und Sklave zugleich. Das darf mich wurmen und freuen, denn ich habe doch immer gesiegt, wenn auch gleichsam nur negativ. Aber vielleicht sind darum die Schmerzen darüber, daß ich den Einfluß nicht nach meinem Ermessen tilgen kann, nur um so heftigere ...
Organismus ... System ..: Alles gesetz- mäßig Entwickelte, Zusammengeschlossene, Abgerundete hat größere Lebenskräfte in sich, als das Verzettelte, Aphoristische. Aber systematische Ordnung und innere Harmonie, Schönheit organischen Zwanges und natürlicher Einheit sind nicht immer dasselbe. Lücken werden stets aus dem Wesen aller Dinge heraus nothwendige, gleichsam wiederum negative Verknüpfungsglieder sein. Und ist nicht das erste Wesensmoment der Harmonie auch gegeben in dem Zusammenströmen aller Tendenzen nach einem Mittelpunkte? --
Und wieder einmal bin ich tief bewegt. Heiße, jähe Schmerzen schießen durch meine Seele, und die Stacheln einer zähen Reue drücken sich tief, tief ein. Soll ich das Leben anklagen? Soll ich mich schwankendes Rohr anklagen? Am Kleinen, Klein- lichen und Gemeinen hafteten meine Augen, und ich ließ in stiller Ergebenheit unaufhörlich Tage um Tage jenen dünnen, feinen, grauen Staub auf mich nieder- rieseln, den das blöde, monotone, im Banne des Augenblicks befangene Alltagsleben aufscheucht, in gewaltigen Wogen durch die Lüfte bläst und schiebt und über Alles sich ausstreuen läßt ... Wenige
und Sklave zugleich. Das darf mich wurmen und freuen, denn ich habe doch immer geſiegt, wenn auch gleichſam nur negativ. Aber vielleicht ſind darum die Schmerzen darüber, daß ich den Einfluß nicht nach meinem Ermeſſen tilgen kann, nur um ſo heftigere ...
Organismus ... Syſtem ..: Alles geſetz- mäßig Entwickelte, Zuſammengeſchloſſene, Abgerundete hat größere Lebenskräfte in ſich, als das Verzettelte, Aphoriſtiſche. Aber ſyſtematiſche Ordnung und innere Harmonie, Schönheit organiſchen Zwanges und natürlicher Einheit ſind nicht immer daſſelbe. Lücken werden ſtets aus dem Weſen aller Dinge heraus nothwendige, gleichſam wiederum negative Verknüpfungsglieder ſein. Und iſt nicht das erſte Weſensmoment der Harmonie auch gegeben in dem Zuſammenſtrömen aller Tendenzen nach einem Mittelpunkte? —
Und wieder einmal bin ich tief bewegt. Heiße, jähe Schmerzen ſchießen durch meine Seele, und die Stacheln einer zähen Reue drücken ſich tief, tief ein. Soll ich das Leben anklagen? Soll ich mich ſchwankendes Rohr anklagen? Am Kleinen, Klein- lichen und Gemeinen hafteten meine Augen, und ich ließ in ſtiller Ergebenheit unaufhörlich Tage um Tage jenen dünnen, feinen, grauen Staub auf mich nieder- rieſeln, den das blöde, monotone, im Banne des Augenblicks befangene Alltagsleben aufſcheucht, in gewaltigen Wogen durch die Lüfte bläſt und ſchiebt und über Alles ſich ausſtreuen läßt ... Wenige
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und Sklave zugleich. Das darf mich wurmen und
freuen, denn ich habe doch immer geſiegt, wenn auch
gleichſam nur negativ. Aber vielleicht ſind darum
die Schmerzen darüber, daß ich den Einfluß nicht
nach meinem Ermeſſen tilgen kann, nur um ſo
heftigere ...
Organismus ... Syſtem ..: Alles geſetz-
mäßig Entwickelte, Zuſammengeſchloſſene, Abgerundete
hat größere Lebenskräfte in ſich, als das Verzettelte,
Aphoriſtiſche. Aber ſyſtematiſche Ordnung und
innere Harmonie, Schönheit organiſchen Zwanges
und natürlicher Einheit ſind nicht immer daſſelbe.
Lücken werden ſtets aus dem Weſen aller Dinge
heraus nothwendige, gleichſam wiederum negative
Verknüpfungsglieder ſein. Und iſt nicht das erſte
Weſensmoment der Harmonie auch gegeben in dem
Zuſammenſtrömen aller Tendenzen nach einem
Mittelpunkte? —
Und wieder einmal bin ich tief bewegt. Heiße,
jähe Schmerzen ſchießen durch meine Seele, und die
Stacheln einer zähen Reue drücken ſich tief, tief ein.
Soll ich das Leben anklagen? Soll ich mich
ſchwankendes Rohr anklagen? Am Kleinen, Klein-
lichen und Gemeinen hafteten meine Augen, und ich
ließ in ſtiller Ergebenheit unaufhörlich Tage um Tage
jenen dünnen, feinen, grauen Staub auf mich nieder-
rieſeln, den das blöde, monotone, im Banne des
Augenblicks befangene Alltagsleben aufſcheucht, in
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/356>, abgerufen am 22.11.2024.
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