weise, zugleich absichtlich einen Accent der Bitte und Abbitte in der Stimme, als redete er, wie von einem tiefen Traume besessen, nur zu sich --: "Sei mir nicht böse, Emmy! Siehst Du: das mußte ja Alles so kommen. Das hat ja Alles seine tiefen, tiefen Gründe. Kennst Du mich? Weißt Du, wer ich bin --? Nein! Ich kenne mich zwar selber ebenso wenig. Oft bin ich ganz erstaunt über mich. Ich weißt nicht, wer ich bin. Ich ahne mich nur. Ja! Aber ich ahne mich eben wenigstens doch. Nicht immer, doch manchmal mit brennender Schärfe und Annäherung. Dann ist Alles so voll in mir, so weit, so groß, so gewaltig, dann bin ich nicht mehr, dann hat mich etwas Unerklärliches, Geheim- nißvolles in sich aufgenommen, mein Leben strömt in stolzem Drange, ein sanftes, unendlich wohlthuendes Fieber durchprickelt mir Leib und Seele, Alles in mir ist Dank, Inbrunst, Hingenommenheit, Fülle, Begeisterung, Größe .. Aber diesem unendlich Süßen, dem ich dann gehöre, das mich dann ganz aufgezehrt hat --: ihm einen Namen geben -- diesem verklärten Sein, da Sehnsucht und Erfüllung zugleich in mir ist, eine Formel, ein Schema, eine Rubrik für den Tagescurs auf den Leib schreiben -- nein! das kann ich nicht. Wenn ich mit Euch, Ihr anderen Menschen, Ihr Außenmenschen, mit einem sogenannten "Bekannten", einem "Kameraden", mit irgend einem Weibe zusammen bin -- mein Gott! dann bin ich Gesellschaftsthier, meinem tieferen Ich entfremdet, dann rede und denke und scherze und
weiſe, zugleich abſichtlich einen Accent der Bitte und Abbitte in der Stimme, als redete er, wie von einem tiefen Traume beſeſſen, nur zu ſich —: „Sei mir nicht böſe, Emmy! Siehſt Du: das mußte ja Alles ſo kommen. Das hat ja Alles ſeine tiefen, tiefen Gründe. Kennſt Du mich? Weißt Du, wer ich bin —? Nein! Ich kenne mich zwar ſelber ebenſo wenig. Oft bin ich ganz erſtaunt über mich. Ich weißt nicht, wer ich bin. Ich ahne mich nur. Ja! Aber ich ahne mich eben wenigſtens doch. Nicht immer, doch manchmal mit brennender Schärfe und Annäherung. Dann iſt Alles ſo voll in mir, ſo weit, ſo groß, ſo gewaltig, dann bin ich nicht mehr, dann hat mich etwas Unerklärliches, Geheim- nißvolles in ſich aufgenommen, mein Leben ſtrömt in ſtolzem Drange, ein ſanftes, unendlich wohlthuendes Fieber durchprickelt mir Leib und Seele, Alles in mir iſt Dank, Inbrunſt, Hingenommenheit, Fülle, Begeiſterung, Größe .. Aber dieſem unendlich Süßen, dem ich dann gehöre, das mich dann ganz aufgezehrt hat —: ihm einen Namen geben — dieſem verklärten Sein, da Sehnſucht und Erfüllung zugleich in mir iſt, eine Formel, ein Schema, eine Rubrik für den Tagescurs auf den Leib ſchreiben — nein! das kann ich nicht. Wenn ich mit Euch, Ihr anderen Menſchen, Ihr Außenmenſchen, mit einem ſogenannten „Bekannten“, einem „Kameraden“, mit irgend einem Weibe zuſammen bin — mein Gott! dann bin ich Geſellſchaftsthier, meinem tieferen Ich entfremdet, dann rede und denke und ſcherze und
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nicht böſe, Emmy! Siehſt Du: das mußte ja
Alles ſo kommen. Das hat ja Alles ſeine tiefen,
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ebenſo wenig. Oft bin ich ganz erſtaunt über mich.
Ich weißt nicht, wer ich bin. Ich ahne mich nur.
Ja! Aber ich ahne mich eben wenigſtens doch.
Nicht immer, doch manchmal mit brennender Schärfe
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verklärten Sein, da Sehnſucht und Erfüllung
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/453>, abgerufen am 21.11.2024.
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