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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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so oft auch hie und da ein Seufzer der geplagten Hausfrau
und der Mangel an tüchtigen Köchinnen auf das Gegentheil
hindeuten mögen. Der nicht zu bezweifelnde Vorzug des cen-
tralisirten Kochens für Hunderte oder Tausende von Familien
setzt erst an dem Punkte ein, wo die Dürftigkeit des Ein-
kommens einen wünschenswerthen Familientisch nicht gestattet.

Nun sind allerdings dergleichen Fragen, wie so manche
andere nationalökonomische Frage, im letzten Grunde psycho-
logischer Art. Die Stimmung der Geister, der Wandel der
Sitten im Laufe der Zeit, die Verschiedenheit der Gewohnheiten
von Land zu Land, ja die Lebensansichten der einzelnen Gesell-
schaftsclassen sind von mächtigem Einflusse für die Gestaltung
solcher Angelegenheiten. Man kann hier nur von demjenigen
sprechen, nicht was typisch richtig ist, sondern was vorwaltend
Geltung in der Gegenwart und für die nächste Zukunft, was
ein Recht hat, dauernde Geltung zu beanspruchen, solange nicht
gänzlich veränderte Anschauungen und Einrichtungen des Lebens
Platz greifen. Noch mehr als die Jndividualität des häuslichen
Herdes wird namentlich die Jndividualität der Kindererziehung
ein Recht haben, sich fortzubehaupten, weil hier vollends ein
festeres, engeres Band zwischen Eltern und Kindern gegen die
Zerreißung durch die Arbeitstheilung sich sträubt. Daß in
zahllosen Fällen es dennoch anders geschieht, von solchem
Sträuben nicht die Rede ist, daß irgend eine Erziehung besser
ist, als gar keine, beweist nichts dagegen. Nicht mehr, als die
Vortheile der Volksküche beweisen gegen den Herd der Familie.

Es ist übrigens lehrreich, daß gerade in den modernsten
Formen des heutigen Lebens eine Hülfe für die hier von uns
vertretene Jndividualität des Haushaltes von mancher Seite her
erwächst. Die centralistische Entwickelung, welche den Familien-
haushalt zersetzt, zeigt ihre härtesten Erscheinungen innerhalb

so oft auch hie und da ein Seufzer der geplagten Hausfrau
und der Mangel an tüchtigen Köchinnen auf das Gegentheil
hindeuten mögen. Der nicht zu bezweifelnde Vorzug des cen-
tralisirten Kochens für Hunderte oder Tausende von Familien
setzt erst an dem Punkte ein, wo die Dürftigkeit des Ein-
kommens einen wünschenswerthen Familientisch nicht gestattet.

Nun sind allerdings dergleichen Fragen, wie so manche
andere nationalökonomische Frage, im letzten Grunde psycho-
logischer Art. Die Stimmung der Geister, der Wandel der
Sitten im Laufe der Zeit, die Verschiedenheit der Gewohnheiten
von Land zu Land, ja die Lebensansichten der einzelnen Gesell-
schaftsclassen sind von mächtigem Einflusse für die Gestaltung
solcher Angelegenheiten. Man kann hier nur von demjenigen
sprechen, nicht was typisch richtig ist, sondern was vorwaltend
Geltung in der Gegenwart und für die nächste Zukunft, was
ein Recht hat, dauernde Geltung zu beanspruchen, solange nicht
gänzlich veränderte Anschauungen und Einrichtungen des Lebens
Platz greifen. Noch mehr als die Jndividualität des häuslichen
Herdes wird namentlich die Jndividualität der Kindererziehung
ein Recht haben, sich fortzubehaupten, weil hier vollends ein
festeres, engeres Band zwischen Eltern und Kindern gegen die
Zerreißung durch die Arbeitstheilung sich sträubt. Daß in
zahllosen Fällen es dennoch anders geschieht, von solchem
Sträuben nicht die Rede ist, daß irgend eine Erziehung besser
ist, als gar keine, beweist nichts dagegen. Nicht mehr, als die
Vortheile der Volksküche beweisen gegen den Herd der Familie.

Es ist übrigens lehrreich, daß gerade in den modernsten
Formen des heutigen Lebens eine Hülfe für die hier von uns
vertretene Jndividualität des Haushaltes von mancher Seite her
erwächst. Die centralistische Entwickelung, welche den Familien-
haushalt zersetzt, zeigt ihre härtesten Erscheinungen innerhalb

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[137/0153] so oft auch hie und da ein Seufzer der geplagten Hausfrau und der Mangel an tüchtigen Köchinnen auf das Gegentheil hindeuten mögen. Der nicht zu bezweifelnde Vorzug des cen- tralisirten Kochens für Hunderte oder Tausende von Familien setzt erst an dem Punkte ein, wo die Dürftigkeit des Ein- kommens einen wünschenswerthen Familientisch nicht gestattet. Nun sind allerdings dergleichen Fragen, wie so manche andere nationalökonomische Frage, im letzten Grunde psycho- logischer Art. Die Stimmung der Geister, der Wandel der Sitten im Laufe der Zeit, die Verschiedenheit der Gewohnheiten von Land zu Land, ja die Lebensansichten der einzelnen Gesell- schaftsclassen sind von mächtigem Einflusse für die Gestaltung solcher Angelegenheiten. Man kann hier nur von demjenigen sprechen, nicht was typisch richtig ist, sondern was vorwaltend Geltung in der Gegenwart und für die nächste Zukunft, was ein Recht hat, dauernde Geltung zu beanspruchen, solange nicht gänzlich veränderte Anschauungen und Einrichtungen des Lebens Platz greifen. Noch mehr als die Jndividualität des häuslichen Herdes wird namentlich die Jndividualität der Kindererziehung ein Recht haben, sich fortzubehaupten, weil hier vollends ein festeres, engeres Band zwischen Eltern und Kindern gegen die Zerreißung durch die Arbeitstheilung sich sträubt. Daß in zahllosen Fällen es dennoch anders geschieht, von solchem Sträuben nicht die Rede ist, daß irgend eine Erziehung besser ist, als gar keine, beweist nichts dagegen. Nicht mehr, als die Vortheile der Volksküche beweisen gegen den Herd der Familie. Es ist übrigens lehrreich, daß gerade in den modernsten Formen des heutigen Lebens eine Hülfe für die hier von uns vertretene Jndividualität des Haushaltes von mancher Seite her erwächst. Die centralistische Entwickelung, welche den Familien- haushalt zersetzt, zeigt ihre härtesten Erscheinungen innerhalb

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/153>, abgerufen am 17.05.2024.