Aushalten siedete plötzlich in seiner Seele empor. Er konnte nicht an sich halten.
Hedwig hatte mit dem Mädchen, welches die zusammengestellten Teller abgeholt, das Zimmer ver- lassen. Sie trat in dem Augenblick wieder ein, als Adam ihren Vater, ohne jede äußere Vermitt- lung, barsch anfuhr: "-- Aber ich bitte Sie, Herr Doctor -- warum haben Sie diesem Hundeleben nicht schon längst ein Ende gemacht --?"
Hedwig blickte halb erschreckt, halb erstaunt zu Adam hinüber, der, von seiner Offenheit selbst ein Wenig betroffen, wieder an der grünen Gardine zupfte. Ein leichtes Verlegenheitsroth stand doch auf seinem Gesicht.
Irmer schien den psychologischen Proceß, der sich in Adams Brust abspielte, zu begreifen, zu durch- schauen. Ein verhaltenes, nur markirtes, aber doch unverkennbar souveränes Lächeln legte sich auf eine kleine Weile über seine scharfen Dulderzüge.
"Sie täuschen sich, Herr Doctor", antwortete er nun mit seiner müden, schleppenden, heiseren Stimme, "-- wenn Sie glauben, daß Ihr Leben etwa weniger elend sei, als das meine ... Ich leide nur sichtbarer, als Sie ... erkennbarer für jedes Laien- auge -- Sie -- --"
"Pardon! Ich fühle mich sehr wohl auf der Welt ... Aber verzeihen Sie mir meine brutale Geradheit -- es fuhr mir so heraus --"
"-- Als Sie mich wie ein Häufchen Unglück vor sich sitzen sahen -- ich begreife, Herr Doctor --"
Aushalten ſiedete plötzlich in ſeiner Seele empor. Er konnte nicht an ſich halten.
Hedwig hatte mit dem Mädchen, welches die zuſammengeſtellten Teller abgeholt, das Zimmer ver- laſſen. Sie trat in dem Augenblick wieder ein, als Adam ihren Vater, ohne jede äußere Vermitt- lung, barſch anfuhr: „— Aber ich bitte Sie, Herr Doctor — warum haben Sie dieſem Hundeleben nicht ſchon längſt ein Ende gemacht —?“
Hedwig blickte halb erſchreckt, halb erſtaunt zu Adam hinüber, der, von ſeiner Offenheit ſelbſt ein Wenig betroffen, wieder an der grünen Gardine zupfte. Ein leichtes Verlegenheitsroth ſtand doch auf ſeinem Geſicht.
Irmer ſchien den pſychologiſchen Proceß, der ſich in Adams Bruſt abſpielte, zu begreifen, zu durch- ſchauen. Ein verhaltenes, nur markirtes, aber doch unverkennbar ſouveränes Lächeln legte ſich auf eine kleine Weile über ſeine ſcharfen Dulderzüge.
„Sie täuſchen ſich, Herr Doctor“, antwortete er nun mit ſeiner müden, ſchleppenden, heiſeren Stimme, „— wenn Sie glauben, daß Ihr Leben etwa weniger elend ſei, als das meine ... Ich leide nur ſichtbarer, als Sie ... erkennbarer für jedes Laien- auge — Sie — —“
„Pardon! Ich fühle mich ſehr wohl auf der Welt ... Aber verzeihen Sie mir meine brutale Geradheit — es fuhr mir ſo heraus —“
„— Als Sie mich wie ein Häufchen Unglück vor ſich ſitzen ſahen — ich begreife, Herr Doctor —“
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Aushalten ſiedete plötzlich in ſeiner Seele empor.
Er konnte nicht an ſich halten.
Hedwig hatte mit dem Mädchen, welches die
zuſammengeſtellten Teller abgeholt, das Zimmer ver-
laſſen. Sie trat in dem Augenblick wieder ein,
als Adam ihren Vater, ohne jede äußere Vermitt-
lung, barſch anfuhr: „— Aber ich bitte Sie, Herr
Doctor — warum haben Sie dieſem Hundeleben
nicht ſchon längſt ein Ende gemacht —?“
Hedwig blickte halb erſchreckt, halb erſtaunt zu Adam
hinüber, der, von ſeiner Offenheit ſelbſt ein Wenig
betroffen, wieder an der grünen Gardine zupfte.
Ein leichtes Verlegenheitsroth ſtand doch auf ſeinem
Geſicht.
Irmer ſchien den pſychologiſchen Proceß, der
ſich in Adams Bruſt abſpielte, zu begreifen, zu durch-
ſchauen. Ein verhaltenes, nur markirtes, aber doch
unverkennbar ſouveränes Lächeln legte ſich auf eine
kleine Weile über ſeine ſcharfen Dulderzüge.
„Sie täuſchen ſich, Herr Doctor“, antwortete
er nun mit ſeiner müden, ſchleppenden, heiſeren
Stimme, „— wenn Sie glauben, daß Ihr Leben etwa
weniger elend ſei, als das meine ... Ich leide nur
ſichtbarer, als Sie ... erkennbarer für jedes Laien-
auge — Sie — —“
„Pardon! Ich fühle mich ſehr wohl auf der
Welt ... Aber verzeihen Sie mir meine brutale
Geradheit — es fuhr mir ſo heraus —“
„— Als Sie mich wie ein Häufchen Unglück vor
ſich ſitzen ſahen — ich begreife, Herr Doctor —“
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/223>, abgerufen am 30.11.2024.
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