Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

Hülfe -- mit dieser Bitte, zu welchen die bedrängte
Armuth eine heilige Berechtigung, eine heilige Ver-
pflichtung besitzt. Auf eine mehr oder weniger
interessante, jedenfalls nicht ganz alltägliche und
nicht ganz pointenlose Scene durfte sich Adam
überdies gefaßt machen. Ah! Lydia würde zuerst
verblüfft sein. Und dann? Das war eben die
Frage. Doch diese Frage mußte ja sofort ihre
Beantwortung finden.

Adam wurde in das Cabinet Frau Lange's
geführt. Er möchte einen Augenblick verzeihen, die
gnädige Frau käme sogleich, bedeutete ihm das
Mädchen und verschwand wieder.

Adam sah sich um. Da stand er also wieder
einmal auf der Wahlstatt, auf der er neulich so
bedeutungsvolle Stunden durchlebt hatte. Aber
heute -- wie war heute Alles so glanzlos und
nüchtern! Dabei überall ein Ton der Unordnung,
ein Accent der Verkramtheit. Jene einschmeichelnde,
anheimelnde Demi-jour-Stimmung, die ihn neulich
so unwiderstehlich bestrickt hatte, und die er noch
so klar in der Erinnerung bewahrte, war nicht mehr
mit dem dünnsten Haarstrichlein angedeutet. Und
doch stiegen ihm wie leichte Schaumbläschen allerlei
Erinnerungen auf. Er dachte daran, daß damals
in dem Fauteuil dort Lydia gesessen .. daß er,
ganz im Joche seiner emporgeschäumten Stimmung,
vor ihr gekniet, ihr schluchzend seine Liebe zuge-
stammelt -- daß er -- -- aber das war ja Alles
glücklich vorüber, die Augenblicksextase dünkte ihn

Hülfe — mit dieſer Bitte, zu welchen die bedrängte
Armuth eine heilige Berechtigung, eine heilige Ver-
pflichtung beſitzt. Auf eine mehr oder weniger
intereſſante, jedenfalls nicht ganz alltägliche und
nicht ganz pointenloſe Scene durfte ſich Adam
überdies gefaßt machen. Ah! Lydia würde zuerſt
verblüfft ſein. Und dann? Das war eben die
Frage. Doch dieſe Frage mußte ja ſofort ihre
Beantwortung finden.

Adam wurde in das Cabinet Frau Lange's
geführt. Er möchte einen Augenblick verzeihen, die
gnädige Frau käme ſogleich, bedeutete ihm das
Mädchen und verſchwand wieder.

