brannt. Er hatte ihn los sein wollen .. und trium- phirend hatte er vor dem Häufchen Asche gestanden, die von ihm noch übrig geblieben war. In einer stillen Sommernachtsstunde hatte er sich weit zum Fenster hinausgelehnt .. und die Asche in alle Winde verstreut .. Und doch blieb eine Stelle des letzten Vermächtnisses Irmers haften in seinem Gedächtniß, sie tauchte immer wieder auf, mochte er sie auch mit aller Gewalt niederdrücken und zurückdrängen, sie kamen wieder, immer wieder, jene ernsten, schweren, beschwörenden Worte: "-- Ich lasse mein Kind in Ihren Händen zurück, Herr Doctor -- und ich weiß, Sie werden niemals vergessen, was sie ihm schuldig sind. Ich vertraue Ihnen und sterbe ruhig -- --" Adam sagte sich ganz klar, daß er Hedwig gegenüber eine Schurkerei begangen, wenigstens eine Schurkerei im Sinne der gültigen Moral der Masse, er fand schließ- lich auch "höhere" ethische Gesichtspunkte, die ihn trösteten und freisprachen, aber es fruchtete wenig, das Neue war noch zu dunkel in ihm, noch zu theoretisch, zu vergeistigt, die alten thörichten Kate- chismusgefühle waren doch noch zu stark. Und sie klagten ihn Tag für Tag aufs Neue an. Nein! wenn Hedwig noch einmal in sein Leben träte, wollte er nicht zurückweichen vor ihr. Sie aber aufzusuchen -- dazu hatte er nicht die Kraft und nicht den Muth. Und dann auch: sie verachtete ihn gewiß schon so sehr, daß sie seine Nähe gar nicht ertragen würde. Was sollte er also sie und sich quälen --? Es war überflüssig. --
brannt. Er hatte ihn los ſein wollen .. und trium- phirend hatte er vor dem Häufchen Aſche geſtanden, die von ihm noch übrig geblieben war. In einer ſtillen Sommernachtsſtunde hatte er ſich weit zum Fenſter hinausgelehnt .. und die Aſche in alle Winde verſtreut .. Und doch blieb eine Stelle des letzten Vermächtniſſes Irmers haften in ſeinem Gedächtniß, ſie tauchte immer wieder auf, mochte er ſie auch mit aller Gewalt niederdrücken und zurückdrängen, ſie kamen wieder, immer wieder, jene ernſten, ſchweren, beſchwörenden Worte: „— Ich laſſe mein Kind in Ihren Händen zurück, Herr Doctor — und ich weiß, Sie werden niemals vergeſſen, was ſie ihm ſchuldig ſind. Ich vertraue Ihnen und ſterbe ruhig — —“ Adam ſagte ſich ganz klar, daß er Hedwig gegenüber eine Schurkerei begangen, wenigſtens eine Schurkerei im Sinne der gültigen Moral der Maſſe, er fand ſchließ- lich auch „höhere“ ethiſche Geſichtspunkte, die ihn tröſteten und freiſprachen, aber es fruchtete wenig, das Neue war noch zu dunkel in ihm, noch zu theoretiſch, zu vergeiſtigt, die alten thörichten Kate- chismusgefühle waren doch noch zu ſtark. Und ſie klagten ihn Tag für Tag aufs Neue an. Nein! wenn Hedwig noch einmal in ſein Leben träte, wollte er nicht zurückweichen vor ihr. Sie aber aufzuſuchen — dazu hatte er nicht die Kraft und nicht den Muth. Und dann auch: ſie verachtete ihn gewiß ſchon ſo ſehr, daß ſie ſeine Nähe gar nicht ertragen würde. Was ſollte er alſo ſie und ſich quälen —? Es war überflüſſig. —
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brannt. Er hatte ihn los ſein wollen .. und trium-
phirend hatte er vor dem Häufchen Aſche geſtanden,
die von ihm noch übrig geblieben war. In einer
ſtillen Sommernachtsſtunde hatte er ſich weit zum
Fenſter hinausgelehnt .. und die Aſche in alle Winde
verſtreut .. Und doch blieb eine Stelle des letzten
Vermächtniſſes Irmers haften in ſeinem Gedächtniß,
ſie tauchte immer wieder auf, mochte er ſie auch
mit aller Gewalt niederdrücken und zurückdrängen,
ſie kamen wieder, immer wieder, jene ernſten, ſchweren,
beſchwörenden Worte: „— Ich laſſe mein Kind in Ihren
Händen zurück, Herr Doctor — und ich weiß, Sie
werden niemals vergeſſen, was ſie ihm ſchuldig ſind.
Ich vertraue Ihnen und ſterbe ruhig — —“ Adam
ſagte ſich ganz klar, daß er Hedwig gegenüber eine
Schurkerei begangen, wenigſtens eine Schurkerei im
Sinne der gültigen Moral der Maſſe, er fand ſchließ-
lich auch „höhere“ ethiſche Geſichtspunkte, die ihn
tröſteten und freiſprachen, aber es fruchtete wenig,
das Neue war noch zu dunkel in ihm, noch zu
theoretiſch, zu vergeiſtigt, die alten thörichten Kate-
chismusgefühle waren doch noch zu ſtark. Und ſie
klagten ihn Tag für Tag aufs Neue an. Nein!
wenn Hedwig noch einmal in ſein Leben träte, wollte
er nicht zurückweichen vor ihr. Sie aber aufzuſuchen
— dazu hatte er nicht die Kraft und nicht den
Muth. Und dann auch: ſie verachtete ihn gewiß
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/468>, abgerufen am 21.11.2024.
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