die Kräfte des Verstandes in Bewegung sezt. Die Neubegierde ist mit dem ersten Anblicke gesättigt, und ermüdet; die Lehrbegierde hingegen verliert ihr Ziel nicht aus den Augen, sondern sucht dem- selben sich ohne Aufhören zu nähern.
Sammle denn, meine Seele, alle deine Gedanken; rufe sie von den Sorgen und Zer- streuungen dieses Lebens zurück, die den Geist, wie eine schwere Last niederdrücken; suche die Einsamkeit, komm zur Stille, um ruhig, und mit aller Aufmerksamkeit, der du fähig bist, über Gott, sein Wort, und den Unterricht seiner Werke nachzudenken. Je grösser und ernstlicher deine Aufmerksamkeit ist, desto heller, vollkomm- ner und gewisser werden deine Einsichten von dem besten und liebenswürdigsten Wesen werden. Wie es auch mit ihren Wirkungen zugehn mag, so ist gewiß, daß durch sie eben das geschieht, was allezeit geschieht, wenn wir uns mit den Au- gen des Leibes lange bey einem Gegenstande ver- weilen. Je länger und schärfer wir ihn ansehen, desto deutlicher malet sich sein Bild in unserm Auge ab; desto ausführlicher und reicher wird unsre Vorstellung davon; desto tiefer und unaus- löschlicher sein Eindruck. Die Aufmerksamkeit ist das Auge der Vernunft. Die Begriffe, die
wir
die Kräfte des Verſtandes in Bewegung ſezt. Die Neubegierde iſt mit dem erſten Anblicke geſättigt, und ermüdet; die Lehrbegierde hingegen verliert ihr Ziel nicht aus den Augen, ſondern ſucht dem- ſelben ſich ohne Aufhören zu nähern.
Sammle denn, meine Seele, alle deine Gedanken; rufe ſie von den Sorgen und Zer- ſtreuungen dieſes Lebens zurück, die den Geiſt, wie eine ſchwere Laſt niederdrücken; ſuche die Einſamkeit, komm zur Stille, um ruhig, und mit aller Aufmerkſamkeit, der du fähig biſt, über Gott, ſein Wort, und den Unterricht ſeiner Werke nachzudenken. Je gröſſer und ernſtlicher deine Aufmerkſamkeit iſt, deſto heller, vollkomm- ner und gewiſſer werden deine Einſichten von dem beſten und liebenswürdigſten Weſen werden. Wie es auch mit ihren Wirkungen zugehn mag, ſo iſt gewiß, daß durch ſie eben das geſchieht, was allezeit geſchieht, wenn wir uns mit den Au- gen des Leibes lange bey einem Gegenſtande ver- weilen. Je länger und ſchärfer wir ihn anſehen, deſto deutlicher malet ſich ſein Bild in unſerm Auge ab; deſto ausführlicher und reicher wird unſre Vorſtellung davon; deſto tiefer und unaus- löſchlicher ſein Eindruck. Die Aufmerkſamkeit iſt das Auge der Vernunft. Die Begriffe, die
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die Kräfte des Verſtandes in Bewegung ſezt. Die
Neubegierde iſt mit dem erſten Anblicke geſättigt,
und ermüdet; die Lehrbegierde hingegen verliert
ihr Ziel nicht aus den Augen, ſondern ſucht dem-
ſelben ſich ohne Aufhören zu nähern.
Sammle denn, meine Seele, alle deine
Gedanken; rufe ſie von den Sorgen und Zer-
ſtreuungen dieſes Lebens zurück, die den Geiſt,
wie eine ſchwere Laſt niederdrücken; ſuche die
Einſamkeit, komm zur Stille, um ruhig, und
mit aller Aufmerkſamkeit, der du fähig biſt, über
Gott, ſein Wort, und den Unterricht ſeiner
Werke nachzudenken. Je gröſſer und ernſtlicher
deine Aufmerkſamkeit iſt, deſto heller, vollkomm-
ner und gewiſſer werden deine Einſichten von
dem beſten und liebenswürdigſten Weſen werden.
Wie es auch mit ihren Wirkungen zugehn mag,
ſo iſt gewiß, daß durch ſie eben das geſchieht,
was allezeit geſchieht, wenn wir uns mit den Au-
gen des Leibes lange bey einem Gegenſtande ver-
weilen. Je länger und ſchärfer wir ihn anſehen,
deſto deutlicher malet ſich ſein Bild in unſerm
Auge ab; deſto ausführlicher und reicher wird
unſre Vorſtellung davon; deſto tiefer und unaus-
löſchlicher ſein Eindruck. Die Aufmerkſamkeit
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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/100>, abgerufen am 16.02.2025.
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