihn als Wortführer
statt mancher Anderer reden lassen, und die seinen Worten
Beifall rufen, die sind heute weit zahlreicher, als zu der Zeit,
da sein Buch erschien. Wohl hat damals die öffentliche Mei-
nung der herrschenden Classen von England sich gegen ihn ent-
rüstet und neben anderen lautete das Verdict der „Edinburgh
Review
*): „Wir verwerfen seine Hypothese ganz und gar,
daß das Weib ein Mann in Unterröcken sei; es ist nicht so,
es war niemals so, und wir hoffen zuversichtlich, es wird nie-
mals so sein.“

Und dennoch, wenn heute Mill die Entwickelung der Dinge
in England, in andern Ländern ansähe, wenn er vergliche das,
was damals bestand, als er schrieb, und was unterdessen in
dieser Sache geschehen ist, er würde weit mehr Anlaß haben,
zufrieden zu sein, als Diejenigen, welche ihm jenes Verdammungs-
urtheil entgegensetzten.

Eine andere Frage allerdings ist es, ob der principielle
Standpunkt, den Mill vertreten hat, sich aufrecht erhalten läßt,
ob dieser unterdessen durch die Kraft seiner Gründe gewonnen
hat. Und da läßt sich nicht verkennen, daß die Stärke dieses

*) October 1869; vol.130, p. 602.
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[102/0118] wirthschaftlich geführt, so oft die Ordnung gewahrt worden ohne Unterdrückung, die Cultur im Wachsen, das Volk ge- deihend – in drei Fällen von vieren das Regiment in Frauen- händen gewesen. (Die Regentschaft falle dort häufig an die überlebenden Wittwen während der Minderjährigkeit der Thron- folger.) Er reiht daran eine Anzahl von Beispielen aus der Geschichte Europas. „Jst es vernünftig,“ fragt er, „anzunehmen, daß Diejenigen, welche fähig sind zu den höheren Functionen der Politik, unfähig seien zu den niederen?“ So weit Stuart Mill. Wir haben ihn als Wortführer statt mancher Anderer reden lassen, und die seinen Worten Beifall rufen, die sind heute weit zahlreicher, als zu der Zeit, da sein Buch erschien. Wohl hat damals die öffentliche Mei- nung der herrschenden Classen von England sich gegen ihn ent- rüstet und neben anderen lautete das Verdict der „Edinburgh Review“ *): „Wir verwerfen seine Hypothese ganz und gar, daß das Weib ein Mann in Unterröcken sei; es ist nicht so, es war niemals so, und wir hoffen zuversichtlich, es wird nie- mals so sein.“ Und dennoch, wenn heute Mill die Entwickelung der Dinge in England, in andern Ländern ansähe, wenn er vergliche das, was damals bestand, als er schrieb, und was unterdessen in dieser Sache geschehen ist, er würde weit mehr Anlaß haben, zufrieden zu sein, als Diejenigen, welche ihm jenes Verdammungs- urtheil entgegensetzten. Eine andere Frage allerdings ist es, ob der principielle Standpunkt, den Mill vertreten hat, sich aufrecht erhalten läßt, ob dieser unterdessen durch die Kraft seiner Gründe gewonnen hat. Und da läßt sich nicht verkennen, daß die Stärke dieses *) October 1869; vol.130, p. 602.

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/118>, abgerufen am 04.12.2024.