Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].Nur ein kleiner Raum lag zwischen den beiden. "Sehr liebenswürdig, gnädige Frau ..." Lydia verschwand wieder. Der Herr Doctor Nur ein kleiner Raum lag zwiſchen den beiden. „Sehr liebenswürdig, gnädige Frau ...“ Lydia verſchwand wieder. Der Herr Doctor <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0150" n="142"/> Nur ein kleiner Raum lag zwiſchen den beiden.<lb/> Die Beleuchtung war allerdings zu ſchwach, um<lb/> die Formen der ſchönen Frau ſcharf und deutlich<lb/> hervortreten zu laſſen. Und doch floß ein ver-<lb/> führeriſcher Athem von dieſer in der Thüröffnung<lb/> etwas nach vorn gebeugt ſtehenden Geſtalt zu<lb/> Adam hin.</p><lb/> <p>„Sehr liebenswürdig, gnädige Frau ...“</p><lb/> <p>Lydia verſchwand wieder. Der Herr Doctor<lb/> hatte ſich erhoben. Er fühlte ſich ſehr behaglich.<lb/> Er ſtand einen Augenblick mitten im Zimmer ſtill<lb/> und dehnte und reckte ſich. Ein kleiner Drang zum<lb/> Gähnen befiel ihn. Aber er unterdrückte ihn tapfer.<lb/> Das dünkte ihn denn doch zu undankbar. Mit<lb/> großer Genugthuung ſog er die Atmoſphäre des<lb/> elegant-gemüthlichen Cabinets ein. Dieſe von der<lb/> matten Beleuchtung mehr durchdunkelte als erhellte<lb/> Umgebung entſprach ſehr intim ſeinen Bedürfniſſen<lb/> und Neigungen, gebar ihm eine eigenthümlich reiz-<lb/> volle Stimmung. Und das Begehren ward in ihm<lb/> lebendig, dauernd unter ſolchen, in ſich geſicherten<lb/> Bedingungen zu leben. Und Lydia? Adam ſagte<lb/> ſich, daß er ihrer pikanten, vollen, reifen Frauen-<lb/> ſchönheit heute Abend zum Opfer gefallen war.<lb/> Starken Eindrücken war er ja ſo zugänglich ...<lb/> wenigſtens konnte er ſich für eine kurze Zeitſpanne<lb/> ganz von ihnen aufzehren laſſen. Nun! Er wollte<lb/> den Genuß der Stunde auskoſten. Wer weiß, was<lb/> ihm noch bevorſtand! Oder ſollte er ſelbſt verſuchen,<lb/> mit ſtarker Hand in die Speichen ſeines kleinen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [142/0150]
Nur ein kleiner Raum lag zwiſchen den beiden.
Die Beleuchtung war allerdings zu ſchwach, um
die Formen der ſchönen Frau ſcharf und deutlich
hervortreten zu laſſen. Und doch floß ein ver-
führeriſcher Athem von dieſer in der Thüröffnung
etwas nach vorn gebeugt ſtehenden Geſtalt zu
Adam hin.
„Sehr liebenswürdig, gnädige Frau ...“
Lydia verſchwand wieder. Der Herr Doctor
hatte ſich erhoben. Er fühlte ſich ſehr behaglich.
Er ſtand einen Augenblick mitten im Zimmer ſtill
und dehnte und reckte ſich. Ein kleiner Drang zum
Gähnen befiel ihn. Aber er unterdrückte ihn tapfer.
Das dünkte ihn denn doch zu undankbar. Mit
großer Genugthuung ſog er die Atmoſphäre des
elegant-gemüthlichen Cabinets ein. Dieſe von der
matten Beleuchtung mehr durchdunkelte als erhellte
Umgebung entſprach ſehr intim ſeinen Bedürfniſſen
und Neigungen, gebar ihm eine eigenthümlich reiz-
volle Stimmung. Und das Begehren ward in ihm
lebendig, dauernd unter ſolchen, in ſich geſicherten
Bedingungen zu leben. Und Lydia? Adam ſagte
ſich, daß er ihrer pikanten, vollen, reifen Frauen-
ſchönheit heute Abend zum Opfer gefallen war.
Starken Eindrücken war er ja ſo zugänglich ...
wenigſtens konnte er ſich für eine kurze Zeitſpanne
ganz von ihnen aufzehren laſſen. Nun! Er wollte
den Genuß der Stunde auskoſten. Wer weiß, was
ihm noch bevorſtand! Oder ſollte er ſelbſt verſuchen,
mit ſtarker Hand in die Speichen ſeines kleinen
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