eines großen Lebensberufes der Sittlichkeitsbegriff der sechzehn- jährigen Dame in ein Nichts zerrinnen?*) Und ist diese negative Größe ein Grundstein weiblicher Tugend, mit dem die Welt weiblicher Zucht in Trümmer fällt?
Die Aenderungen, die sich in der That vollziehen, sie resultiren aus dem Wesen alles Historischen und darum alles Sittlichen. Sie vollziehen sich, hier wie sonst, zuerst in einer Minderheit bahnbrechender Geister, denen langsam die Mehrzahl folgt. Die Einen gehen voran in Jahrzehnten, die Andern kommen nach in Jahrhunderten.
Jedoch der scheinbar stärkste Grund, der aus dem Gesichts- punkte der Concurrenz gegen die Mitwerbung weiblicher Arbeit in neuen Berufsarten geltend gemacht wird, ist der noch zu erörternde: die behauptete Gegenwirkung gegen das allgemein anerkannte Jdeal der auf den männlichen Erwerb gegründeten Ehe. Wir haben in den vorausgegangenen Betrachtungen Manches gefunden, was dieses Jdeal unterstützt, indem wir uns überzeugten (im Gegensatze zu einzelnen beliebt gewordenen Uebertreibungen), wieviel auch heute und künftig noch für die weiblichen Mitglieder des Haushalts neben der erwerbenden
*) Jm Jahre 1833 schrieb Heinrich Leo aus der Sphäre der deutschen Universitätsstadt mit ihren endlosen Tanzvergnügungen und ihrem ausfallenden Mangel an ernsthafter Einwirkung auf die weib- liche Jugend der bevorzugten Classen das Folgende: "... unserer Mädchenwelt, deren Jndividuen (statt, wie ehemals, von der Gesell- schaft ausgeschlossen in ihrem eingezogenen Leben zu strengem häus- lichen Dienst und zur frommen Demuth angehalten zu werden), ohne in der Regel auch nur so viel Ernst gezeigt und so viel Mühen ge- tragen zu haben, wie ordentlicher Weise ein Quartaner, doch zu so großen, ja beinahe größeren gesellschaftlichen Prätentionen berechtigt sein wollen als ältere Frauen." (Studien und Skizzen zu einer Naturlehre des Staates, Bd. I, S. 84.)
eines großen Lebensberufes der Sittlichkeitsbegriff der sechzehn- jährigen Dame in ein Nichts zerrinnen?*) Und ist diese negative Größe ein Grundstein weiblicher Tugend, mit dem die Welt weiblicher Zucht in Trümmer fällt?
Die Aenderungen, die sich in der That vollziehen, sie resultiren aus dem Wesen alles Historischen und darum alles Sittlichen. Sie vollziehen sich, hier wie sonst, zuerst in einer Minderheit bahnbrechender Geister, denen langsam die Mehrzahl folgt. Die Einen gehen voran in Jahrzehnten, die Andern kommen nach in Jahrhunderten.
Jedoch der scheinbar stärkste Grund, der aus dem Gesichts- punkte der Concurrenz gegen die Mitwerbung weiblicher Arbeit in neuen Berufsarten geltend gemacht wird, ist der noch zu erörternde: die behauptete Gegenwirkung gegen das allgemein anerkannte Jdeal der auf den männlichen Erwerb gegründeten Ehe. Wir haben in den vorausgegangenen Betrachtungen Manches gefunden, was dieses Jdeal unterstützt, indem wir uns überzeugten (im Gegensatze zu einzelnen beliebt gewordenen Uebertreibungen), wieviel auch heute und künftig noch für die weiblichen Mitglieder des Haushalts neben der erwerbenden
*) Jm Jahre 1833 schrieb Heinrich Leo aus der Sphäre der deutschen Universitätsstadt mit ihren endlosen Tanzvergnügungen und ihrem ausfallenden Mangel an ernsthafter Einwirkung auf die weib- liche Jugend der bevorzugten Classen das Folgende: „… unserer Mädchenwelt, deren Jndividuen (statt, wie ehemals, von der Gesell- schaft ausgeschlossen in ihrem eingezogenen Leben zu strengem häus- lichen Dienst und zur frommen Demuth angehalten zu werden), ohne in der Regel auch nur so viel Ernst gezeigt und so viel Mühen ge- tragen zu haben, wie ordentlicher Weise ein Quartaner, doch zu so großen, ja beinahe größeren gesellschaftlichen Prätentionen berechtigt sein wollen als ältere Frauen.“ (Studien und Skizzen zu einer Naturlehre des Staates, Bd. I, S. 84.)
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eines großen Lebensberufes der Sittlichkeitsbegriff der sechzehn-
jährigen Dame in ein Nichts zerrinnen? *) Und ist diese
negative Größe ein Grundstein weiblicher Tugend, mit dem die
Welt weiblicher Zucht in Trümmer fällt?
Die Aenderungen, die sich in der That vollziehen,
sie resultiren aus dem Wesen alles Historischen und darum
alles Sittlichen. Sie vollziehen sich, hier wie sonst, zuerst in
einer Minderheit bahnbrechender Geister, denen langsam die
Mehrzahl folgt. Die Einen gehen voran in Jahrzehnten, die
Andern kommen nach in Jahrhunderten.
Jedoch der scheinbar stärkste Grund, der aus dem Gesichts-
punkte der Concurrenz gegen die Mitwerbung weiblicher Arbeit
in neuen Berufsarten geltend gemacht wird, ist der noch zu
erörternde: die behauptete Gegenwirkung gegen das allgemein
anerkannte Jdeal der auf den männlichen Erwerb gegründeten
Ehe. Wir haben in den vorausgegangenen Betrachtungen
Manches gefunden, was dieses Jdeal unterstützt, indem wir
uns überzeugten (im Gegensatze zu einzelnen beliebt gewordenen
Uebertreibungen), wieviel auch heute und künftig noch für die
weiblichen Mitglieder des Haushalts neben der erwerbenden
*) Jm Jahre 1833 schrieb Heinrich Leo aus der Sphäre der
deutschen Universitätsstadt mit ihren endlosen Tanzvergnügungen und
ihrem ausfallenden Mangel an ernsthafter Einwirkung auf die weib-
liche Jugend der bevorzugten Classen das Folgende: „… unserer
Mädchenwelt, deren Jndividuen (statt, wie ehemals, von der Gesell-
schaft ausgeschlossen in ihrem eingezogenen Leben zu strengem häus-
lichen Dienst und zur frommen Demuth angehalten zu werden), ohne
in der Regel auch nur so viel Ernst gezeigt und so viel Mühen ge-
tragen zu haben, wie ordentlicher Weise ein Quartaner, doch zu so
großen, ja beinahe größeren gesellschaftlichen Prätentionen berechtigt
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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/173>, abgerufen am 19.02.2025.
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