Adam ſah ſich um. Da ſtand er alſo wieder
einmal auf der Wahlſtatt, auf der er neulich ſo
bedeutungsvolle Stunden durchlebt hatte. Aber
heute — wie war heute Alles ſo glanzlos und
nüchtern! Dabei überall ein Ton der Unordnung,
ein Accent der Verkramtheit. Jene einſchmeichelnde,
anheimelnde Demi-jour-Stimmung, die ihn neulich
ſo unwiderſtehlich beſtrickt hatte, und die er noch
ſo klar in der Erinnerung bewahrte, war nicht mehr
mit dem dünnſten Haarſtrichlein angedeutet. Und
doch ſtiegen ihm wie leichte Schaumbläschen allerlei
Erinnerungen auf. Er dachte daran, daß damals
in dem Fauteuil dort Lydia geſeſſen .. daß er,
ganz im Joche ſeiner emporgeſchäumten Stimmung,
vor ihr gekniet, ihr ſchluchzend ſeine Liebe zuge-
ſtammelt — daß er — — aber das war ja Alles
glücklich vorüber, die Augenblicksextaſe dünkte ihn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0383" n="375"/>
Hülfe &#x2014; mit die&#x017F;er Bitte, zu welchen die bedrängte<lb/>
Armuth eine heilige Berechtigung, eine heilige Ver-<lb/>
pflichtung be&#x017F;itzt. Auf eine mehr oder weniger<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;ante, jedenfalls nicht ganz alltägliche und<lb/>
nicht ganz pointenlo&#x017F;e Scene durfte &#x017F;ich Adam<lb/>
überdies gefaßt machen. Ah! Lydia würde zuer&#x017F;t<lb/>
verblüfft &#x017F;ein. Und dann? Das war eben die<lb/>
Frage. Doch die&#x017F;e Frage mußte ja &#x017F;ofort ihre<lb/>
Beantwortung finden.</p><lb/>
        <p>Adam wurde in das Cabinet Frau Lange's<lb/>
geführt. Er möchte einen Augenblick verzeihen, die<lb/>
gnädige Frau käme &#x017F;ogleich, bedeutete ihm das<lb/>
Mädchen und ver&#x017F;chwand wieder.</p><lb/>
        <p>Adam &#x017F;ah &#x017F;ich um. Da &#x017F;tand er al&#x017F;o wieder<lb/>
einmal auf der Wahl&#x017F;tatt, auf der er neulich &#x017F;o<lb/>
bedeutungsvolle Stunden durchlebt hatte. Aber<lb/>
heute &#x2014; wie war heute Alles &#x017F;o glanzlos und<lb/>
nüchtern! Dabei überall ein Ton der Unordnung,<lb/>
ein Accent der Verkramtheit. Jene ein&#x017F;chmeichelnde,<lb/>
anheimelnde <hi rendition="#aq">Demi-jour</hi>-Stimmung, die ihn neulich<lb/>
&#x017F;o unwider&#x017F;tehlich be&#x017F;trickt hatte, und die er noch<lb/>
&#x017F;o klar in der Erinnerung bewahrte, war nicht mehr<lb/>
mit dem dünn&#x017F;ten Haar&#x017F;trichlein angedeutet. Und<lb/>
doch &#x017F;tiegen ihm wie leichte Schaumbläschen allerlei<lb/>
Erinnerungen auf. Er dachte daran, daß damals<lb/>
in dem Fauteuil dort Lydia ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en .. daß er,<lb/>
ganz im Joche &#x017F;einer emporge&#x017F;chäumten Stimmung,<lb/>
vor ihr gekniet, ihr &#x017F;chluchzend &#x017F;eine Liebe zuge-<lb/>
&#x017F;tammelt &#x2014; daß er &#x2014; &#x2014; aber das war ja Alles<lb/>
glücklich vorüber, die Augenblicksexta&#x017F;e dünkte ihn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0383] Hülfe — mit dieſer Bitte, zu welchen die bedrängte Armuth eine heilige Berechtigung, eine heilige Ver- pflichtung beſitzt. Auf eine mehr oder weniger intereſſante, jedenfalls nicht ganz alltägliche und nicht ganz pointenloſe Scene durfte ſich Adam überdies gefaßt machen. Ah! Lydia würde zuerſt verblüfft ſein. Und dann? Das war eben die Frage. Doch dieſe Frage mußte ja ſofort ihre Beantwortung finden. Adam wurde in das Cabinet Frau Lange's geführt. Er möchte einen Augenblick verzeihen, die gnädige Frau käme ſogleich, bedeutete ihm das Mädchen und verſchwand wieder. Adam ſah ſich um. Da ſtand er alſo wieder einmal auf der Wahlſtatt, auf der er neulich ſo bedeutungsvolle Stunden durchlebt hatte. Aber heute — wie war heute Alles ſo glanzlos und nüchtern! Dabei überall ein Ton der Unordnung, ein Accent der Verkramtheit. Jene einſchmeichelnde, anheimelnde Demi-jour-Stimmung, die ihn neulich ſo unwiderſtehlich beſtrickt hatte, und die er noch ſo klar in der Erinnerung bewahrte, war nicht mehr mit dem dünnſten Haarſtrichlein angedeutet. Und doch ſtiegen ihm wie leichte Schaumbläschen allerlei Erinnerungen auf. Er dachte daran, daß damals in dem Fauteuil dort Lydia geſeſſen .. daß er, ganz im Joche ſeiner emporgeſchäumten Stimmung, vor ihr gekniet, ihr ſchluchzend ſeine Liebe zuge- ſtammelt — daß er — — aber das war ja Alles glücklich vorüber, die Augenblicksextaſe dünkte ihn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/383
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/383>, abgerufen am 22.11.2024.