Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XX. Betrachtung. Verbrecher gewesen seyn? Jch sage nein! sondernso ihr euch nicht bessert, werdet ihr alle also umkom- men; denn der Geist der wahren Religion war un- ter der ganzen Nation verloschen, und Jesus sahe voraus, daß bey der Zerstörung Jerusalems das Blut der halsstarrigen ganz unverbesserlichen Juden selbst an heiliger Stätte würde vergossen werden. Bey dieser Gelegenheit berichtigte er ihr Urtheil über einen andern traurigen Vorfall, der sich damals ereignet hatte. Achtzehn Personen waren, vermuthlich bey einer starken Erderschütterung, durch den Einsturz des Thurms bey dem Bade Siloha erschlagen worden, und hatten also nicht durch Rache und Bosheit der Menschen, sondern durch einen bloßen unverschulde- ten und unvorhergesehenen Zufall ihr Leben verlohren. Auch diese hielt man für größere Sünder, als die übrigen Einwohner der Stadt Jerusalem, die nicht so nahe bey diesem Thurme wohnten. Allein Jesus belehrte sie eines bessern. Meynet ihr, daß die Acht- zehn, auf welche der Thurm in Siloha fiel, und er- schlug sie, seyen schuldig gewesen vor allen Menschen, die zu Jerusalem wohnen? ich sage nein! sondern so ihr euch nicht bessert, werdet ihr alle auch also um- kommen. Nicht nur ein Mauerthurm der Stadt, will er sagen, wird einstürzen, sondern die ganze Stadt wird zerstört werden, und nicht nur achtzehn Juden, sondern alle die in der Stadt wohnen, werden da ihr Grab
XX. Betrachtung. Verbrecher geweſen ſeyn? Jch ſage nein! ſondernſo ihr euch nicht beſſert, werdet ihr alle alſo umkom- men; denn der Geiſt der wahren Religion war un- ter der ganzen Nation verloſchen, und Jeſus ſahe voraus, daß bey der Zerſtörung Jeruſalems das Blut der halsſtarrigen ganz unverbeſſerlichen Juden ſelbſt an heiliger Stätte würde vergoſſen werden. Bey dieſer Gelegenheit berichtigte er ihr Urtheil über einen andern traurigen Vorfall, der ſich damals ereignet hatte. Achtzehn Perſonen waren, vermuthlich bey einer ſtarken Erderſchütterung, durch den Einſturz des Thurms bey dem Bade Siloha erſchlagen worden, und hatten alſo nicht durch Rache und Bosheit der Menſchen, ſondern durch einen bloßen unverſchulde- ten und unvorhergeſehenen Zufall ihr Leben verlohren. Auch dieſe hielt man für größere Sünder, als die übrigen Einwohner der Stadt Jeruſalem, die nicht ſo nahe bey dieſem Thurme wohnten. Allein Jeſus belehrte ſie eines beſſern. Meynet ihr, daß die Acht- zehn, auf welche der Thurm in Siloha fiel, und er- ſchlug ſie, ſeyen ſchuldig geweſen vor allen Menſchen, die zu Jeruſalem wohnen? ich ſage nein! ſondern ſo ihr euch nicht beſſert, werdet ihr alle auch alſo um- kommen. Nicht nur ein Mauerthurm der Stadt, will er ſagen, wird einſtürzen, ſondern die ganze Stadt wird zerſtört werden, und nicht nur achtzehn Juden, ſondern alle die in der Stadt wohnen, werden da ihr Grab
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0151" n="125"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XX.</hi> Betrachtung.</fw><lb/> Verbrecher geweſen ſeyn? <hi rendition="#fr">Jch ſage nein! ſondern<lb/> ſo ihr euch nicht beſſert, werdet ihr alle alſo umkom-<lb/> men;</hi> denn der Geiſt der wahren Religion war un-<lb/> ter der ganzen Nation verloſchen, und Jeſus ſahe<lb/> voraus, daß bey der Zerſtörung Jeruſalems das Blut<lb/> der halsſtarrigen ganz unverbeſſerlichen Juden ſelbſt<lb/> an heiliger Stätte würde vergoſſen werden. Bey<lb/> dieſer Gelegenheit berichtigte er ihr Urtheil über einen<lb/> andern traurigen Vorfall, der ſich damals ereignet<lb/> hatte. Achtzehn Perſonen waren, vermuthlich bey<lb/> einer ſtarken Erderſchütterung, durch den Einſturz des<lb/> Thurms bey dem Bade Siloha erſchlagen worden,<lb/> und hatten alſo nicht durch Rache und Bosheit der<lb/> Menſchen, ſondern durch einen bloßen unverſchulde-<lb/> ten und unvorhergeſehenen Zufall ihr Leben verlohren.<lb/> Auch dieſe hielt man für größere Sünder, als die<lb/> übrigen Einwohner der Stadt Jeruſalem, die nicht<lb/> ſo nahe bey dieſem Thurme wohnten. Allein Jeſus<lb/> belehrte ſie eines beſſern. <hi rendition="#fr">Meynet ihr, daß die Acht-<lb/> zehn, auf welche der Thurm in Siloha fiel, und er-<lb/> ſchlug ſie, ſeyen ſchuldig geweſen vor allen Menſchen,<lb/> die zu Jeruſalem wohnen? ich ſage nein! ſondern ſo<lb/> ihr euch nicht beſſert, werdet ihr alle auch alſo um-<lb/> kommen.</hi> Nicht nur ein Mauerthurm der Stadt,<lb/> will er ſagen, wird einſtürzen, ſondern die ganze Stadt<lb/> wird zerſtört werden, und nicht nur achtzehn Juden,<lb/> ſondern alle die in der Stadt wohnen, werden da ihr<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Grab</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [125/0151]
XX. Betrachtung.
Verbrecher geweſen ſeyn? Jch ſage nein! ſondern
ſo ihr euch nicht beſſert, werdet ihr alle alſo umkom-
men; denn der Geiſt der wahren Religion war un-
ter der ganzen Nation verloſchen, und Jeſus ſahe
voraus, daß bey der Zerſtörung Jeruſalems das Blut
der halsſtarrigen ganz unverbeſſerlichen Juden ſelbſt
an heiliger Stätte würde vergoſſen werden. Bey
dieſer Gelegenheit berichtigte er ihr Urtheil über einen
andern traurigen Vorfall, der ſich damals ereignet
hatte. Achtzehn Perſonen waren, vermuthlich bey
einer ſtarken Erderſchütterung, durch den Einſturz des
Thurms bey dem Bade Siloha erſchlagen worden,
und hatten alſo nicht durch Rache und Bosheit der
Menſchen, ſondern durch einen bloßen unverſchulde-
ten und unvorhergeſehenen Zufall ihr Leben verlohren.
Auch dieſe hielt man für größere Sünder, als die
übrigen Einwohner der Stadt Jeruſalem, die nicht
ſo nahe bey dieſem Thurme wohnten. Allein Jeſus
belehrte ſie eines beſſern. Meynet ihr, daß die Acht-
zehn, auf welche der Thurm in Siloha fiel, und er-
ſchlug ſie, ſeyen ſchuldig geweſen vor allen Menſchen,
die zu Jeruſalem wohnen? ich ſage nein! ſondern ſo
ihr euch nicht beſſert, werdet ihr alle auch alſo um-
kommen. Nicht nur ein Mauerthurm der Stadt,
will er ſagen, wird einſtürzen, ſondern die ganze Stadt
wird zerſtört werden, und nicht nur achtzehn Juden,
ſondern alle die in der Stadt wohnen, werden da ihr
Grab
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |