Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXV. Betrachtung. guten Gesinnungen; ihre Thränen waren Merkmaleder Reue und des Kummers über ihre Sünden; ihr Hinknieen zu Jesu Füssen war ein Zeichen der De- muth; und wenn sie seine Füsse mit ihren Thränen benetzte, mit ihren Haaren trocknete, und sie mit köst- lichem Wasser begoß, so war das ein stilles Dank- opfer, das sie dem guten Herrn für die Vergebung ihrer Sünden, und für die Zurückführung auf den Weg der Tugend brachte.*) Sein liebreiches Be- tragen gegen Menschen von verdorbenen Sitten, war gerade das Gegentheil von der abschreckenden und grausamen Art, wie die pharisäische Geistlichkeit mit solchen Leuten umgieng. Diese hatten gar keinen Begrif davon, wie man mit Sündern umgehen müs- se, die der Besserung fähig sind. Noch am Kreuze be- wies sich Jesus als Heiland der Sünder. Hier ließ er noch einem Missethäter, der im reuigen Gefühl seiner Verschuldungen seine Zuflucht zu ihm nahm, Beruhigung und Gnade wiederfahren; indem er ihm zurief: heute wirst du mit mir im Paradiese seyn.**) Laßt uns also an dem Beyspiele Jesu lernen, gen *) Luc. 7, 36-50. **) Luc. 23, 43.
XXV. Betrachtung. guten Geſinnungen; ihre Thränen waren Merkmaleder Reue und des Kummers über ihre Sünden; ihr Hinknieen zu Jeſu Füſſen war ein Zeichen der De- muth; und wenn ſie ſeine Füſſe mit ihren Thränen benetzte, mit ihren Haaren trocknete, und ſie mit köſt- lichem Waſſer begoß, ſo war das ein ſtilles Dank- opfer, das ſie dem guten Herrn für die Vergebung ihrer Sünden, und für die Zurückführung auf den Weg der Tugend brachte.*) Sein liebreiches Be- tragen gegen Menſchen von verdorbenen Sitten, war gerade das Gegentheil von der abſchreckenden und grauſamen Art, wie die phariſäiſche Geiſtlichkeit mit ſolchen Leuten umgieng. Dieſe hatten gar keinen Begrif davon, wie man mit Sündern umgehen müſ- ſe, die der Beſſerung fähig ſind. Noch am Kreuze be- wies ſich Jeſus als Heiland der Sünder. Hier ließ er noch einem Miſſethäter, der im reuigen Gefühl ſeiner Verſchuldungen ſeine Zuflucht zu ihm nahm, Beruhigung und Gnade wiederfahren; indem er ihm zurief: heute wirſt du mit mir im Paradieſe ſeyn.**) Laßt uns alſo an dem Beyſpiele Jeſu lernen, gen *) Luc. 7, 36-50. **) Luc. 23, 43.
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XXV. Betrachtung.
guten Geſinnungen; ihre Thränen waren Merkmale
der Reue und des Kummers über ihre Sünden; ihr
Hinknieen zu Jeſu Füſſen war ein Zeichen der De-
muth; und wenn ſie ſeine Füſſe mit ihren Thränen
benetzte, mit ihren Haaren trocknete, und ſie mit köſt-
lichem Waſſer begoß, ſo war das ein ſtilles Dank-
opfer, das ſie dem guten Herrn für die Vergebung
ihrer Sünden, und für die Zurückführung auf den
Weg der Tugend brachte. *) Sein liebreiches Be-
tragen gegen Menſchen von verdorbenen Sitten, war
gerade das Gegentheil von der abſchreckenden und
grauſamen Art, wie die phariſäiſche Geiſtlichkeit
mit ſolchen Leuten umgieng. Dieſe hatten gar keinen
Begrif davon, wie man mit Sündern umgehen müſ-
ſe, die der Beſſerung fähig ſind. Noch am Kreuze be-
wies ſich Jeſus als Heiland der Sünder. Hier ließ
er noch einem Miſſethäter, der im reuigen Gefühl
ſeiner Verſchuldungen ſeine Zuflucht zu ihm nahm,
Beruhigung und Gnade wiederfahren; indem er
ihm zurief: heute wirſt du mit mir im Paradieſe
ſeyn. **)
Laßt uns alſo an dem Beyſpiele Jeſu lernen,
wie wir gegen offenbar laſterhafte Menſchen uns be-
tragen müſſen. Wollten wir ſie zu unſern vertrau-
ten Freunden wählen, und mit ihnen beſtändigen
Umgang pflegen: ſo würde das freylich Verdacht ge-
gen
*) Luc. 7, 36-50.
**) Luc. 23, 43.
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