Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XIX. Betrachtung. obgleich damals viele Juden ungereimte Jrrthümerglaubten, ob sie gleich den Gottesdienst durch selbst erwählte Gebräuche verunstalteten; so war doch die Religion an sich wahren und göttlichen Ursprungs, weil sie in den Schriften Mosis und der Propheten enthalten und gegründet war. Wäre Jesus nicht von der Wahrheit und dem göttlichen Ursprunge der jüdischen Religion überzeugt gewesen, so würde er sich nicht zu derselben bekannt haben, wenn sie auch gleich von der ganzen Nation wäre angenommen wor- den. Daher nahm er auch keinen Antheil an den eingeschlichenen Mißbräuchen und Jrrthümern, er arbeitete ihnen vielmehr bey aller Gelegenheit entge- gen, und suchte sie auszurotten. Sehr sorgfältig beobachtete er hingegen diejenigen Religionsgebräuche, wodurch sich die Juden von den Heyden unterschie- den, und die einen wesentlichen Theil der äußern Gottesverehrung ausmachten. So reiste er mit an- dern Juden auf die hohen Feste nach Jerusalem, um mit der ganzen Nation an der religiösen Feyer dersel- ben Antheil zu nehmen. Gerne gieng er in den Tem- pel, wo man sich zur Anbetung des einigen wahren Gottes versammelte; er aß mit feinen Jüngern das Osterlamm und beobachtete die dabey vorgeschriebe- nen Gebräuche, um Niemanden anstößig zu werden; fügte sich in alle Verordnungen des Ceremonialgesez- zes, das erst nach seinem Tode als überflüßig sollte abge-
XIX. Betrachtung. obgleich damals viele Juden ungereimte Jrrthümerglaubten, ob ſie gleich den Gottesdienſt durch ſelbſt erwählte Gebräuche verunſtalteten; ſo war doch die Religion an ſich wahren und göttlichen Urſprungs, weil ſie in den Schriften Moſis und der Propheten enthalten und gegründet war. Wäre Jeſus nicht von der Wahrheit und dem göttlichen Urſprunge der jüdiſchen Religion überzeugt geweſen, ſo würde er ſich nicht zu derſelben bekannt haben, wenn ſie auch gleich von der ganzen Nation wäre angenommen wor- den. Daher nahm er auch keinen Antheil an den eingeſchlichenen Mißbräuchen und Jrrthümern, er arbeitete ihnen vielmehr bey aller Gelegenheit entge- gen, und ſuchte ſie auszurotten. Sehr ſorgfältig beobachtete er hingegen diejenigen Religionsgebräuche, wodurch ſich die Juden von den Heyden unterſchie- den, und die einen weſentlichen Theil der äußern Gottesverehrung ausmachten. So reiſte er mit an- dern Juden auf die hohen Feſte nach Jeruſalem, um mit der ganzen Nation an der religiöſen Feyer derſel- ben Antheil zu nehmen. Gerne gieng er in den Tem- pel, wo man ſich zur Anbetung des einigen wahren Gottes verſammelte; er aß mit feinen Jüngern das Oſterlamm und beobachtete die dabey vorgeſchriebe- nen Gebräuche, um Niemanden anſtößig zu werden; fügte ſich in alle Verordnungen des Ceremonialgeſez- zes, das erſt nach ſeinem Tode als überflüßig ſollte abge-
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XIX. Betrachtung.
obgleich damals viele Juden ungereimte Jrrthümer
glaubten, ob ſie gleich den Gottesdienſt durch ſelbſt
erwählte Gebräuche verunſtalteten; ſo war doch die
Religion an ſich wahren und göttlichen Urſprungs,
weil ſie in den Schriften Moſis und der Propheten
enthalten und gegründet war. Wäre Jeſus nicht
von der Wahrheit und dem göttlichen Urſprunge der
jüdiſchen Religion überzeugt geweſen, ſo würde er
ſich nicht zu derſelben bekannt haben, wenn ſie auch
gleich von der ganzen Nation wäre angenommen wor-
den. Daher nahm er auch keinen Antheil an den
eingeſchlichenen Mißbräuchen und Jrrthümern, er
arbeitete ihnen vielmehr bey aller Gelegenheit entge-
gen, und ſuchte ſie auszurotten. Sehr ſorgfältig
beobachtete er hingegen diejenigen Religionsgebräuche,
wodurch ſich die Juden von den Heyden unterſchie-
den, und die einen weſentlichen Theil der äußern
Gottesverehrung ausmachten. So reiſte er mit an-
dern Juden auf die hohen Feſte nach Jeruſalem, um
mit der ganzen Nation an der religiöſen Feyer derſel-
ben Antheil zu nehmen. Gerne gieng er in den Tem-
pel, wo man ſich zur Anbetung des einigen wahren
Gottes verſammelte; er aß mit feinen Jüngern das
Oſterlamm und beobachtete die dabey vorgeſchriebe-
nen Gebräuche, um Niemanden anſtößig zu werden;
fügte ſich in alle Verordnungen des Ceremonialgeſez-
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