"Was ist's denn, daß Sie noch an diesem Hunde- leben festhält, wie Sie sagen --? Was denn --?"
"Eigentlich nichts ... uneigentlich sehr viel --" erwiderte Adam gleichmüthig. Er hatte seine volle Selbstbeherrschung wiedergewonnen.
"Mit dem ,uneigentlich' -- das ist so 'ne Sache! Nun -- Sie werden sich wohl ebenso täuschen, wie ich mich getäuscht habe, als ich in Ihren Jahren war ... Damals waren mir einzelne pessi- mistische Ahnungen und Stimmungen gleichsam Surrogate, wenn's mit dem Leben selber einmal nicht recht klappen wollte ... So wird's bei Ihnen auch sein. Aber Sie werden so sicher wie ich zu der Erkenntniß kommen, daß Sie sich belogen -- allerdings Ihrer psychischen Combination gemäß be- lügen mußten ... Das ist ja eben das sogenannte "Glück" der Jugend, daß sie sich an jedem Da- seinsmomente zu sättigen vermag ... nach der Kette der Entwicklung aber, dem logischen Zwange der Fortbildung, nichts fragt. Es giebt natürlich noch Millionen andere Spielarten von Seelenanlage. Aber ich ging jetzt von der meinen aus und von der Ihrigen, die, wenn ich mich nicht sehr täusche, der meinen doch immerhin ziemlich verwandt ist ... Und darum werden Sie, Herr Doctor, mit der Zeit, früher oder später, zu denselben Resultaten kommen, zu denen ich gelangt bin. Ihr Selbstbetrug besteht nur darin, daß Sie Ihre Weiterentwickelung jetzt noch nicht voraussehen können. Jawohl: können!
„Oh!“ ſtotterte Adam.
„Was iſt's denn, daß Sie noch an dieſem Hunde- leben feſthält, wie Sie ſagen —? Was denn —?“
„Eigentlich nichts ... uneigentlich ſehr viel —“ erwiderte Adam gleichmüthig. Er hatte ſeine volle Selbſtbeherrſchung wiedergewonnen.
„Mit dem ‚uneigentlich‘ — das iſt ſo 'ne Sache! Nun — Sie werden ſich wohl ebenſo täuſchen, wie ich mich getäuſcht habe, als ich in Ihren Jahren war ... Damals waren mir einzelne peſſi- miſtiſche Ahnungen und Stimmungen gleichſam Surrogate, wenn's mit dem Leben ſelber einmal nicht recht klappen wollte ... So wird's bei Ihnen auch ſein. Aber Sie werden ſo ſicher wie ich zu der Erkenntniß kommen, daß Sie ſich belogen — allerdings Ihrer pſychiſchen Combination gemäß be- lügen mußten ... Das iſt ja eben das ſogenannte „Glück“ der Jugend, daß ſie ſich an jedem Da- ſeinsmomente zu ſättigen vermag ... nach der Kette der Entwicklung aber, dem logiſchen Zwange der Fortbildung, nichts fragt. Es giebt natürlich noch Millionen andere Spielarten von Seelenanlage. Aber ich ging jetzt von der meinen aus und von der Ihrigen, die, wenn ich mich nicht ſehr täuſche, der meinen doch immerhin ziemlich verwandt iſt ... Und darum werden Sie, Herr Doctor, mit der Zeit, früher oder ſpäter, zu denſelben Reſultaten kommen, zu denen ich gelangt bin. Ihr Selbſtbetrug beſteht nur darin, daß Sie Ihre Weiterentwickelung jetzt noch nicht vorausſehen können. Jawohl: können!
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„Oh!“ ſtotterte Adam.
„Was iſt's denn, daß Sie noch an dieſem Hunde-
leben feſthält, wie Sie ſagen —? Was denn —?“
„Eigentlich nichts ... uneigentlich ſehr viel —“
erwiderte Adam gleichmüthig. Er hatte ſeine volle
Selbſtbeherrſchung wiedergewonnen.
„Mit dem ‚uneigentlich‘ — das iſt ſo 'ne
Sache! Nun — Sie werden ſich wohl ebenſo
täuſchen, wie ich mich getäuſcht habe, als ich in Ihren
Jahren war ... Damals waren mir einzelne peſſi-
miſtiſche Ahnungen und Stimmungen gleichſam
Surrogate, wenn's mit dem Leben ſelber einmal
nicht recht klappen wollte ... So wird's bei Ihnen
auch ſein. Aber Sie werden ſo ſicher wie ich zu
der Erkenntniß kommen, daß Sie ſich belogen —
allerdings Ihrer pſychiſchen Combination gemäß be-
lügen mußten ... Das iſt ja eben das ſogenannte
„Glück“ der Jugend, daß ſie ſich an jedem Da-
ſeinsmomente zu ſättigen vermag ... nach der Kette
der Entwicklung aber, dem logiſchen Zwange der
Fortbildung, nichts fragt. Es giebt natürlich noch
Millionen andere Spielarten von Seelenanlage. Aber
ich ging jetzt von der meinen aus und von der
Ihrigen, die, wenn ich mich nicht ſehr täuſche, der
meinen doch immerhin ziemlich verwandt iſt ...
Und darum werden Sie, Herr Doctor, mit der Zeit,
früher oder ſpäter, zu denſelben Reſultaten kommen,
zu denen ich gelangt bin. Ihr Selbſtbetrug beſteht
nur darin, daß Sie Ihre Weiterentwickelung jetzt
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/224>, abgerufen am 30.11.2024.
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