Mann sah es gern, wenn Damen rauchten. Er hatte eine große, freie, starke Seele, die anders fühlte, als der Troß der beschränkten Krämer- und Lakaienseelen. Er sah nichts Beleidigendes, nichts Compromittirendes darin, wenn eine Dame ein Wenig selbständig im Denken und Handeln war .. ein wenig ,emancipirt', wie man zu sagen pflegt. Schade, daß er so früh gehen mußte .. Nun kommt er nie wieder zurück ...."
Lydia hatte die letzten Worte mit leiser, stockender, zitternder Stimme gesprochen. Sie war sehr nach- denklich geworden, beinahe weich, vielleicht so etwas wie sentimental. Auf ihrem Gesicht stand ein Aus- druck ehrlicher Trauer, eines beinahe zärtlichen Schmerzes. Adam stutzte. Nun wurde er doch verwirrt. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte sich so ganz daran gewöhnt, Frau Lange als ... nun! .. eben gleichsam als jungfräuliche Wittwe zu betrachten .. losgelöst von allen Beziehungen, die ihm etwa peinlich, unbequem hätten sein, die ihm hemmend hätten werden können. Und jetzt bewies diese schöne, verführerische Frau plötzlich die innigste Theilnahme für ihren verstorbenen Gatten. War ihre Trauer echt, ihr Schmerz wahr? Oder coquettirte sie nur? Wollte sie ihn durch diesen schluchzenden Schmerz nur reizen? Oder hatte sie ihren Mann wirklich .. geliebt?
Adam sog noch einmal an seiner Cigarette und legte den mürben, runzligen Rest dann weg.
Lydia fuhr auf. Sie strich sich mit den kleinen,
Mann ſah es gern, wenn Damen rauchten. Er hatte eine große, freie, ſtarke Seele, die anders fühlte, als der Troß der beſchränkten Krämer- und Lakaienſeelen. Er ſah nichts Beleidigendes, nichts Compromittirendes darin, wenn eine Dame ein Wenig ſelbſtändig im Denken und Handeln war .. ein wenig ‚emancipirt‘, wie man zu ſagen pflegt. Schade, daß er ſo früh gehen mußte .. Nun kommt er nie wieder zurück ....“
Lydia hatte die letzten Worte mit leiſer, ſtockender, zitternder Stimme geſprochen. Sie war ſehr nach- denklich geworden, beinahe weich, vielleicht ſo etwas wie ſentimental. Auf ihrem Geſicht ſtand ein Aus- druck ehrlicher Trauer, eines beinahe zärtlichen Schmerzes. Adam ſtutzte. Nun wurde er doch verwirrt. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte ſich ſo ganz daran gewöhnt, Frau Lange als ... nun! .. eben gleichſam als jungfräuliche Wittwe zu betrachten .. losgelöſt von allen Beziehungen, die ihm etwa peinlich, unbequem hätten ſein, die ihm hemmend hätten werden können. Und jetzt bewies dieſe ſchöne, verführeriſche Frau plötzlich die innigſte Theilnahme für ihren verſtorbenen Gatten. War ihre Trauer echt, ihr Schmerz wahr? Oder coquettirte ſie nur? Wollte ſie ihn durch dieſen ſchluchzenden Schmerz nur reizen? Oder hatte ſie ihren Mann wirklich .. geliebt?
Adam ſog noch einmal an ſeiner Cigarette und legte den mürben, runzligen Reſt dann weg.
Lydia fuhr auf. Sie ſtrich ſich mit den kleinen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0156"n="148"/>
Mann ſah es gern, wenn Damen rauchten. Er<lb/>
hatte eine große, freie, ſtarke Seele, die anders<lb/>
fühlte, als der Troß der beſchränkten Krämer- und<lb/>
Lakaienſeelen. Er ſah nichts Beleidigendes, nichts<lb/>
Compromittirendes darin, wenn eine Dame ein<lb/>
Wenig ſelbſtändig im Denken und Handeln war ..<lb/>
ein wenig ‚emancipirt‘, wie man zu ſagen pflegt.<lb/>
Schade, daß er ſo früh gehen mußte .. Nun kommt<lb/>
er nie wieder zurück ....“</p><lb/><p>Lydia hatte die letzten Worte mit leiſer, ſtockender,<lb/>
zitternder Stimme geſprochen. Sie war ſehr nach-<lb/>
denklich geworden, beinahe weich, vielleicht ſo etwas<lb/>
wie ſentimental. Auf ihrem Geſicht ſtand ein Aus-<lb/>
druck ehrlicher Trauer, eines beinahe zärtlichen<lb/>
Schmerzes. Adam ſtutzte. Nun wurde er doch<lb/>
verwirrt. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte<lb/>ſich ſo ganz daran gewöhnt, Frau Lange als ...<lb/>
nun! .. eben gleichſam als jungfräuliche Wittwe<lb/>
zu betrachten .. losgelöſt von allen Beziehungen,<lb/>
die ihm etwa peinlich, unbequem hätten ſein, die<lb/>
ihm hemmend hätten werden können. Und jetzt<lb/>
bewies dieſe ſchöne, verführeriſche Frau plötzlich die<lb/>
innigſte Theilnahme für ihren verſtorbenen Gatten.<lb/>
War ihre Trauer echt, ihr Schmerz wahr? Oder<lb/>
coquettirte ſie nur? Wollte ſie ihn durch dieſen<lb/>ſchluchzenden Schmerz nur reizen? Oder hatte ſie<lb/>
ihren Mann wirklich .. geliebt?</p><lb/><p>Adam ſog noch einmal an ſeiner Cigarette und<lb/>
legte den mürben, runzligen Reſt dann weg.</p><lb/><p>Lydia fuhr auf. Sie ſtrich ſich mit den kleinen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[148/0156]
Mann ſah es gern, wenn Damen rauchten. Er
hatte eine große, freie, ſtarke Seele, die anders
fühlte, als der Troß der beſchränkten Krämer- und
Lakaienſeelen. Er ſah nichts Beleidigendes, nichts
Compromittirendes darin, wenn eine Dame ein
Wenig ſelbſtändig im Denken und Handeln war ..
ein wenig ‚emancipirt‘, wie man zu ſagen pflegt.
Schade, daß er ſo früh gehen mußte .. Nun kommt
er nie wieder zurück ....“
Lydia hatte die letzten Worte mit leiſer, ſtockender,
zitternder Stimme geſprochen. Sie war ſehr nach-
denklich geworden, beinahe weich, vielleicht ſo etwas
wie ſentimental. Auf ihrem Geſicht ſtand ein Aus-
druck ehrlicher Trauer, eines beinahe zärtlichen
Schmerzes. Adam ſtutzte. Nun wurde er doch
verwirrt. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte
ſich ſo ganz daran gewöhnt, Frau Lange als ...
nun! .. eben gleichſam als jungfräuliche Wittwe
zu betrachten .. losgelöſt von allen Beziehungen,
die ihm etwa peinlich, unbequem hätten ſein, die
ihm hemmend hätten werden können. Und jetzt
bewies dieſe ſchöne, verführeriſche Frau plötzlich die
innigſte Theilnahme für ihren verſtorbenen Gatten.
War ihre Trauer echt, ihr Schmerz wahr? Oder
coquettirte ſie nur? Wollte ſie ihn durch dieſen
ſchluchzenden Schmerz nur reizen? Oder hatte ſie
ihren Mann wirklich .. geliebt?
Adam ſog noch einmal an ſeiner Cigarette und
legte den mürben, runzligen Reſt dann weg.
Lydia fuhr auf. Sie ſtrich ſich mit den kleinen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/156>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.