guter Wille und viel zärtliches Flehen lag jetzt in den Zügen dieses bleichen, schmalen Gesichts.
Adam küßte sein Weib. --
Und er geleitete Hedwig zu ihrer Wohnung. Sie standen vor der Hausthür. Hedwig zögerte. Sie fürchtete sich jetzt am hellen, leuchtenden Tage vor den Räumen, die sie zum letzten Male in später, nächtiger Stunde betreten hatte. Und nachher oben ihr Vater -- das erste Sich-Gegenüberstehen -- die ersten Worte -- --
Adam wurde ungeduldig. Er wußte ganz ge- nau, was in Hedwig vorging. Aber Alles drängte in ihm danach, endlich einmal frei aufzuathmen. Immer und ewig Schleim und Leim und Angst, Kopfhängerei, Unsicherheit -- zum Kuckuck -- er hatte genug! So wurde er mitleidslos, fast brutal.
"Also adieu, mein Lieb! Und nun sei recht sanft zu Papa! Ich komme, wie gesagt, heute Abend .. spätestens morgen früh. Wir wollen uns jetzt recht oft sehen -- nicht wahr --?"
"Ja! ." Hedwig seufzte tief auf. Die beiden trennten sich endlich. --
Als Adam die Straße hinunterschritt, warf er, unbekümmert um die verwunderten Gesichter der vorüberwandelnden Mittagsmenschen, seine Arme von sich und prüfte seine Muskeln. Er reckte und dehnte sich nach allen Seiten, knirschte sich gleichsam mit starkem körperlichem Wohlbehagen um seine eigene Axe herum. Hei! das war eine Lust! Und dieses Freiherausschnaufendürfen aus voller, tiefer Brust!
guter Wille und viel zärtliches Flehen lag jetzt in den Zügen dieſes bleichen, ſchmalen Geſichts.
Adam küßte ſein Weib. —
Und er geleitete Hedwig zu ihrer Wohnung. Sie ſtanden vor der Hausthür. Hedwig zögerte. Sie fürchtete ſich jetzt am hellen, leuchtenden Tage vor den Räumen, die ſie zum letzten Male in ſpäter, nächtiger Stunde betreten hatte. Und nachher oben ihr Vater — das erſte Sich-Gegenüberſtehen — die erſten Worte — —
Adam wurde ungeduldig. Er wußte ganz ge- nau, was in Hedwig vorging. Aber Alles drängte in ihm danach, endlich einmal frei aufzuathmen. Immer und ewig Schleim und Leim und Angſt, Kopfhängerei, Unſicherheit — zum Kuckuck — er hatte genug! So wurde er mitleidslos, faſt brutal.
„Alſo adieu, mein Lieb! Und nun ſei recht ſanft zu Papa! Ich komme, wie geſagt, heute Abend .. ſpäteſtens morgen früh. Wir wollen uns jetzt recht oft ſehen — nicht wahr —?“
„Ja! .“ Hedwig ſeufzte tief auf. Die beiden trennten ſich endlich. —
Als Adam die Straße hinunterſchritt, warf er, unbekümmert um die verwunderten Geſichter der vorüberwandelnden Mittagsmenſchen, ſeine Arme von ſich und prüfte ſeine Muskeln. Er reckte und dehnte ſich nach allen Seiten, knirſchte ſich gleichſam mit ſtarkem körperlichem Wohlbehagen um ſeine eigene Axe herum. Hei! das war eine Luſt! Und dieſes Freiherausſchnaufendürfen aus voller, tiefer Bruſt!
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guter Wille und viel zärtliches Flehen lag jetzt in
den Zügen dieſes bleichen, ſchmalen Geſichts.
Adam küßte ſein Weib. —
Und er geleitete Hedwig zu ihrer Wohnung.
Sie ſtanden vor der Hausthür. Hedwig zögerte.
Sie fürchtete ſich jetzt am hellen, leuchtenden Tage
vor den Räumen, die ſie zum letzten Male in ſpäter,
nächtiger Stunde betreten hatte. Und nachher oben
ihr Vater — das erſte Sich-Gegenüberſtehen — die
erſten Worte — —
Adam wurde ungeduldig. Er wußte ganz ge-
nau, was in Hedwig vorging. Aber Alles drängte
in ihm danach, endlich einmal frei aufzuathmen.
Immer und ewig Schleim und Leim und Angſt,
Kopfhängerei, Unſicherheit — zum Kuckuck — er
hatte genug! So wurde er mitleidslos, faſt brutal.
„Alſo adieu, mein Lieb! Und nun ſei recht
ſanft zu Papa! Ich komme, wie geſagt, heute
Abend .. ſpäteſtens morgen früh. Wir wollen
uns jetzt recht oft ſehen — nicht wahr —?“
„Ja! .“ Hedwig ſeufzte tief auf. Die beiden
trennten ſich endlich. —
Als Adam die Straße hinunterſchritt, warf
er, unbekümmert um die verwunderten Geſichter der
vorüberwandelnden Mittagsmenſchen, ſeine Arme
von ſich und prüfte ſeine Muskeln. Er reckte und
dehnte ſich nach allen Seiten, knirſchte ſich gleichſam
mit ſtarkem körperlichem Wohlbehagen um ſeine eigene
Axe herum. Hei! das war eine Luſt! Und dieſes
Freiherausſchnaufendürfen aus voller, tiefer Bruſt!
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/348>, abgerufen am 22.11.2024.
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