-- jetzt endlich ganz genau, wo meine Pflicht liegt und wo mein Platz ist! Leben Sie wohl! Wir haben uns noch nicht das letzte Mal ge- sehen -- --"
Immer näher war Adam an Lydia herangerückt, bis sich die beiden dicht gegenüberstanden. Nun kehrte er sich mit einem harten Rucke ab und ging nach der Tiefe des Zimmers zu, der Thüre entgegen.
Lydia fuhr auf, fuhr auf wie aus einem schweren, schwülen Traum gestoßen. Sie strich sich mit der linken Hand über Augen und Stirn -- ja! hatte sie denn wirklich geträumt? War das ein Spuk ge- wesen, oder doch nackte, klare Wirklichkeit? War denn das ihr Zimmer? Doch wohl. Aber -- nein! das konnte ja nicht sein. Das Alles war nur eine wüste Phantasie -- dieser Mensch sollte es gewagt haben -- --?
Widerstandslos hatte sie die Fluth der Drohungen und Anklagen, die aus dem Munde des zürnenden Mannes da vor ihr herausschoß, über sich hingehen lassen. Wie gelähmt, gebändigt war sie gewesen, fest in sich verhakt und zusammengezwungen. Er hatte sie überwältigt. Jetzt fühlte sie eine schneidende Zwiespältigkeit in sich, es zerrte krampfhaft an ihr herum. Aber wer war denn dieser Mensch? Der- selbe, der sich vor ihr immer nur als interessanter, blasirter Schwächling aufgespielt? Und nun diese jäh ausgebrochene Leidenschaft! Oder war das nu[r] Verzweiflung -- blutende Verzweiflung an sich, an der Welt gewesen? Sie wußte nicht ein noch aus.
Conradi, Adam Mensch. 25
— jetzt endlich ganz genau, wo meine Pflicht liegt und wo mein Platz iſt! Leben Sie wohl! Wir haben uns noch nicht das letzte Mal ge- ſehen — —“
Immer näher war Adam an Lydia herangerückt, bis ſich die beiden dicht gegenüberſtanden. Nun kehrte er ſich mit einem harten Rucke ab und ging nach der Tiefe des Zimmers zu, der Thüre entgegen.
Lydia fuhr auf, fuhr auf wie aus einem ſchweren, ſchwülen Traum geſtoßen. Sie ſtrich ſich mit der linken Hand über Augen und Stirn — ja! hatte ſie denn wirklich geträumt? War das ein Spuk ge- weſen, oder doch nackte, klare Wirklichkeit? War denn das ihr Zimmer? Doch wohl. Aber — nein! das konnte ja nicht ſein. Das Alles war nur eine wüſte Phantaſie — dieſer Menſch ſollte es gewagt haben — —?
Widerſtandslos hatte ſie die Fluth der Drohungen und Anklagen, die aus dem Munde des zürnenden Mannes da vor ihr herausſchoß, über ſich hingehen laſſen. Wie gelähmt, gebändigt war ſie geweſen, feſt in ſich verhakt und zuſammengezwungen. Er hatte ſie überwältigt. Jetzt fühlte ſie eine ſchneidende Zwieſpältigkeit in ſich, es zerrte krampfhaft an ihr herum. Aber wer war denn dieſer Menſch? Der- ſelbe, der ſich vor ihr immer nur als intereſſanter, blaſirter Schwächling aufgeſpielt? Und nun dieſe jäh ausgebrochene Leidenſchaft! Oder war das nu[r] Verzweiflung — blutende Verzweiflung an ſich, an der Welt geweſen? Sie wußte nicht ein noch aus.
Conradi, Adam Menſch. 25
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— jetzt endlich ganz genau, wo meine Pflicht
liegt und wo mein Platz iſt! Leben Sie wohl!
Wir haben uns noch nicht das letzte Mal ge-
ſehen — —“
Immer näher war Adam an Lydia herangerückt,
bis ſich die beiden dicht gegenüberſtanden. Nun kehrte
er ſich mit einem harten Rucke ab und ging nach
der Tiefe des Zimmers zu, der Thüre entgegen.
Lydia fuhr auf, fuhr auf wie aus einem ſchweren,
ſchwülen Traum geſtoßen. Sie ſtrich ſich mit der
linken Hand über Augen und Stirn — ja! hatte
ſie denn wirklich geträumt? War das ein Spuk ge-
weſen, oder doch nackte, klare Wirklichkeit? War
denn das ihr Zimmer? Doch wohl. Aber — nein!
das konnte ja nicht ſein. Das Alles war nur eine
wüſte Phantaſie — dieſer Menſch ſollte es gewagt
haben — —?
Widerſtandslos hatte ſie die Fluth der Drohungen
und Anklagen, die aus dem Munde des zürnenden
Mannes da vor ihr herausſchoß, über ſich hingehen
laſſen. Wie gelähmt, gebändigt war ſie geweſen,
feſt in ſich verhakt und zuſammengezwungen. Er
hatte ſie überwältigt. Jetzt fühlte ſie eine ſchneidende
Zwieſpältigkeit in ſich, es zerrte krampfhaft an ihr
herum. Aber wer war denn dieſer Menſch? Der-
ſelbe, der ſich vor ihr immer nur als intereſſanter,
blaſirter Schwächling aufgeſpielt? Und nun dieſe
jäh ausgebrochene Leidenſchaft! Oder war das nur
Verzweiflung — blutende Verzweiflung an ſich, an
der Welt geweſen? Sie wußte nicht ein noch aus.
Conradi, Adam Menſch. 25
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/393>, abgerufen am 22.11.2024.
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